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"Frau Ypsilanti hat das gekriegt, was sie eigentlich verdient hat"

Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs, hat scharfe Kritik am Vorgehen der hessischen Parteichefin Andrea Ypsilanti geübt. Er bezeichnete ihr Festhalten an der Regierungsbildung als "Dummheit". Kahrs wandte sich erneut gegen eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei. Es wäre falsch, mit dieser Chaostruppe im Westen zusammenzuarbeiten, betonte Kahrs.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Meurer: Vor knapp 500 Jahren hat Niccolò Machiavelli sich in seinem Frühwerk "Der Fürst" Gedanken darüber gemacht, inwieweit Herrscher ihr Wort halten sollen. So lautet eine eigene Kapitelüberschrift und darin sagt Machiavelli, "Es sei zwar lobenswert, sein Wort zu halten, aber die Oberhand gewinnt nur, wer wenig von der Treue hält und mit Verschlagenheit die Köpfe der Menschen verdreht". Machiavelli würde Andrea Ypsilanti Recht geben, aber der Rest in Hessen, der Rest der Republik? Die Bundes-SPD ist im Moment nicht allzu sehr begeistert von den Vorgängen in Hessen. Wir hören kurz den Generalsekretär der SPD Hubertus Heil gestern Abend vor dem Spitzentreffen in Berlin:

    O-Ton Heil: Ich bekunde meinen Respekt vor Andrea Ypsilantis Entscheidung, am 5. April sich nicht zur Wahl zu stellen. Angesichts der entstandenen Lage eine verantwortungsvolle und richtige Entscheidung. Jetzt muss alles getan werden, um in dieser Situation verantwortliche Politik für Hessen auch gestaltbar zu machen. Deshalb noch mal unser Appell an die Freien Demokraten, sich ihrer Verantwortung für eine stabile Regierungsbildung in Hessen nicht zu entziehen, sondern in eine Ampelkoalition einzutreten.

    Meurer: SPD-Chef Kurt Beck wird heute die Präsidiumssitzung leiten und dann am Mittag um 13.30 Uhr eine große Pressekonferenz geben, die mit Spannung erwartet wird. - Am Telefon begrüße ich Johannes Kahrs, SPD-Bundestagsabgeordneter, Sprecher des "Seeheimer Kreises" in der SPD. Guten Morgen Herr Kahrs!

    Kahrs: Moin!

    Meurer: Andrea Ypsilanti hat ihre Pläne, sich von den Linken wählen zu lassen, auf Eis gelegt, aber nicht ad acta. Ist das Machiavelli pur, was sie da betreibt?

    Kahrs: Nein, das ist Dummheit. Wir haben als SPD ja in den letzten Tagen gesehen, wohin das führt, wenn man immer hin- und herwackelt und dazu auch noch eine Kollegin auf eine Art und Weise behandelt, wie ich es noch nicht erlebt habe, wie selbst mit Kritikern der Agenda nie einer umgegangen ist. Das hätten wir uns mal wagen sollen. Also ich halte das alles für ein Stück aus dem Tollhaus.

    Meurer: Der potenzielle Nachrücker sagt auch, "Ich überlege mir das gut, ob ich diesen Weg mitgehen soll". Was haben Sie gedacht, als Sie das gestern gehört haben?

    Kahrs: Über der ganzen Geschichte lag von Anfang an kein Segen und mit dieser Äußerung finde ich hat Frau Ypsilanti das gekriegt, was sie eigentlich verdient hat. So geht man mit Kollegen nicht um!

    Meurer: Die Hessen beschweren sich jetzt darüber, dass sich zu viele einmischen und sagen, was sie tun sollen. Und es gibt ja einen Vorstandsbeschluss, der ihnen freie Hand lässt. Also was kann man da kritisieren?

