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Frau des Jahres 2002

Wer bei einer Juniorprofessorin eine abgeklärte Forscherin mit festgelegten hohen Zielen vor Augen hatte, der wird bei der diesjährigen "Frau des Jahres" sehr positiv überrascht: Mittelblonde lange Haare, helle Augen und eine unauffällige Brille. Dazu der norddeutsche Dialekt einer auf einem Dorf bei Flensburg aufgewachsenen Frau lässt alles andere vermuten, als dass da die erste und mit 31 Jahren jüngste Juniorprofessorin Deutschlands vor einem sitzt und einfach drauflosredet. Über die ungeplante Karriere z.B.:

    Nein, nein überhaupt nicht, zumindest nicht ich. Es war schon in der Schule, dass ich gemerkt habe, Biologie, Chemie, Molekularbiologie, das hat mich sehr interessiert. Und nun dachte ich, ja, was kann man damit wohl mal machen, da könnte ich doch eigentlich studieren. Da gab es gerade ganz neu in Hamburg den Studiengang Biochemie-Molekularbiologie und da hatte ich das große Glück einen Platz zu ergattern, das war wirklich ganz toll. Wir waren überhaupt nur 16 Leute, man kann sich also vorstellen, das war total verschult das Studium. Entweder man hat jedes Jahr seine Scheine gemacht, jedes Halbjahr etwas abgeliefert oder man war quasi draußen. Es war schwierig etwas zu wiederholen, im Prinzip unmöglich.

    Also blieb Birgit Liss nichts anderes übrig als das Vordiplom und Diplom mit einem glatten Sehr Gut in der Regelstudienzeit abzuschließen. Im April 1999 folgte das Summa Cum Laude für die Doktorarbeit darüber, was die bei der Parkinson-Krankheit absterbenden Zellen von den gesunden Zellen unterscheidet:

    Die Professoren kannten einen. Es war jeder daran interessiert, dass dieser Studiengang etwas wird. Da habe ich das eben studiert. Ich weiß z.B. schon in der Einführungsveranstaltung, da waren einige dabei, die wussten schon: Im 5. Semester mache ich dann meinen Schein in Physik, den wechsele ich dann. Ich meinte nur: Ach, Physik müssen wir auch machen? Also ich hatte wirklich überhaupt keinen Plan. Ich wusste nur, das interessiert mich. Da habe ich es eben studiert. Ich hatte auch kein Berufsbild. Es wundert mich teilweise, wenn Leute sagen, ja, das studiere ich jetzt, da gibt's einen guten Arbeitsmarkt. Ich habe einfach das studiert was mir Spaß gemacht hat.

    Die junge Forscherin bewarb sich auf Anraten ihres Professors im Mai 1999 in Oxford, einem idealen Forschungsstandort für junge Wissenschaftler, wo das Alter von Birgit Liss auch vor den Studenten, die sie neben der Forschung betreute, keine Rolle spielte. In England sind Doktoranden unter 25 Jahren keine Ausnahme:

    / Man kann sich quasi Schritt für Schritt so für kleine Stipendien bewerben, die einen unabhängig machen. Ich z.B. habe immer mein eigenes Geld gehabt, meine eigene Stelle finanziert und meine Forschungen letztlich auch. Dadurch ist man natürlich viel freier und kann viel eher das machen was man möchte und hat nicht so einen großen Chef im Hintergrund, der einem sagt: Jetzt machst du dies und dies, sondern man kann viel eher das machen was einen interessiert, wo man selbst denkt, das möchte ich jetzt machen und man im Grunde auch viel weniger kostete dem Labor. Das ist in Deutschland einfach so nicht gegeben.

    Doch in diesem Jahr wurde die Sehnsucht nach Deutschland zu groß. Die Hochschulreform und Einrichtung von C2 TenU-Professuren ohne Habilitationszwang eröffnete der ungebunden jungen Frau den Weg nach Marburg. Dort setzen sch alle maßgeblichen Professoren für sie ein, so dass im Februar ein komplett neues Forschungslabor auf sie wartet - mit Kollegen, ohne die sie, so ist ihre Meinung, nie soweit gekommen wäre. Trotz allem Enthusiasmus:

    Also, ich sag immer, wenn Freunde oder meine Mutter oder so sagt: Kind du arbeitest einfach zu viel, du musst doch auch mal Urlaub machen und warum lässt du den einfach immer verfallen, oder warum bist du am Sonntag im Labor - für mich ist das, natürlich ist es Arbeit und manchmal macht es keinen Spaß aber im Grunde ist das mein Hobby, das ist meine Freizeit, ich kann doch quasi nie abschalten richtig. Natürlich mache ich auch andere Dinge, aber das ist eigentlich das worüber ich ständig nachdenke und was ich machen möchte. Und das ist eben auch das, wenn Sie sagen, ja plant man da irgendwie was - ich sage immer, jetzt gerade auch mit der neuen Stelle, meine ich , ich habe unheimlich Glück, ich kann das machen was mir Spaß macht, jeden Tag.

    (Autorin: Susanne Lettenbauer)