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Franz Radziwill im Dritten Reich

Zwei Ausstellungen in Wilhelmshaven und in Dangast versuchen eine kritische Würdigung der NS-Verstrickung des Malers Franz Radziwill. Gleichzeitig sind das Früh- und Spätwerk des nordwestdeutschen Künstlers in Oldenburg zu sehen.

Von Rainer Berthold Schossig | 16.03.2011
    Die Gespenster der Gegenwart streichen ums Haus: Zwei Gehenkte baumeln neben dem Eingang, ein erschlagener SA-Mann liegt davor in der Gosse, eine Inschrift an der Wand verkündet: "Im Lichte der Staatsideen – oder: Der eine bringt den andern um". Über der Tür ein Medaillon "Es lebe das Brautpaar", drum herum bunte Luftschlangen, verwelkte Blumen; auf dem Namensschild steht: Franz Radziwill. Der Künstler malte dieses bis heute nicht enträtselte Bild mit dem Titel "Revolution – Dämonen" 1934. Wahrscheinlich war es eine bittere Anspielung des SA-Manns Radziwill auf den Röhm-Putsch, die Flitterwochen seines Flirts mit dem Nationalsozialismus schienen vorbei. 1968 kaufte der Mailänder Sammler und Galerist Emilio Bertonati das große "Dämonen"-Gemälde; jetzt ist es seit Langem wieder nach Deutschland zurückgekehrt, ins Franz-Radziwill-Haus. Die Tochter Konstanze über die Motive ihres Vaters, sich mit den Nazis einzulassen:

    "Für ihn ist es der 'Nationale Sozialismus' gewesen. Ja, er wollte Karriere machen, er hat die Situation falsch eingeschätzt. Er hat versucht, seine Chance zu ergreifen, und zwei Jahre ist ihm das fast gelungen."

    Schräg gegenüber hängt das kleine, allerdings umstrittene Bild "Stahlhelm im Niemandsland", ein düsteres Schützengraben-Bild im Stil seines Kollegen Otto Dix – alles andere als ein Heldenepos. Selbst als strammer NS-Uniformträger malte Radziwill, der beide Brüder in Krieg und Bürgerkrieg verloren hatte, keine Verherrlichungen des deutschen Soldaten.

    "Ich denke, er war kein Opportunist, weil er in der Zeit überzeugt war, und seine Hoffnungen auf den 'Nationalen Sozialismus' gesetzt hat. Ich finde das keineswegs gut und verurteile das heute, aber ob ich das damals alles so gesehen hätte, ist eine andere Frage."

    Es geht bei der Bewertung der ambivalenten Rolle Radziwills im Nationalsozialismus nicht um die Jagd auf einen Kriegsverbrecher oder Holocaustleugner. Man fragt sich aber, gerade angesichts der Technikbegeisterung, mit der er Kriegsgerät, Panzerkreuzer und angreifende Tiefflieger malte, woher sich sein "reaktionärer Modernismus" speiste. In Wilhelmshaven hängt jetzt ein großes Konterfei des "Panzerschiffs Deutschland", wie es 1934 dort auf Reede lag. Faszination und Distanz prägen die Sicht auf das monströs vernietete, von stacheligen Antennen, Masten und Kanonen starrende Schiff, über dem im Nebel ein Wasserflugzeug kreist. Schwerer Eisgang verbarrikadiert die gespenstische Erscheinung, macht den Panzerkreuzer zum Totenschiff. An der Mole steht ein unbeteiligter Zeitungsleser mit Schlapphut, ein antiintellektuelles, wie auch ein Vanitas-Motiv. Für Viola Weigel von der Kunsthalle Wilhelmshaven überwog bei Radziwill immer der Eigensinn:

    "Die Bilder sind nicht propagandistisch zu verwerten, weil er die Dinge wie das Panzerschiff Deutschland oder die Inselbrücke in Wilhelmshaven nicht in den Vordergrund stellt, zu monumentaler Größe aufbläst, sondern immer in einen Zusammenhang stellt, der ihn als Künstler interessiert: Verspannungen, Bedrängtsein des Menschen."

    Im gleichen Jahr 1934 entdeckten NS-Studenten Bilder aus Radziwills expressivem Frühwerk, kurz darauf wurde er aus seinem Düsseldorfer Professorenamt fristlos entlassen, wenig später galt er als entartet, 1937 wurden Bilder beschlagnahmt, es folgten sporadische Ausstellungsverbote. Dabei pflegte der ins Dangaster Exil verbannte Radziwill gute Kontakte zu Korvettenkapitänen und malte Kriegseinsätze der Marine gegen das republikanische Spanien. Dass zeitgleich ein paar expressionistische Jugendsünden zum Berufsverbot für ein NSDAP-Mitglied führten, wirkt bizarr. Eine bedeutende Auswahl aus dem Frühwerk Radziwills zeigt Rainer Stamm im Oldenburger Prinzenpalais:

    "Man kann nicht fragen: War er systemkonform oder ein entarteter Künstler? Er war interessanterweise beides. Weil in seinem Werk diese verschiedenen Facetten da sind. Was wir auch bei anderen Künstlern kennen, dieser Furor der Revolutionszeit verpufft bei vielen sehr schnell. Dass dann aber ein Cut stattfindet und ein Werk noch einmal in eine ganz neue Richtung geht, das macht die Rezeption Radziwills besonders spannend."

    Diese Spannung ließ allerdings in der Nachkriegszeit stark nach: Radziwill blieb seinen alten Bildideen treu, er zitierte sich zunehmend selbst, spann sich ein in eine von kleinen und großen Apokalypsen bedrohte Welt; exemplarisch zu betrachten ist dies im Oldenburger Stadtmuseum unter dem Motto: "Die Schönheit des Alleinseins". Er war ein Eigenbrötler geworden. Die Wahrheit über den Holocaust erfuhr er erst jetzt – Eingang in seine Kunst fand das nicht mehr.