    Kahrs: In der Sache ist es so, dass jedes Bundesland machen darf was es will. Anders können sie von Berlin aus sowieso nicht entscheiden. Aber die haben natürlich auch eine Gesamtverantwortung für die Bundespartei und wenn ich mir angucke, was dieses hessische Chaos auf Bundesebene alleine in Fragen der Glaubwürdigkeit, Umfragenwerte und anderes angerichtet hat, wie es Kurt Beck angeschlagen hat, ganz ehrlich: Ich finde dann muss sich auch mal die hessische SPD bei aller Freude über ihren wie auch immer gearteten Wahlsieg jetzt mal ein Stück zurücknehmen, an die Gesamt-SPD denken und aus ihrer festgerannten Position mal rauskommen.

    Meurer: Hat Kurt Beck nicht selbst den Kardinalfehler begangen, indem er Andrea Ypsilanti grünes Licht gegeben hatte für ihre Pläne?

    Kahrs: Kurt Beck hat den Fehler begangen. Das hat uns in der Hamburgwahl viele Stimmen gekostet, vielleicht sogar die Regierungsbeteiligung. Das hat uns in Bayern nicht wirklich genützt. Ich glaube, dass er das inzwischen auch eingesehen hat. Fehler macht ein jeder. Trotzdem: Die Hessen sollten sich noch mal besinnen. So geht das nicht!

    Meurer: Gerd Andres (ebenfalls vom "Seeheimer Kreis") zieht schon die Konsequenzen und sagt, "Kurt Beck kann nicht mehr Kanzlerkandidat werden". Kann er es nicht mehr?

    Kahrs: Das ist jetzt nicht Thema. Kurt Beck hat gesagt, das wird Anfang 2009 entschieden. Ich finde, dass das auch der richtige Zeitpunkt ist. Jetzt ist erst mal wichtig, die Partei zu sortieren, aus diesem Debakel zu lernen, dass es sich nicht lohnt, mit den Linken im Westen regieren zu wollen. Mit dieser Chaostruppe kann man nicht regieren. Ich möchte nicht an jeder Ecke bei jeder Abstimmung abhängig sein von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Eine gruselige Vorstellung!

    Meurer: Wie will Kurt Beck seine Glaubwürdigkeit wieder erreichen?

    Kahrs: Ich glaube, das geht jetzt nur mit viel harter Arbeit. Da werden wir alle mittun müssen. Das wollen wir auch. Jetzt muss man vernünftig gucken, dass man die inhaltlichen Themen, die anstehen - Schuldenbremse, Bahnreform - vernünftig über die Bühne bringt. Da können wir mit Kurt Beck zusammen viel Glaubwürdigkeit wieder gut machen.

    Meurer: Es gibt jetzt ein Thesenpapier von linken Politikern in der SPD. Wolfgang Thierse hat es unterschrieben, Johano Strasser, Ralf Stegner aus Kiel. Darin heißt es, "Die Wiedervereinigung hat der Spaltung von Kommunisten und Sozialdemokraten die Grundlage entzogen". Haben die Recht?

    Kahrs: Das ist der größte Unsinn aller Zeiten, den ich in meinem Leben gelesen habe. Herr Stegner hat sich in der letzten Zeit ja sowieso etwas seltsam geäußert. Wenn Sie sich das angucken, hat der SPD in ihrer 144jährigen Geschichte jede Form von Zusammenarbeit mit den Kommunisten immer nur geschadet. Mit denen kann man nicht zusammenarbeiten. Da gibt es genug sozialdemokratische Beispiele in der Geschichte. Ich bin Vorsitzender der Kurt-Schumacher-Gesellschaft. Der hat dazu ein paar klare Ansagen gehabt.

    Ich glaube, dass sie fundamental irren. Es geht jetzt nicht um einen Linksruck; es geht darum, die Wähler auch links zu gewinnen. Es geht darum, linke Volkspartei zu bleiben und nicht linke Traktate hier abzufassen.

