Donnerstag, 18. April 2024

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Französischer Musiker Talisco
Mit Kopfstimme, Klatschen und Crescendi

Eine Farbexplosion inmitten einer dunkler werdenden Welt: Jérôme Amandi alias Talisco sendet mit seinem dritten Album „Kings and Fools“ ein Zeichen des Optimismus und Energie. Kein politischer Akt, eher ein Akt der Selbstfindung. Seine Songs sind ansteckend, wohltuend - und ganz schön dick aufgetragen.

Von Adalbert Siniawski | 06.04.2019
Der Sänger steht mit verschränken Armen zwischen alten Möbeln, auf dem Kopf eine Krone.
Mit dem neuen Album "Kings and Fools" tourt Talisco kreuz und quer durch Frankreich und Europa. (Talisco / Yann Orhan)
Musik: "King for one day": "Don't care about what I do / I'm still waiting for the day / And everybody knows, I'll be the king just for one day."
Speckige, braune Lederjacke. Die Arme: lässig verschränkt. Der typische Dreitagebart. So zeigt sich Talisco auf dem Albumcover. Und dann diese glänzende Krone auf dem Kopf?! Da strotzt einer vor Selbstbewusstsein. Oder alles nur Ironie?
Talisco: "Es ist nur eine Metapher. Es ist mein drittes Album. Ich bin besser geworden und bin mir selbst näher gekommen. Es ist jetzt einfacher für mich, über meine Gefühle zu sprechen als auf meinem ersten oder zweiten Album. Dieses Album ist direkter, vielleicht sogar brutaler. Ich versuche, die Sonne um mich herum scheinen zu lassen. Auch wenn ich weiß, dass mich Dinge umgeben, die ‚fake‘ sind."
Optimismus, Energie, Mut
Jérôme Amandi alias Talisco hat sein Album "Kings and Fools" in der Frühsommersonne Frankreichs geschrieben, irgendwo zwischen seiner Heimat Bordeaux und der Wahlheimat Paris. Hinter ihm lag eine kräftezehrende Tour mit rund 400 Konzerten. Doch statt durchzuhängen, schaltete Talisco auf Turbo. "I wanna win wars", singt er im Opener-Stück "King for one day". Respekt. Er ist der König, schon klar. Aber wer sind dann die Fools?
"Mir geht’s um die junge Generation. Ich war in Paris, ich war in Berlin - und ich sehe überall viele Parallelen. Da gibt es so viel Künstlichkeit. Die Leute sind nicht mehr natürlich, nicht mehr spontan. Sie sind von sich selbst besessen. Mir geht es um Dinge wie Facebook, Instagram und so. Das ist mir alles zu verlogen. Es langweilt mich. Im Stück ‚Closer‘ geht‘s darum, wer bist du wirklich? Bleib‘ wer du bist! Mehr nicht."
Musik "Closer": "Do something for you / To make your pretty eyes more blue / To make you live the things you do / To feel the love that you don't know."
Mach’ was aus Deinem Leben! Optimismus, Energie, Mut - darum kreist Talisco auf seinem neuen Album immer wieder.
Musik "Closer": "Come on and get closer / Come on and get closer baby / To live is all you ever need."
Talisco steht in Lederjacke vor einer Wand voller Geweihe.
Talisco hat sein Glück gefunden, seit dem er ausschließlich Musik macht. (Talisco / Yann Orhan)
Da war er wieder, der pluckernde Synthie-Beat, der fast jeden seiner Songs antreibt. Die Lebensenergie versprüht Talisco auch musikalisch, wie ein Mantra. Logisch: auch wenn’s um die Liebe geht.
Musik "Love": "Love me / I wanna feel, feel / I am the one / Love / I wanna feel, feel."
Irgendwo zwischen Elektro-Klub und Stadion-Hymne - das sind die beiden Pole, zwischen denen Talisco changiert. Text und Musik schreibt er parallel, quasi im Reißverschlussverfahren. Beides kommt beim ihm aus einer Hand. Und er spielt auch alle Instrumente selbst - nur bei der Aufnahme im Studio überlässt er Tasten und Schlagstöcke "besseren Musikern", wie er sagt.
Das Schlagzeug treibt nach vorne, die Akkorde sind hell. Salbungsvolle Chöre heben die fast schon pathetisch schwellenden Harmonien weiter in die Höhe, und Talisco ist sich nicht zu schade, dies mit Kopfstimme, Klatschen und Crescendi auch noch zu verstärken. Mehr Emotion geht nicht. Direkte Emotion, die der Musiker wohl zum ersten Mal derart ungeschützt auf einem Album preisgibt.
Rod-Steward-Platten und Kanye West
"Ich versuche, meine Songs so schnell wie möglich zu schreiben. Instinktiv. Mir ist es wichtig, ein spontanes Gefühl einzufangen. Ich kann mir nicht viel Zeit beim Songschreiben lassen. Ich will nicht allzu sehr über meine Musik nachdenken, ich will sie nicht intellektualisieren. Einen Song zu schreiben dauert bei mir einen oder zwei Tage - länger nicht!"
Sein Sound klingt ein wenig nach Phoenix, die ja auch aus Frankreich kommen. Und doch hat Talisco seine Nische gefunden. Musiker zu werden beschloss er im Alter von zehn. Seinen ersten Song schrieb er mit 13. Den Sprung in die Professionalität wagte er vor knapp zehn Jahren, als er als Marketingmensch finanziell unabhängig war und niemandem auf der Tasche lag, sagt er. Dabei hat ihn das Elternhaus musikalisch geprägt: Die Mutter legte gerne Rod-Steward-Platten auf. Er selbst mag aktuell den Hip-Hop eines Kanye West. Das alles habe sicher einen Einfluss auf ihn, und doch will er nicht zu viel hineininterpretieren. Er wolle etwas Neues schaffen.
"I think, I have a lot of, a lot of, a lot of influences. And I don’t want to intellectualize this. Because: I want to create something new."
Talisco hat sich persönlich vielleicht neu erfunden. Musikalisch ist "Kings and Fools" aber nicht so experimentell wie das Vorgängeralbum "Capital Vision".
Ein schönes Zeichen
Talisco ist der Sunny Boy des Popjahres 2019. Seine Songs sind gänzlich unpolitisch, er will ja nichts intellektualisieren. Und doch hat "Kings and Fools" vielleicht doch unterschwellig eine Botschaft: Es ist ein Album voller Lebensenergie und Optimismus in einer komplizierter werdenden Welt - energetisch, hell und leuchtend. Während sich die Umgebung verfinstert, holt Talisco seine bunten Farben heraus. Ein schönes Zeichen.
Musik "Sonny Boy": "You howl and howl and stare at the moon / You see the light, you can see the hand / Today someone you love’s gone away / The stranger is gone and the sunny boy stays / The night, you howl, you stare at the moon / You see the light, you can see the hand / All colours are true, there's a light, there's a way / Today the strangers are gone away."