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Frankreich
Paris diskutiert über Beutekunst

Die Debatte um Beutekunst hat nun auch Frankreich erreicht. In einer groß angelegten Rechercheaktion will die oberste Kulturpolitikerin des Landes gestohlene und beschlagnahmte Bilder an ihre ursprünglichen Besitzer zurückgeben.

Von Ursula Welter | 12.03.2014
    Der Festsaal des französischen Kulturministeriums: Trikolore und Europaflagge sind aufgebaut, ein Rednerpult, drei Kunstwerke. Das Landschaftsbild von Joos de Momper, in der Mitte, war vermutlich für Hitler persönlich bestimmt. Links daneben: ein Frauenbildnis, Werk eines anonymen, französischen Malers aus dem 18. Jahrhundert. Rechts außen: "Die Jungfrau mit Kind" von Lippo Memmi, 14. Jahrhundert. Vor dem sakralen Gemälde strahlen drei Männer in die Kameras.
    "Wir sind ein wenig vor der Zeremonie hierhergekommen, denn es ist das erste Mal, dass wir das Bild sehen.“
    Die Erben des rumänischen Diplomaten Richard Soepkez sind aus der ganzen Welt angereist.
    "Die französische Republik hat das Gemälde ins Internet gestellt, andernfalls hätten wir es nicht entdeckt."
    Fotos fürs Familienalbum werden gemacht, Interviews gegeben, da tritt Frankreichs junge Kulturministerin ans Rednerpult.
    Aurelie Filippetti spricht von der Entschlossenheit Frankreichs, die Restitution, die Rückgabe der Raubkunst weiterzuverfolgen:
    Sie sagt, die französischen Museen, der Staat seien nur provisorische, vorübergehende Hüter der Kunstwerke. Und:
    "Rückgabe ist eine moralische Verpflichtung."
    Vor einem Jahr genau hatte die Ministerin sieben Gemälde an die rechtmäßigen Besitzer übergeben können, diesmal sind es drei. Ein kleiner Teil des Raubkunst-Bestandes der Nazi-Zeit, der bis heute in französischem Besitz ist.
    "2000 Werke befinden sich noch auf der Liste der MNR, der 'Musées Nationaux Récupération' ."
    Erklärt die Senatorin Corinne Bouchoux, die für den Senat gerade einen Bericht über den Stand der Rückgabebemühungen verfasst hat.
    Ende des Zweiten Weltkrieges waren einige zehntausend Werke und Objekte nach Frankreich zurückgebracht worden, ein großer Teil konnte früheren Besitzern zugeordnet werden. Anderes wurde verkauft. 2000 künstlerisch hochwertige Werke wurden den französischen Museen anvertraut – diese MNR-Liste gilt es, abzuarbeiten:
    "Von den 2000 Gemälden sind wir in 1000 Fällen inzwischen weitergekommen, in 1000 ist es schwer, aber wir müssen weiter daran arbeiten."
    Senatorin Bouchoux ist Mitglied der Gruppe aus Politik, verschiedenen Ministerien, den nationalen Archiven, der Shoah-Gedenkstätte, die nun einmal im Monat tagt, um sich der Beutekunst und der Suche nach den rechtmäßigen Besitzern zu widmen.
    Der Louvre stellt sich noch quer
    Die Senatorin, deren Mutter Deutsche ist, wechselt die Sprache und sagt:
    "Es ging alles sehr langsam, man hätte es anders tun können, aber was geschehen ist, ist geschehen und es ist gut, dass man jetzt etwas proaktiv ist, die Ministerin hat es gesagt und sie hat den Willen, dass das jetzt anders wird.“
    In 145 konkreten Fällen erforscht die französische Regierung derzeit die Besitzverhältnisse, Kunstwerke, bei denen es sich ganz ohne jeden Zweifel um "Raubkunst" handelt. In 28 gebe es heiße Spuren, erklärt die Kulturministerin in ihrer Fest-Ansprache. Die Liste mit den 145 Werken werde veröffentlicht.
    "In Frankreich war es geschichtlich so, dass man immer warten musste, bis sich die Familien melden. Aber die Familien konnten sich nicht melden, weil sie nicht wussten, wo die Gemälde sind. Das war das Problem.“
    Betont auch Senatorin Bouchoux. Der politische Wille sei ausgeprägter als bislang, meint sie. Allerdings trete auch in Frankreich noch manche Institution auf die Bremse, der Louvre gehöre dazu, deutet sie unter vier Augen an, als das Buffet bereits eröffnet ist.
    Zuvor waren im Festsaal nacheinander die ans Rednerpult getreten, die als rechtmäßige Besitzer ausfindig gemacht werden konnten.
    "Zwei Generationen haben nicht ausgereicht."
    Sagt der Enkel von Rosa und Jakob Oppenheimer. Die Anwälte der Familie hatten 2013 Anspruch auf Rückgabe der Frauendarstellung aus dem 18. Jahrhundert erhoben, die der Familie nun feierlich überreicht wurde.
    "Recherchieren ist ganz und gar nicht einfach, das ist schwierig zu verstehen, es gibt manchmal nur Buchstaben - man versteht gar nichts."
    Die Erbin des belgischen Bankiers Cassel van Doorn schildert die Schwierigkeiten, vor denen eine weitverzweigte Familie steht, die nur weiß, dass eine deutsch-französische Einheit 1943 den Besitz im Süden Frankreichs plünderte, darunter das Landschaftsbild, MNR 410.
    Auf den Stühlen am Rande des Saals sitzen viele Anwälte und hören aufmerksam zu, als die Kulturministerin verkündet, sie werde ihre Justizkollegin nun bitten, alle juristischen Möglichkeiten für eine schnellere Rückgabepraxis zu prüfen.
    Für die Familien, die Opfer der Nazi-Raubzüge wurden, ist all das aber nicht nur eine Frage von Paragrafen.
    "Ein Bild zurückzuerhalten, heißt nicht einfach, ein Bild zu erhalten. Es bedeutet Erinnerung, bedeutet, eine Identität zurückzubekommen."