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'Frankreich soll Veto gegen Irak-Krieg einlegen'

Heuer: Heute Nachmittag mitteleuropäischer Zeit wird Außenminister Powell dem Weltsicherheitsrat Beweise dafür vorlegen, dass Irak doch Massenvernichtungswaffen besitzt und die UN-Inspekteure seit zwei Monaten an der Nase herumführt. Powells Auftritt und die sich anschließende Debatte im Sicherheitsrat werden möglicherweise die vorentscheidenden zwei wichtigen Punkte bringen, erstens dürfte sich die Kriegsentschlossenheit der US-Regierung beweisen, und zweitens wird sich heute Abend wenigstens abzeichnen, ob der Sicherheitsrat gewillt ist, die Vereinigten Staaten von Amerika darin zu unterstützen oder nicht. Dies alles geschieht auch vor dem Hintergrund von Unstimmigkeiten in Europa. Deutschland, in Tun und Taktik vorsichtiger auch Frankreich, haben sich ja zu Wortführern gegen einen Irakkrieg gemacht. Auch andere von Großbritannien und Spanien angeführte europäische NATO-Staaten haben daraufhin in einem offenen Brief den USA nachdrücklich ihre Solidarität zugesichert. Über die Zuspitzung im Irakkonflikt, die Bedeutung der Vereinten Nationen und die Rolle der Europäer möchte ich jetzt mit dem Vorsitzenden der Sozialisten im französischen Parlament sprechen. Guten Morgen, Jean-Marc Ayrault.

    Ayrault: Guten Morgen.

    Heuer: Ein bisschen was ist ja schon bekannt über die Beweise, die Colin Powell vorlegen möchte. Die Rede ist von Tonbändern, auf denen Irakis sich über die UN-Inspekteure lustig machen. Es soll Luftaufnahmen von Lastwagen geben, die angeblich als mobile Biolabore benutzt werden, und Satellitenbilder, die zeigen, wie waffenverdächtige Örtlichkeiten vor UN-Kontrollen aufgeräumt werden. Würde das für einen Krieg ausreichen?

    Ayrault: Ich glaube nicht. Ich glaube nicht an die sogenannten Beweise, die Colin Powell heute vorlegen wird. Für uns Sozialisten im französischen Parlament bedeutet das, dass die Amerikaner diesen Krieg unbedingt führen wollen, und das ist für den Frieden in dieser Region sehr gefährlich. Wir sind immer dagegen.

    Heuer: Bei welchen Beweisen würden denn auch die französischen Sozialisten sagen, ein Krieg gegen den Irak ist nicht mehr zu umgehen?

    Ayrault: Wir denken, dass der Nahost-Konflikt die Priorität bleibt, und die Vereinten Nationen, USA, Russland und Europa müssen vor allem diesen Konflikt regeln. Irak ist natürlich ein Problem, Bagdad ist ein Problem, aber der Krieg ist absolut nicht notwendig und wäre sehr gefährlich für die Massen in Arabien, für die radikalen Islamisten. Das würde zu einem Zivilisationskonflikt führen, den wir unbedingt vermeiden wollen. Wir denken, dass die Erdölfrage nicht hinter uns ist, und es ist unheimlich, dass die USA diesen Krieg unbedingt machen wollen.

    Heuer: Verstehe ich Sie richtig, dass die französischen Sozialisten unter gar keinen Umständen einen Irakkrieg befürworten würden?

    Ayrault: Es gibt keine Mehrheit in Frankreich für diesen Krieg, und wir verlangen von der französischen Regierung, dass Frankreich sein Vetorecht im Sicherheitsrat unbedingt nutzen muss. Das verlangen wir seit mehreren Wochen vom Präsidenten Chirac im Parlament. Wir hoffen, dass Präsident Chirac seine Stellungnahme nicht verändert. Man spricht von Isolation für Deutschland und Frankreich, aber für Frankreich denken wir, dass die Stellungnahme vom Präsidenten Chirac gut ist. Das muss so bleiben, auch nach der Rede von Colin Powell.