    Meurer: Wenn die Partei Die Linke sich von Leuten trennt, die eine DKP-Vergangenheit haben, die von Stasi und einer Notwendigkeit einer neuen Stasi reden, wenn die Linke sich von all diesen Leuten befreit, ist es dann doch eine Überlegung wert, mit ihnen zusammenzuarbeiten?

    Kahrs: Dann ist ja im Funktionärskader kaum noch einer da! Wer soll denn dann Partei spielen?

    Meurer: Oskar Lafontaine?

    Kahrs: Na ja. Ehrlicherweise glaube ich nicht, dass sie mit Oskar Lafontaine Staat machen können. Der rennt wie Gregor Gysi immer, wenn es hart wird, weg. Im Ergebnis halte ich das alles für einen Fehler. Ich glaube wir müssen um die Wähler dieser Protestpartei im Westen werben. Wir müssen gucken, dass wir als linke Volkspartei überhaupt mehrheitsfähig sind. Das geht mit Inhalten, das geht mit Sachpolitik für die Arbeitnehmer, für die Angestellten, so schwierig wie das auch mit dieser Großen Koalition ist, so schwierig wie das mit Frau Merkel ist, die ja selbst gegen Mindestlöhne ist. Da muss man hart sein und klare Interessenpolitik betreiben. Dann wird man auch als Volkspartei gewählt.

    Meurer: Andrea Ypsilanti spricht von einer neuen sozialen Mehrheit. Kann man die nur bekommen mit der Linken?

    Kahrs: Andrea Ypsilanti hat in den letzten Tagen und Wochen gezeigt, dass sie es nicht kann. Sie hat einen hervorragenden Wahlkampf geführt, aber was sich danach abgespielt hat ist unbeschreiblich und ich glaube, dass das so nicht geht.

    Meurer: Jetzt gibt es ja einen ziemlich tiefen Riss in Ihrer Partei. Die einen sagen, wir arbeiten mit der Linken zusammen. Sie sagen definitiv nein. Wie will man denn da zu einem Nenner zusammenkommen in der SPD?

    Kahrs: Ich glaube, indem man das berücksichtigt, was Kurt Beck vor der Hamburgwahl immer gesagt hat: im Westen und zur Bundestagswahl 2009 nicht. Ich war in den letzten Tagen viel in meinem Wahlkreis unterwegs. Ich kann Ihnen sagen: Das ist ein Desaster. Wir haben hier Austritte. Wir haben viele Wähler, normale Arbeitnehmer, die verstehen es nicht. Die können es nicht nachvollziehen, was ihre SPD zurzeit veranstaltet. Und wenn sie die nicht mehr gewinnen, wenn sie nicht mehr normale Arbeitnehmer und Angestellte überzeugen können, dann haben sie ein richtiges Problem. Dann sind sie nicht mehr Volkspartei und das ist mein Ziel, hier wieder Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, nicht vor der Wahl was versprechen und dann ohne Not nicht machen.

    Meurer: Nun hat Kurt Beck in Rheinland-Pfalz durchaus bürgerliche Politik gemacht in den letzten Jahren zusammen mit der FDP. Wie erklären Sie sich das oder fragen Sie sich manchmal, wo ist dieser Kurt Beck geblieben?

    Kahrs: Ich war schon manchmal ratlos. Das kann ich Ihnen sagen. Ich schätze Kurt Beck. Ich habe ihn gewählt. Ich habe mich gefreut, dass er Parteivorsitzender geworden ist. Aber ich glaube jeder macht mal einen Fehler. Ich habe auch viele Fehler gemacht. Das geht in Ordnung. Das muss auch drin sein. Ich würde ihn auch als Parteivorsitzenden wiederwählen. Aber man muss auch Fehler erkennen. Das ist auch eine Stärke. Dann muss man handeln und dann muss man nach vorne schauen, arbeiten und dann verzeihen einem Menschen auch Fehler.

    Meurer: Der Sprecher des "Seeheimer Kreises" in der SPD Johannes Kahrs heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Schönen Dank Herr Kahrs und auf Wiederhören!

    Kahrs: Gleichfalls!