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Frankreich beschließt Recht auf Wohnung

Zelt an Zelt reihten sich vor Weihnachten die Notunterkünfte der Obdachlosen am Pariser Kanal Saint Martin. Eine Protestaktion der Bewegung "Die Kinder Don Quichottes", die mit dazu betrug, dass Frankreich jetzt das Recht auf eine Wohnung gesetzlich verankert hat. Ob damit aber auch wirklich jeder Wohnungslose ein menschenwürdiges Dach über dem Kopf findet, wird vielerorts bezweifelt.

Von Martina Zimmermann |
    Präsident Chirac forderte dann in seiner Neujahrsansprache schnellstens ein Gesetz, das ein Recht auf Wohnung festschreibt: Jeder Obdachlose soll dieses Recht künftig einklagen können. Gestern ist der Begründer der Obdachlosenbewegung "Kinder Don Quichottes" wieder in ein Zelt gezogen: Die Regierung hat ihre Versprechen noch immer nicht eingelöst.


    Am Kanal Saint Martin in Paris stehen noch immer Zelte, in den letzten Tagen sind es sogar wieder mehr geworden, obwohl die Abgeordneten nun über ein Gesetz beraten, das ein "Recht auf Wohnung" fest schreibt. Der 29-jährige Gerard, seit sieben Jahren obdachlos:

    " Wir haben alle daran geglaubt, aber wir merken, dass sie lügen: man schickt uns in Unterkünfte, die genauso gesundheitsschädlich sind wie zuvor. Mich setzte man in ein Hotel, weil ich im Fernsehen gekommen bin. Die Leute sollen glauben, dass die Bewegung Erfolg hatte. In Wirklichkeit versucht der Staat, die Bewegung zu ersticken. "

    Der Senat hat bereits das grundsätzliche Recht auf Wohnung verabschiedet. Ab Ende nächsten Jahres sollen es diejenigen einklagen können, die am meisten gefährdet sind: Obdachlose oder Familien, die vor der Räumung stehen, Familien, die in Einsturz gefährdeten Häusern wohnen und Eltern mit minderjährigen Kindern, die in engen oder ungesunden Wohnverhältnissen leben. 2012 sollen dann auch alle anderen, die einen Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, gegen Behörden klagen können, die ihnen keine Wohnung zur Verfügung stellen.

    Er könne sich vorstellen, Klage einzureichen, erklärt Meriadec, der sich lieber als Hausbesetzer denn als Obdachloser bezeichnet:

    "Aber wenn ich an die Armen denke, die das aus verschiedenen Gründen nicht können: die werden weiterhin auf der Straße sterben!"

    Präsident Chirac wünschte das gesetzlich verankerte Recht auf Wohnung, aber die Regierung achtet bei der Umsetzung darauf, dass nicht Klagen in Millionenhöhe auf den Staat zukommen. Jean-Baptiste Eyrault von der Organisation Droit au Logement erklärt, wie kompliziert es sein wird, Klage einzureichen:

    " Nehmen wir an, ich lebe mit meiner Familie in einer viel zu engen Elendswohnung. Ich rufe eine Vermittlungskommission an, und die sagt nach einer gewissen Zeit, wir werden Ihren Fall untersuchen. Eines Tages erhalte ich dann vielleicht einen Brief von der Kommission, die sagt, Sie sind nicht vorrangig. Oder, seien wir positiv und nehmen an, die Kommission akzeptiert meine Forderung und schreibt, wir geben Ihren Wohnungsantrag an den Präfekten weiter. Seien wir noch mal optimistisch: Der Präfekt schickt mich nicht in eine Notunterkunft, sondern sagt okay, ich werde eine Gesellschaft des sozialen Wohnungsbaus beauftragen, Ihnen eine Wohnung zu geben. Wie lange das dauern darf, wird erst später per Dekret festgelegt. Nach dieser Frist habe ich immer noch keine Wohnung. Nun erst werde ich vor Gericht ziehen. "

    Wer sich keinen Anwalt leisten kann, muss noch die Zeit hinzurechnen, bis er Rechtshilfe bekommt, und wenn der Richter dann tatsächlich den Staat dazu verurteilt, jeden Monat eine bestimmte Summe Schadensersatz zu zahlen, dann geht das Geld nicht etwa an den Kläger, sondern in einen Regionalfond zum Bau von Sozialwohnungen. Ergebnis:

    " Ich finde mich in derselben Lage wieder wie zuvor, nämlich in einer engen Elendswohnung mit meinen Kindern. "

    Die derzeit 14 Prozent Sozialwohnungen reichen nicht aus, um alle Bedürftigen unterzubringen, und im privaten Sektor steigen die Mieten ins Unerschwingliche. Denn auf dem französischen Wohnungsmarkt übersteigt die Nachfrage das Angebot. Das neue Gesetz sieht immerhin den Bau von mehr Sozialwohnungen und Notunterkünften für Obdachlose vor. Doch das wird Jahre dauern und geht den Organisationen nicht weit genug. Michel Frechet als Präsident des Mieterverbandes Conféderation Generale du Logement fordert:

    " Eines Tages muss dann auch für den Privatsektor gesagt werden: Es reicht, Mieterhöhungen sind verboten. Da bräuchte es vielleicht ein Gesetz, das die Mieten festschreibt, wenn sie eine gewisse Höhe erreicht haben. Warum nicht 25 Prozent des Einkommens der Mieter? Im privaten Sektor gibt es Familien, die 30 bis 40 Prozent ihres Einkommens nur für die Miete ausgeben. Der Staat muss eines Tages sagen, jetzt reicht es, stopp! "

    Wenn ein Gesetz nicht ausreicht, fordert man eben ein neues.