    Heuer: Sie hoffen darauf, sagen Sie, dass Frankreich sein Vetorecht wahrnehmen wird. Sind Sie sicher, dass Frankreich dies tut?

    Ayrault: Ich weiß es nicht. Ich fürchte, dass Frankreich am Ende sein Vetorecht nicht nutzt, und wir verlangen im Parlament eine Debatte für nächste Woche in der Nationalversammlung - wir haben bisher noch keine Antwort -, und ich hoffe, dass wir diese Diskussion haben werden. Aber wir verlangen auch eine Abstimmung vom Parlament, und ich bin, was diese Idee der Abstimmung betrifft, sehr pessimistisch, also ich glaube, dass die konservative Mehrheit im französischen Parlament sowie die Regierung gegen eine Abstimmung im Parlament sind.

    Heuer: Sie haben die deutsch-französische Achse angesprochen. In der Irakfrage sind beide Staaten vorsichtig der eine, entschiedener der andere?

    Ayrault: Ich fand es sehr gut, und ich hoffe, es bleibt so. Was Europa betrifft, bin ich sehr pessimistisch, weil der Text von diesen acht Regierungschefs von Europa die Schwäche von Europa beweist, und wir brauchen ein starkes Europa für verschiedene Fragen. Ich denke vor allem an diese Kluft, die sich zwischen Nord und Süd erweitert, und das ist auch gefährlich. Ich verstehe die Position der Amerikaner nicht. Nach dem 11. September haben wir gehofft, dass die Amerikaner endlich diese Notwendigkeit für eine Entwicklung der Dritten Welt verstehen, aber bisher ist es nicht der Fall.

    Heuer: Sie haben jetzt den Brief der Acht angesprochen, der ja verstanden wurde als Signal gegen die deutsch-französische Vorreiterrolle in der EU gegen einen Irakkrieg. Hätten Frankreich und Deutschland dennoch aus diplomatischen Gründen schon allein ihre Initiative besser mit den anderen europäischen NATO-Staaten absprechen müssen?

    Ayrault: Ja, wir haben bis jetzt einen Meinungsunterschied mit Tony Blair, mit der englischen Regierung sowieso, auch mit der italienischen und der spanischen. Ich glaube, dass die Meinung in unseren Ländern, aber auch in Spanien, Italien und zum Teil in Großbritannien gegen diesen Krieg ist. Man spürt, dass dieser Krieg sehr gefährlich für den Frieden in der Welt wäre, vor allem für den Frieden in dieser Region und mit den wirtschaftlichen Konsequenzen für die ganze Welt.

    Heuer: Dennoch wird Frankreich, besonders aber Deutschland der Vorwurf gemacht, hätte sich Deutschland diplomatischer verhalten, hätte es möglicherweise mehr erreicht. Diesen Vorwurf teilen Sie auch nicht?

    Ayrault: Die deutsch-französische Verständigung ist nach den 40 Jahren Ellysee-Vertrag vorhanden. Es war doch ein schönes Ereignis für unsere beiden Länder und auch für Europa. Was ist fürchte, ist die Schwäche von Europa für die Zukunft, und die Prioritäten für unsere Länder, nicht nur für Deutschland und Frankreich, sondern für die anderen Länder. Vor allem nach der Erweiterung Europas besteht die Notwendigkeit, ein starkes Europa zu bauen, also nicht nur auf der Ebene der Wirtschaft und Währung, sondern auch auf der Ebene der internationalen Politik, der Verteidigungspolitik. Wir haben der Welt etwas zu sagen. Es die Wahl einer europäischen Gesellschaft, des Wohls der Staaten und die Entwicklung zu fördern. Wenn wir den Amerikanern folgen, entfernen wir uns von diesem Ziel eines starken Europas, und das ist gefährlich für die Zukunft. Ich möchte die Gelegenheit nutzen zu sagen, dass ich hoffe, dass die Stellungnahme von Deutschland und Frankreich stark bleibt.

    Heuer: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio