Samstag, 20. April 2024

Archiv


Frankreich führt Europa-Debatte

Der französische Präsident Francois Hollande plädiert für ein anderes, solidarisches Europa. Denn in Frankreich wünschen sich viele wieder eine größere Entscheidungsmacht der eigenen Regierung innerhalb der EU.

Von Ursula Welter | 31.01.2013
    1994, in seiner letzten Neujahrsansprache als Staatspräsident, hob der Sozialist Francois Mitterrand den Zeigefinger:

    "Die Zukunft Frankreichs führt über Europa. Indem wir dem einen dienen, dienen wir dem anderen."

    Auch Francois Mitterrand stand für ein Europa, in dem Frankreich einen herausragenden Platz beanspruchte. Als Nuklearmacht, als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, als Land mit einer eigenen industrie- aber auch geldpolitischen Tradition. Und doch war es Mitterrand, der gemeinsam mit Helmut Kohl die Tür zur Europäischen Währungsunion aufgestoßen hat.

    Der Appell des Sozialisten für Europa kurz vor dem Ende seiner Amtszeit, Mitterrand war damals schon schwer krank, galt auch den Zweiflern in den eigenen Reihen.

    Die Intellektuellen Frankreichs hatten die Debatte um die Währungsunion mit großer Skepsis begleitet. Das "Modell Bundesbank" war vielen suspekt und ist es bis heute, nun im Gewand der EZB.

    Stets geht und ging es in Frankreich um die "pouvoir politique", darum, dass die Politik ihre Macht nicht aus der Hand geben dürfe, auch nicht in Wirtschafts- und in Haushaltsfragen.

    Der Streit um den Fiskalpakt, den bis heute einige Sozialisten ablehnen, steht dafür. Für die Regierungspartei ist die Lage heikel: 2005 haben viele Sozialisten laut "Nein" gesagt haben zum Europäischen Verfassungsvertrag, darunter Prominente, wie der heutige Außenminister Laurent Fabius oder Europaminister Bernard Cazeneuve. Diese Zeit ist sehr präsent in den Köpfen. Auch deshalb versucht es die neue Führung unter Francois Hollande mit einer Wortkonstruktion, in der viel steckt:

    "Das, was der Staatspräsident die "solidarische Integration" genannt hat",

    erklärt Premierminister Jean-Marc Ayrault im Parlament:

    "Denn die Europäische Währungsunion braucht eine Vertiefung auf ökonomischer und auf Haushaltsebene, aber eben auch auf Ebene der Banken, der Steuern, der sozialen Fragen und der Demokratie."

    Präsident und Premier sagen, sie wollen ein anderes Europa. Auch, damit es nicht wirkt, als werde Frankreich die Debatte von außen aufgedrückt. Denn das befördert große Skepsis in einem Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung sagt, sie wünsche sich wieder größere Entscheidungsmacht für die eigene Regierung, weniger für die Instanzen in Brüssel. Und in einem Land, in dem ein Drittel der Wähler das Kreuzchen zuletzt am äußeren rechten oder linken Rand gemacht hat. Immer geht es dabei auch um die Souveränität Frankreichs, die die radikalen Parteien vorgeben, am besten verteidigen zu können:

    "Ich werde die Freiheit für das französische Volk zurückholen",

    sagt die Chefin des rechten Front National, Marine Le Pen, die – obwohl Europaabgeordnete - gegen dieses Europa zu Felde zieht, den Euro abschaffen und die Grenzen Frankreichs schließen möchte. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums, ganz links außen, Jean-Luc Melenchon:

    "Mit dieser Austeritätspolitik wird der alte Kontinent ins Verderben gestürzt",

    sagt Melenchon und meint damit die Politik Deutschlands und Angela Merkels, die in Brüssel den Ton angebe, wogegen Frankreich sich stemmen müsse.

    Aber die antieuropäische Stimmung findet sich eben nicht nur an den äußeren Rändern des politischen Spektrums. Die Hilflosigkeit angesichts der Globalisierung, die Angst vor dem Verlust französischer Identität ist weit verbreitet. Eine Angst, die sich gegen Europa richtet.

    Deshalb versuchen Staatspräsident Hollande und Premier Ayrault, die Europadebatte in Frankreich in ein sanftes Licht zu tauchen.

    "Ein Europa des Vertrauens schaffen",

    nennt das Premier Ayrault.

    Ein Europa, das weniger geprägt sein soll von der deutsch-französischen Achse. Francois Hollande legte zu Beginn seiner Amtszeit viel Energie in die Annäherung an Italien, Spanien, er sucht nicht zuletzt in Südeuropa Verbündete für seine Europapolitik.

    Dass es nun doch einen deutsch-französischen Vorstoß für die Vertiefungsdebatte der EU geben soll, ist vor diesem Hintergrund bemerkenswert – aber: Hollande hat durchgesetzt, dass die Sozialpartner in die Diskussion eingebunden werden. Auch das ein Mittel, um die aufkeimende Debatte daheim abzufedern. Der neue Staatspräsident sagt, es sei Frankreich unter seiner Führung, dass dieses neue Europa, ein sozialeres Europa eben, auf den Weg gebracht habe.

    Die Frage, wie die Institutionen Europas damit aussehen sollen, wie viel Souveränität von Paris nach Brüssel wandert, ist damit noch lange nicht beantwortet. Nur so viel ist klar: Jemand wie die Arbeitgeberpräsidentin, Laurence Parisot, steht auf verlorenem Posten:

    "Wir französischen Unternehmensführer fordern ganz klar ein föderales Europa."

    Die politische Klasse Frankreichs ist so weit aber nicht: Einen europäischen Bundesstaat, in dem die Französische Republik untergehen könnte, fürchten viele wie der Teufel das Weihwasser.

    Die Serie im Überblick:
    Europa heute: Love it or leave it? - Die Debatte über die Zukunft der EU