Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Frankreich zwischen Wahlversprechen und Finanzrealität

Frankreich stehen Mitte Juni erneut Wahlen bevor. Diesmal wird über die Parlamentssitze abgestimmt. Die Gewerkschaften nutzen den Wahlkampf, um ihre Forderungen einzubringen und werden Präsident Francois Hollande an seine Wahlversprechen erinnern.

Von Ursula Welter | 31.05.2012
    "Ich würde gerne jetzt in den Ruhestand gehen, solange man beweglich ist, muss man das ausnutzen,"

    … sagt dieser Mann. Wie viele hofft auch er, dass die Rente mit 60 schon bald wieder möglich sein wird. Die neue Regierungsmannschaft hat versprochen, die Rentenreform von Nicolas Sarkozy rückgängig zu machen. Wie das im Detail aussehen soll, wird mit den Gewerkschaften verhandelt.

    "Also, wenn die Arbeitslosigkeit, die Erziehungszeit, wenn das nicht angerechnet wird, dann muss ich noch bis zum Schluss, obwohl ich mit 19 angefangen habe und immer gearbeitet habe,"

    … sagt diese Frau. Die Erwartungen sind hoch gesteckt. Als in dieser Woche die Gewerkschaftsvertreter, einer nach dem anderen, vom Premierminister empfangen wurden, hatte jeder Bitten und Wünsche im Gepäck:

    "Arbeitslosigkeit, Mutterschutz, Fortbildungsmaßnahmen, all das muss angerechnet werden für die Rentenzeiten,"

    … sagte Jean-Claude Mailly für die Gewerkschaft "Force Ouvrier".

    "Wir möchten, dass der Mindestlohn SMIC angehoben wird"

    … unterstrich Francois Chereque für die Gewerkschaft CFDT. Auf 1098 Euro beläuft sich das Mindesteinkommen in Frankreich, die Arbeitnehmervertreter und, weil Wahlkampf ist, auch die Kandidaten der linken Parteien, überbieten sich in den Forderungen:

    "Manche denken, man könnte das Mindesteinkommen auf 1400, 1700 Euro anheben, das ist ökonomisch völlig unrealistisch."

    Warnt Jean-Francois Roubaud, der die kleinen und mittleren Unternehmen in Frankreich vertritt. Ein Viertel aller Mindestlöhne wird in seinem Bereich gezahlt.

    Nach der gewonnenen Präsidentschaftswahl arbeitet Francois Hollande seine Wahlversprechen nach und nach ab: Weil er ein einfacher Präsident sein wird, fährt er mit dem Zug von Paris zum EU-Gipfel nach Brüssel; weil er ein entschlossener Präsident sein will, zieht er seine Soldaten aus Afghanistan ab; weil er sich von Angela Merkel nichts diktieren lassen möchte, setzt er auf Wachstumsprogramme in Europa und stellt den Fiskalpakt infrage; und weil er ein gerechter Präsident sein will, werden den Spitzenmanagern in Betrieben mit Staatsbeteiligung gerade drastisch die Gehälter gekürzt:

    "Die ungerechte Rentenreform wird rückgängig gemacht, vor allem für die, die früh eingezahlt haben."

    Wiederholt Hollande auch diese Zusage, und was den Mindestlohn angeht, ja, da wird es eine Anhebung geben:
    "Vor den Parlamentswahlen Mitte Juni wird all das freilich nicht sehr viel konkreter werden,"

    … für Juli habe er die Sozialpartner eingeladen, sagt Hollande, und natürlich müsse auch gespart werden, denn man könne nur Geld ausgeben, das man auch habe.

    Die Gewerkschaften könnten die Ersten sein, die enttäuscht werden, warnen politische Beobachter in Frankreich. Der lange Wahlkampf habe Hoffnung auf zu Vieles gemacht. Der Druck wächst und auch die neue Regierungsmannschaft steht vor dem Problem, dass Frankreichs Gewerkschaftslandschaft zersplittert, in Detailfragen zerstritten ist.

    "Wir lassen uns nicht an der Nase herumführen,""

    … sagt dieser Gewerkschafter eines großen Autokonzerns, dessen Werk vor der Schließung steht – die hohen Arbeitskosten in Frankreich vertreiben womöglich auch diesen Betrieb. Im Wahlkampf hatte Francois Hollande versprochen, etwas für sie zu tun, sollten sie ihn wählen, 6. Mai. Seither haben die Arbeiter nichts von Francois Hollande gehört:

    ""Einmal gewählt, und dann nichts zu tun, so läuft das nicht, wir Arbeiter sind mächtig,"

    … schickt er seine Botschaft in den Präsidentenpalast. Die frischgebackene Opposition schaut sich das Spiel an.

    "Einseitige Entscheidungen, höhere öffentliche Ausgaben, höhere Lohnkosten, Rentenreform rückgängig machen, solche Maßnahmen sind gefährlich. Ein solches Signal aus Frankreich, das kann die angespannte Lage in Europa weiter verschärfen,"

    … sagt Francois Fillon, der frühere Premierminister.

    Mitte Juni können Frankreichs Wähler entscheiden, ob sie mit den ersten Schritten des neuen Präsidenten und seiner Mannschaft zufrieden sind. Derzeit sieht es nach einer stabilen Mehrheit für die Sozialisten auch in der Nationalversammlung aus.