Afghanistan, Kapisa-Provinz, ein paar Dutzend Kilometer nordöstlich von Kabul. Entlang dem von Taliban besetzten Tagab-Tal hat die französische Armee einer Reihe kleiner Vorposten stationiert, sogenannte COPs. Um dorthin Nachschub zu liefern fahren, schieben sich gut einmal pro Tag ein paar gepanzerte Fahrzeuge über Serpentinen und Schotterpisten die Berge zu diesen Combat Outposts hinauf. Der Rest der Strecke kann oft nur zu Fuß bewältigt werden.
Nachdem ein Vorauskommando die Lage rund um COP Nummer 46 ausgespäht hat, steigen die Soldaten mit dem Nachschub aus. Der Kommandeur des Außenpostens, Capitaine Gerber, dirigiert die Kisten weiter und kraxelt uns dann voraus bis zu einem Aussichtspunkt, von dem aus die Dörfer unten im Tagab-Tal zu sehen sind. Mit den Taliban, die sich hier versteckt halten, sagt er, gebe es beinahe täglich kürzere Schusswechsel oder Scharmützel.
"Wenn wir von hier aus bloß 100 Meter weitergingen, würden die Taliban uns ein paar Kugeln verpassen, um uns zu sagen: Es ist gar nicht gut, wenn ihr weitergeht."
Beim Essen, hinter dem sandgefüllten Wall des Außenposten, redet ein französischer Feldwebel Klartext: Die Stimmung sei nicht gut. Frustration breite sich aus. Französische Soldaten würden in der Regel aus der Zivilbevölkerung heraus angegriffen und könnten sich nicht wehren.
"Oft tragen sogar Kinder die Munition für die Taliban. Oder die Taliban erscheinen im Fenster eines Zivilhauses und schießen eine Panzerfaust auf uns ab. Wir orten sie, um sie auszuschalten, wenn sie sich das nächste Mal zeigen. Aber das nächste Mal tauchen sie mit einem Kind in den Armen auf. Dann sind wir gehemmt, wir können nicht schießen, sonst würde vielleicht das Kind getroffen."
Mit vielen Schwierigkeiten und Kontakten über afghanische Mittelsmänner, gelingt es, an einem geheimen Ort zwei Dorfchefs aus dem Tal zu treffen. Ja, bestätigen sie, die Bevölkerung des Tals arbeite mit den Taliban zusammen, sagt Dorfchef Abderrab. Aber in der Regel deshalb, weil sie dazu gezwungen sei.
"Die Dorfbewohner sind den Aufständischen einfach unterlegen. Es gibt so viele ausländische Kämpfer in unserem Tal. Was könnten wir dagegen machen? Wir haben zu viele Beispiele dafür gesehen, was mit denjenigen passiert, die mit der Regierung oder der ISAF kooperieren. Heute arbeiten sie mit der ISAF zusammen, morgen findet man ihre Leichen irgendwo ohne Köpfe."
Weder die afghanischen noch die ausländischen Truppen könnten die Dorfbewohner wirksam schützen. Das liege an der Taktik der Taliban.
"Wenn die Aufständischen die Franzosen angreifen, tun sie das von Orten aus, an denen sich Zivilisten aufhalten. Deshalb schrecken die Franzosen vor Angriffen zurück und überlassen den Taliban das Feld."
Immer wieder versuchen die Franzosen in gemeinsamen Aktionen mit der afghanischen Armee, Stützpunkte die Taliban von der Zivilbevölkerung zu isolieren, und wenn das geglückt scheint, blitzschnell anzugreifen.
In der größten französischen Basis, in Camp Tora werden die Mannschaften vor ihren Panzerfahrzeugen versammelt, gebrieft, und dann in getrennten Kolonnen in Marsch gesetzt.
Eine gepanzerte Kolonne arbeitet sich über Gebirgspisten in Richtung des Tales vor. Die auffälligen Fahrzeuge bewegen sich mit Hochgeschwindigkeit. Dennoch wirbeln sie im wahrsten Sinne des Wortes viel Staub auf und verraten, dass ein Angriff unmittelbar bevorsteht.
