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Frankreich als Erbin des Alten Rom

Angela Merkel hatte sich in der letzten Woche mit dem französischen Staatspräsident Nicolas Sarkozy in einem Vier-Augen-Gespräch über die von Frankreich propagierte Mittelmeerunion unterhalten. Sarkozy hatte im Vorfeld mehrfach die Mittelmeerunion mit der EU verglichen und sogar die Montanunion als Vorbild bemüht für diese von ihm beworbenen Kooperation zwischen den südlichen EU-Länder mit den anderen Mittelmeer-Anrainerstaaten. Rudolph Chimelli, Auslandskorrespondent der SZ, denkt in der Europa-Kolumne über Sakozys Motive nach.

    Frankreich sieht sich gern als Erbin des Alten Rom. Wenn Präsident Sarkozy von einer Mittelmeer-Union spricht, dann hat er dabei neben handfesten wirtschaftlichen Interessen vor allem das Ziel im Auge, dass Paris als Schwerpunkt einer solchen Verbindung neues Gewicht in der vergrösserten EU finden könnte: Frankreich läge wieder mehr in der Mitte und weniger am Rand. Auch wenn sie nur bruchstückweise oder gar nicht stimmt, ist für Franzosen die Vision ungemütlich, das prosperierende Deutschland schaffe sich im Osten und Südosten des Kontinents politische Klienten. Von wirtschaftlichen und sozialen Problemen geplagt, liegt es für einen umtriebigen Mann wie den französischen Staatschef nahe, Rückhalt bei Schwächeren zu suchen. Schon im kommenden Jahr will Sarkozy auf einer Konferenz der Mittelmeer-Anrainer die Grundsteine seiner Union legen.
    Die Chancen stehen freilich nicht gut. Sehr laut hat Angela Merkel ihre Bedenken geäußert, dass der EU eine Spaltung drohe, wenn Deutschland sich stärker nach Osten und Frankreich sich mehr nach Süden orientierten. Als sich die Kanzlerin letzte Woche mit dem Präsidenten traf, einigten sich die beiden freilich schnell auf Formeln, um die Differenzen zu überkleistern. Politiker und Anwälte sind Meister in der Kunst, Worte zu finden, die wie "ja" klingen, aber "nein" bedeuten. Alle EU-Staaten sollen eingeladen werden, sich an der "verstärkten Kooperation" rund um das Mittelmeer zu beteiligen, so lautete diesmal der Zauberspruch. Angela Merkel konzedierte, auch wenn es keine Küste im Süden habe, sei das Mittelmeer für die Deutschland wie für alle Europäer wichtig. Aber sie blieb dabei: Wenn die Anliegerstaaten eine von der EU "völlig verschiedene Einheit" bildeten, wäre dies eine schwere Prüfung für die Gemeinschaft.
    Nichts ist bezeichnender, als dass Italien, par excellence das Kernland des römischen Mare nostrum, von Sarkozys Projekt aus ähnlichen Gründen wie Angela Merkel nichts wissen will. Die Spanier schweigen, während Portugal - obwohl es am Atlantik liegt - von Sarkozy von vornherein dazu gezählt wird. Aber die wahren Schwierigkeiten ergeben sich auf der anderen Seite des Mittelmeers. Als Sarkozy letzte Woche während seines Staatsbesuchs in Algerien für die Union warb, winkte Präsident Bouteflika höflich ab. Erst müsse er mehr über die Konturen und die Ziele des Projekts wissen. Den Barcelona-Prozess, den die Europäer 1995 für langfristige Kooperation entwarfen, will er auf keinen Fall gefährdet sehen. Sarkozys Vorschlag einer französisch-algerischen Achse innerhalb der Mittelmeerunion, verprellt ferner Marokko, den traditionellen Rivalen um Vorherrschaft im Maghreb. Und wenn der libysche Revolutionsführer Kadhafi am Montag zu einer offiziellen Visite in Paris eintrifft, wird Sarkozy aus erster Hand erfahren, was der selbstbewusste Libyer davon hält, dass nicht er die erste Geige in einer Mittelmeerunion spielen soll.
    Noch weniger ist die Türkei bereit, die Mitgliedschaft in einer solchen Union als Ersatzlösung für ihren EU-Beitritt zu akzeptieren. Da Sarkozy die Türken auf keinen Fall in der Gemeinschaft will, hat er von Ankara kein Wohlwolle zu erwarten. An ein Kernproblem des Projekts hat noch niemand gerührt: Israel liegt am Mittelmeer, aber eine Reihe arabischer Länder, die theoretisch noch Krieg gegen den jüdischen Staat führen, ebenfalls. Was würde in Sarkozys Mittelmeer-Union aus dem Noch-Nicht-Staat Palästina, was aus Gasa? Anders als zwischen dem französischen Präsidenten und der deutschen Kanzlerin sind solche Abgründe mit Worten nicht zu überbrücken.