Samstag, 27. April 2024

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Frankfurter Museum Judengasse
Mirjam Wenzel: "Das erste jüdische Ghetto in Europa"

Das Frankfurter Museum Judengasse wird nach rund zweijähriger Schließung am Sonntag wiedereröffnet. Die Zweigstelle des Jüdischen Museums über der früheren Judengasse erzähle in neuer Weise die Geschichte dieses Ortes, sagte die Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, Mirjam Wenzel, im Deutschlandfunk. Die Judengasse sei das erste Ghetto in Europa gewesen.

Mirjam Wenzel im Gespräch mit Beatrix Novy | 19.03.2016
    Die Leiterin des Jüdischen Museums Frankfurt, Mirjam Wenzel, aufgenommen anlässlich ihrer Vorstellung am 11.09.2015 m Kulturamt in Frankfurt am Main
    Mirjam Wenzel, Leiterin des Jüdischen Museums Frankfurt (picture-alliance / dpa / Andreas Arnold)
    Beatrix Novy: Die Schlachten um das gebaute Erbe der Stadt Frankfurt waren mit die härtesten Auseinandersetzungen, die sich zu APO-Zeiten Antiautoritäre und Polizei in der Bundesrepublik lieferten. Es war nicht das letzte Mal, dass die verhängnisvolle Allianz aus Bauwirtschaft und modernen Planungsdogmen Proteste hervorrief. Ein Nachklang war in den 80er-Jahren der Kampf um das Jüdische Viertel, das historische Jüdische Viertel, das wie die übrige Innenstadt zerbombt war. Den Rest sollten auch hier die Bagger besorgen. Aber da formierte sich Widerstand, in der Folge entstand das Jüdische Museum Frankfurt, dessen Gebäude in der Frankfurter Judengasse liegt. Nun wird nach längerer Bauzeit morgen eröffnet. Frage an die Leiterin Mirjam Wenzel: War das bisherige Museum nur ein gefühltes Provisorium, wie es der Frankfurter Kulturdezernent neulich ausgedrückt hat?
    Mirjam Wenzel: Nein. Wir müssen unterscheiden. Im Jahr 1988, und zwar an dem symbolischen Datum 9. November 1988, wurde das Jüdische Museum in Frankfurt gegründet. Dieses Museum war das erste eigenständige Museum, das sich ausschließlich jüdischer Geschichte und Kultur in Deutschland widmete. Im Jahr zuvor, 1987, waren am Frankfurter Börneplatz bei Bauarbeiten für ein Haus der Stadtwerke die Fundamente der Judengasse gefunden worden. Diese Fundamente sind sozusagen die Reste des ersten jüdischen Ghettos Europas, und es kam damals zu öffentlichen Protesten, dass diese Fundamente nicht abgetragen werden sollten im Rahmen der Baumaßnahmen, sondern erhalten bleiben. Man schloss dann einen Kompromiss, der besagte, dass fünf der gefundenen 19 Hausfundamente weiterhin zugänglich gemacht werden sollten im Erdgeschoss des Stadtwerkegebäudes, und eben diese fünf Fundamente wurden dann 1992 als Museum Judengasse eröffnet, was eine Dependance des damals dann schon eröffneten Jüdischen Museums war.
    "Herausragende Sammlung im Bereich der Ritualobjekte"
    Nichts desto trotz war der ganze Ort eher eine Dokumentation dessen, was dort einst gewesen ist, denn ein Museum, und das ist die große Veränderung, die wir jetzt vorgenommen haben. Wir zeigen an dem historischen Ort in den Ruinen der Judengasse historische Objekte, die einst vor Ort gefertigt oder genutzt wurden.
    Novy: Sie haben jetzt im Museum Judengasse eine ganz neue Dauerausstellung aufgebaut. Was ist das Neue daran?
    Wenzel: Das Neue ist, dass wir Objekte inszenieren in den Ruinen oder Fundamenten der ehemaligen Judengasse. Vorher waren dort gar keine Objekte zu sehen. Wir inszenieren auch die Ruinen selbst durch eine genau durchdachte Licht-Choreographie. Sie finden eine Kinderspur, interaktive Spiele für Kinder, die auch von einem Katalog begleitet werden, der so etwas wie eine Schnitzeljagd durch die Ausstellung vornimmt. Sie finden insgesamt ein Museum vor, nicht mehr einen Ort, der etwas dokumentiert.
    Novy: Und die Objekte? Wo kommen die her, was zeigen sie?
    Wenzel: Wir zeigen zunächst Objekte aus der Sammlung des Jüdischen Museums. Das Jüdische Museum verfügt über eine herausragende Sammlung insbesondere im Bereich der Ritualobjekte, und die bilden auch den Ausgangspunkt unserer musealen Inszenierung. Darüber hinaus zeigen wir Objekte, die tatsächlich vor Ort gefunden sind, die eher aus der Alltagskultur kommen, so etwas wie Gefäße, in denen Medikamente aufbewahrt wurden, oder Fingerhüte, mit denen eine Witwe alte Kleider zusammennähte. Sie finden sowohl prächtige Objekte aus unserer Sammlung, wir haben aber auch Leihgaben aus privaten Sammlungen oder von anderen Museen als auch alltagskulturelle Objekte, die dann eher aus den Ausgrabungen kommen.
    Novy: Was lernt denn ein Besucher über das Leben im jüdischen Ghetto, das zwar ein gefragter Stadtteil war und wo auch täglich sehr viel Leben stattfand, das aber eben doch ein eingeschränkter und nachts verschlossener Stadtteil war?
    "Die gesamte Stadt Frankfurt als jüdischen Ort wahrnehmbar"
    Wenzel: Ja. Die Besucher lernen - und ich denke, das wird viele überraschen - eigentlich die diversen Formen des Austausches zwischen der christlichen Mehrheitsbevölkerung der Stadt Frankfurt und der jüdischen Bevölkerung der Judengasse. Zum Beispiel anhand der Zeremonialobjekte können wir nachvollziehen, dass die meisten Zeremonialobjekte bei christlichen Silberschmieden in Auftrag gegeben wurden. Das heißt, wir finden auf ihnen Spuren der christlichen Bilderwelt.
    Wir zeigen ferner Objekte, die mit dem regen Handel zu tun hatten in der Stadt Frankfurt, und der fand nicht nur in der Judengasse, sondern der fand gewissermaßen im ganzen Stadtgebiet statt. Wir wissen, dass Juden zum Teil ihre Waren einlagerten in den Kellern von den christlichen Bewohnern der Stadt, die sie in den Wirtshäusern trafen. Wir zeigen auf einer Karte in Form von inszenierten Spaziergängen, wo diese Begegnungen stattfanden, so dass wir eigentlich eine Geschichte erzählen, die die gesamte Stadt Frankfurt als jüdischen Ort wahrnehmbar macht.
    Novy: Und ich habe gehört, dass der Name Rothschild von dem Haus namens "Rotes Schild" kommt?
    Wenzel: Die Häuser der Judengasse hatten Namen und die Familie Rothschild wohnte ursprünglich im Haus "Rotes Schild", siedelte dann um in das Haus "Zur Pfanne", weshalb das Hauszeichen der Familie Rothschild (denn diese Häuser hatten Zeichen, die über den Eingängen prangten) die Pfanne ist. Und dann siedelten sie mit Mayer Amschel, dem Begründer der Dynastie, die wir heute kennen, in das Haus "Grünes Schild" um.
    Novy: Mirjam Wenzel war das über das frisch eröffnete Museum in der Judengasse in Frankfurt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.