Kurz bevor die Angriffsposition erreicht ist, hält das Führungsfahrzeug plötzlich an. Funksprüche gehen hin- und her. Der Kommandant bittet um eine Bestätigung. Versteht er richtig? Soll er wirklich umkehren - zurück zur Ausgangsbasis nach Camp Tora?
"An alle Fahrzeuge. Umkehren! Wir fahren zurück nach Tora."
Am nächsten Tag verbreitet sich die Nachricht für den Grund des Abbruchs. Der französische Oberst, der die Aktion geleitet hat, wirkt deprimiert.
"Die gestrige Operation ist abgesagt worden auf Anordnung der 101. US-amerikanischen Division, unter deren Oberkommando unserer französische Brigade steht."
Und die US-Armee hat befunden, dass die Offensive zu viele zivile Opfer verursachen würde. Nur, so grollen die französischen Offiziere: Hätten die Amerikaner das nicht vorher so entscheiden können - ehe man die Angriffsmaschine ins Rollen brachte? Jetzt zeige man den Aufständischen wieder mal: Die Franzosen werden zurückgepfiffen, sie sind zur Tatenlosigkeit verdammt. Der Oberst kann seinen Frust nur mit Mühe verbergen.
"Sollten Sie mich fragen wollen, ob es mich persönlich stört, dass die Operation nicht stattfindet, dann sage ich Ihnen: Ja, ich hätte es vorgezogen, wir hätten sie unternommen."
Wachsende französische Verluste: Zuletzt im Juni vier Tote, unter Zivilisten von einem als Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt, der sich als Frau verkleidet hatte; die Erkenntnis, dass die Probleme militärisch einfach nicht zu lösen sind; mutmaßlich wohl auch Differenzen mit der US-Armee über die Einsatzplanung in der Kapisa-Provinz – dies dürfte hinter der Entscheidung des französischen Präsidenten Francois Holland stehen, Frankreichs Kontingent vorzeitig, Ende 2012 aus Afghanistan zurückzuziehen. Nach zehn Jahren, mageren Ergebnissen und beinahe 90 Gefallenen.
Und vielleicht klingt dann die Verabschiedung des letzten Kontingents ganz ähnlich wie das, was ein Offizier seinen Untergebenen sagt, nachdem ihr Angriff auf die Taliban überraschend abgebrochen wurde:
"Ich fordere euch auf, diese Entscheidung ohne Bitterkeit hinzunehmen. Und zwar mit einem Lächeln auf den Lippen. Wir werden mit dem gewohnten Dienst fortfahren. – weggetreten!"
Nachdem ein Vorauskommando die Lage rund um COP Nummer 46 ausgespäht hat, steigen die Soldaten mit dem Nachschub aus. Der Kommandeur des Außenpostens, Capitaine Gerber, dirigiert die Kisten weiter und kraxelt uns dann voraus bis zu einem Aussichtspunkt, von dem aus die Dörfer unten im Tagab-Tal zu sehen sind. Mit den Taliban, die sich hier versteckt halten, sagt er, gebe es beinahe täglich kürzere Schusswechsel oder Scharmützel.
"Wenn wir von hier aus bloß 100 Meter weitergingen, würden die Taliban uns ein paar Kugeln verpassen, um uns zu sagen: Es ist gar nicht gut, wenn ihr weitergeht."
Beim Essen, hinter dem sandgefüllten Wall des Außenposten, redet ein französischer Feldwebel Klartext: Die Stimmung sei nicht gut. Frustration breite sich aus. Französische Soldaten würden in der Regel aus der Zivilbevölkerung heraus angegriffen und könnten sich nicht wehren.
"Oft tragen sogar Kinder die Munition für die Taliban. Oder die Taliban erscheinen im Fenster eines Zivilhauses und schießen eine Panzerfaust auf uns ab. Wir orten sie, um sie auszuschalten, wenn sie sich das nächste Mal zeigen. Aber das nächste Mal tauchen sie mit einem Kind in den Armen auf. Dann sind wir gehemmt, wir können nicht schießen, sonst würde vielleicht das Kind getroffen."
Mit vielen Schwierigkeiten und Kontakten über afghanische Mittelsmänner, gelingt es, an einem geheimen Ort zwei Dorfchefs aus dem Tal zu treffen. Ja, bestätigen sie, die Bevölkerung des Tals arbeite mit den Taliban zusammen, sagt Dorfchef Abderrab. Aber in der Regel deshalb, weil sie dazu gezwungen sei.
