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Frankreich
Ein Land im Schwebezustand

In Frankreich gärt es seit Langem. Höhepunkt waren zuletzt die Blockaden von Tankstellen und Treibstofflagern durch die Gewerkschaft CGT. Die Regierung wirkt zögerlich und unsicher. Vor allem Präsident Francois Hollande hält sich auffallend zurück, wenn es um kritische Themen geht. Lieber sonnt er sich in positiven Nachrichten und kleinen Erfolgen.

Von Jürgen König | 02.06.2016
    Mitglieder der Gewerkschaft CGT blockieren den Zugang zu einem Industriegebiet in Vitrolles in Südfrankreich.
    Mitglieder der Gewerkschaft CGT blockieren den Zugang zu einem Industriegebiet in Vitrolles in Südfrankreich. (AFP / Boris Horvat)
    Wer regiert eigentlich? fragten sich immer mehr Franzosen, als die Gewerkschaft CGT alle Raffinerien und Treibstoffdepots des Landes blockiert hatte und ankündigte, auch die Atomkraftwerke bestreiken zu wollen. Denn nicht nur tat die Regierung zunächst wenig und hatte dann erhebliche Mühe, die Blockaden aufzuheben – schlimmer noch: Regierungschef Manuel Valls wirkte verbissen und nervös, agierte wie aus einer Abwehrhaltung heraus, während Gewerkschaftsführer Philippe Martinez mit souveräner Ruhe angriffslustig war. Ohne Autorität wirkte diese Regierung plötzlich auf viele, selbst Polizisten beklagten das Fehlen klarer Anweisungen - und auffällig wurde, dass einer so gut wie gar nicht in Erscheinung trat: Präsident Francois Hollande. Auch im Ringen um das neue Arbeitsmarktgesetz nimmt der Präsident seit Wochen nur vage Stellung, sagte etwa, in Rungis bei Paris, bei der Eröffnung einer Markthalle mit Bio-Produkten:
    "Dieser Text muss beibehalten werden, und er muss als ein fortschrittlicher Text angesehen werden. Und er muss gelesen werden mit Blick sowohl auf die Angestellten wie auf die Unternehmer. Ich möchte die beiden nicht gegeneinander gestellt sehen. Damit es ein Unternehmen gibt, braucht es einen Chef des Unternehmens! Und es braucht die Beschäftigten! Und mehr als bisher, wir wollen ja die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Und das tun wir mit besser ausgebildeten, besser qualifizierten Arbeitnehmern, damit mehr Beschäftigung unser Land voranbringt."
    Die Präsidentschaftswahlen im Blick
    Mit solchen Reden versucht der Präsident, es allen recht zu machen. Konkret wird er nicht: kein Wort zu der Frage, die die Republik beschäftigt: Wird der umstrittene Artikel 2 zurückgezogen? Der sieht in bestimmten Unternehmen Haustarifverträge vor, ausgehandelt von Belegschaft und Geschäftsleitung, man wäre dann nicht mehr an Branchentarife gebunden. Die CGT will den Artikel komplett gestrichen sehen. Wird er nicht, sagt Manuel Valls. Muss er aber, beharrt Philippe Martinez. Genau in diese Situation hinein fiel ein öffentlich geäußerter Satz von Finanzminister Michel Sapin, von dem man weiß, dass er ein besonders enger Vertrauter von Francois Hollande ist. Über Artikel 2 könne man reden, sagte Sapin beiläufig. Sagte er diesen Satz im Auftrag des Präsidenten?, fragte sofort die dauererregte mediale Öffentlichkeit: weil der sich beim Volk - mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen - beliebt machen wolle? Und Manuel Valls zwingen, noch einmal den hart Entschlossenen zu geben? Damit der beim Volk noch unbeliebter werde? Dass dessen Beliebtheitswerte in den letzten Wochen rapide gesunken sind – muss es Präsident Hollande nicht gelegen kommen? Steckt vielleicht eine Strategie dahinter: Will der Präsident einen Konkurrenten ausschalten? Tatsächlich reagierte Manuel Valls sofort und öffentlich: die Philosophie des Artikels 2, Tarifverhandlungen innerhalb der Unternehmen - das werde nicht angetastet.
    "Es geht besser"
    Es entsteht das Bild einer Regierung, die nicht zusammenhält. Als wolle niemand einen Fehler machen und sich nie bei irgendetwas festlegen, wird Premierminister Manuel Valls die Hauptkampflinie der Arbeitsmarktreform vollkommen alleine überlassen. Eine Spaltung der Sozialistischen Partei wegen dieser Reform möchte Francois Hollande unbedingt vermeiden, er braucht die Parteilinke für seine Wiederwahl. Auch die Unterstützung des öffentlichen Dienstes braucht er, sehr viele aus dessen Reihen haben ihn schon einmal zum Präsidenten gewählt, doch gerade sie sind enttäuscht und protestieren. Also setzt sich, deutlich erkennbar, Hollande seit einigen Wochen, wo es geht, mit guten Nachrichten in Szene: Das gestiegene Wachstum, die zum ersten Mal seit fünf Jahren den zweiten Monat in Folge gesunkene Zahl der Arbeitslosen: immer war Francois Hollande medial sofort präsent: "Ca va mieux", es geht besser, sagte er wörtlich und stellte sogleich Steuererleichterungen für Geringverdiener in Aussicht. Dieses "ca va mieux" wurde von den Medien intensiv diskutiert und wiederum reagierte Francois Hollande schnell, sagte, in einem Unternehmen, das er besuchte: "Als ich gesagt habe, dass es besser wird, habe ich viele getroffen, die mir gesagt haben, dass das für sie nicht zutrifft. Und das stimmt! Und das kann ganz unerträglich sein: wenn man selber in Schwierigkeiten steckt, den Präsidenten zu hören, der sagt, dass es besser geht. Aber wenn wir keine Vision zu unserem Schicksal haben – wer gibt uns dann den nötigen Mut?"
    Dass Francois Hollande für eine zweite Präsidentschaft kandidieren wird, gilt als sicher; er selber schweigt. Vorwahlen bei den Linken? Keiner weiß es. Die befürchtete Spaltung der französischen Gesellschaft: mit sehr gut versorgten Älteren, die Jüngeren im Prekariat? Kein Wort dazu.
    Ein Schwebezustand, für viele schwer erträglich.