"Die Dorfbewohner sind den Aufständischen einfach unterlegen. Es gibt so viele ausländische Kämpfer in unserem Tal. Was könnten wir dagegen machen? Wir haben zu viele Beispiele dafür gesehen, was mit denjenigen passiert, die mit der Regierung oder der ISAF kooperieren. Heute arbeiten sie mit der ISAF zusammen, morgen findet man ihre Leichen irgendwo ohne Köpfe."
Weder die afghanischen noch die ausländischen Truppen könnten die Dorfbewohner wirksam schützen. Das liege an der Taktik der Taliban.
"Wenn die Aufständischen die Franzosen angreifen, tun sie das von Orten aus, an denen sich Zivilisten aufhalten. Deshalb schrecken die Franzosen vor Angriffen zurück und überlassen den Taliban das Feld."
Immer wieder versuchen die Franzosen in gemeinsamen Aktionen mit der afghanischen Armee, Stützpunkte die Taliban von der Zivilbevölkerung zu isolieren, und wenn das geglückt scheint, blitzschnell anzugreifen.
In der größten französischen Basis, in Camp Tora werden die Mannschaften vor ihren Panzerfahrzeugen versammelt, gebrieft, und dann in getrennten Kolonnen in Marsch gesetzt.
Eine gepanzerte Kolonne arbeitet sich über Gebirgspisten in Richtung des Tales vor. Die auffälligen Fahrzeuge bewegen sich mit Hochgeschwindigkeit. Dennoch wirbeln sie im wahrsten Sinne des Wortes viel Staub auf und verraten, dass ein Angriff unmittelbar bevorsteht.
Kurz bevor die Angriffsposition erreicht ist, hält das Führungsfahrzeug plötzlich an. Funksprüche gehen hin- und her. Der Kommandant bittet um eine Bestätigung. Versteht er richtig? Soll er wirklich umkehren - zurück zur Ausgangsbasis nach Camp Tora?
"An alle Fahrzeuge. Umkehren! Wir fahren zurück nach Tora."
Am nächsten Tag verbreitet sich die Nachricht für den Grund des Abbruchs. Der französische Oberst, der die Aktion geleitet hat, wirkt deprimiert.
"Die gestrige Operation ist abgesagt worden auf Anordnung der 101. US-amerikanischen Division, unter deren Oberkommando unserer französische Brigade steht."
Und die US-Armee hat befunden, dass die Offensive zu viele zivile Opfer verursachen würde. Nur, so grollen die französischen Offiziere: Hätten die Amerikaner das nicht vorher so entscheiden können - ehe man die Angriffsmaschine ins Rollen brachte? Jetzt zeige man den Aufständischen wieder mal: Die Franzosen werden zurückgepfiffen, sie sind zur Tatenlosigkeit verdammt. Der Oberst kann seinen Frust nur mit Mühe verbergen.
"Sollten Sie mich fragen wollen, ob es mich persönlich stört, dass die Operation nicht stattfindet, dann sage ich Ihnen: Ja, ich hätte es vorgezogen, wir hätten sie unternommen."
Wachsende französische Verluste: Zuletzt im Juni vier Tote, unter Zivilisten von einem als Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt, der sich als Frau verkleidet hatte; die Erkenntnis, dass die Probleme militärisch einfach nicht zu lösen sind; mutmaßlich wohl auch Differenzen mit der US-Armee über die Einsatzplanung in der Kapisa-Provinz – dies dürfte hinter der Entscheidung des französischen Präsidenten Francois Holland stehen, Frankreichs Kontingent vorzeitig, Ende 2012 aus Afghanistan zurückzuziehen. Nach zehn Jahren, mageren Ergebnissen und beinahe 90 Gefallenen.
Und vielleicht klingt dann die Verabschiedung des letzten Kontingents ganz ähnlich wie das, was ein Offizier seinen Untergebenen sagt, nachdem ihr Angriff auf die Taliban überraschend abgebrochen wurde:
"Ich fordere euch auf, diese Entscheidung ohne Bitterkeit hinzunehmen. Und zwar mit einem Lächeln auf den Lippen. Wir werden mit dem gewohnten Dienst fortfahren. – weggetreten!"