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Frauen an der Front

Hausfrau und Mutter sollten Frauen während der Nazizeit sein. Doch viele leisteten auch militärische Hilfsdienste. Ihre Mittäterschaft während des Zweiten Weltkriegs haben die meisten jedoch verdrängt, wie die Historikerin Franka Maubach feststellte.

Von Barbara Leitner | 22.10.2009
    "Diese Helferinnen sind ein Synonym des totalen Kriegs, in dem jede Grenze - zwischen zivil und militärisch, zwischen Mann und Frau, Soldat und Zivilistin - eigentlich überschritten wurde."

    Franka Maubach, Lehrbeauftragte für neuere und neuste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Für ihre Studie über die Rolle von Wehrmachtshelferinnen während des Zweiten Weltkrieges sprach sie mit über 35 Frauen, heute weit über 80 Jahre alt.

    "Wenn man den Frauen genau zuhört, dann merkt man die anfängliche Blitzkriegsbegeisterung, die sie wirklich mobilisiert hat und in den Krieg hineingezogen hat. Und viele Frauen haben sich am Anfang des Krieges auch freiwillig gemeldet. Die wurden nicht eingezogen, sondern sie wollten dabei sein und den Sieg miterleben. Man muss auch sehen, dass sie genauso wie ihre männliche Kameraden, gern in den Krieg ziehen wollten. Das ist so eine Geschichte, die ist heute besonders verschüttet. Das hängt sicher auch mit der Niederlage zusammen und mit Holocaust, mit dem sie sich konfrontieren mussten."

    70 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges korrigiert die Historikerin mit ihrer Forschung die Frauengeschichte des Nationalsozialismus ein weiteres Stück.
    Bis in die 1970er-Jahre hielt man Frauen für unschuldig an den Verbrechen des Zweiten Weltkrieges, sah sie vor allem als Opfer. Vor allem mit dem Hinweis auf KZ-Aufseherinnen wurde dieses Bild seit den 1980er-Jahren ad absurdum geführt und auch über die Mitwisser-, Mittäter- und Täterinnenschaft von Frauen gesprochen. Doch nicht nur an der Heimatfront spielten Frauen eine andere Rolle, als ihnen das kollektive Gedächtnis bis heute zuweist - auch an der Front und in den besetzen Gebieten.

    "Die Militärgeschichte war ja nun am längsten einer der Bereiche, der konservativ dominiert war. Also das war eine Schlachtengeschichte und eine Geschichte von Generälen und Fronterfahrungen, maximal vom Schützengraben und erst in den 80er-, 90er-Jahren hat es eine Kritik an dieser konservativen Militärgeschichte gegeben und es wurde eine Militärgeschichte von unten initiiert. Und im Zuge dessen ist erst die Sensibilität für Frauen in der Wehrmacht entstanden."

    Franka Maubach wertete für ihre Untersuchung zunächst Tagebücher und Briefe der einstigen Wehrmachtshelferinnen aus. Sie suchte Fotos, auf denen strahlend lächelnde junge Frauen mit Käppi, Sakko, Faltenrock und Absatzschuhen in Marschkolonne oder als Telefonistinnen zu sehen sind. Am Ärmel ihrer Uniform trugen sie oft einen Blitz für die Nachrichteneinheiten. "Blitzmädchen" wurden sie deshalb genannt, auch als Synonym für leichtes Mädchen, Hure.

    Sowohl von den Wehrmachtssoldaten als auch von den daheimgebliebenen Müttern wurde den "draußen" in den besetzten Gebieten diensttuenden Frauen unterstellt, sie würden nur auf Männerfang aus sein. Als Franka Maubach darüber einen Bericht veröffentlichte, erhielt sie empörte Leserbriefe. Die Frauen wollten von der erfahren Kameradschaft im Krieg sprechen. Dabei wurde in den Lebensberichten zugleich deutlich: als Stabs- und Nachrichtenhelferinnen bei den Verwaltungen in den besetzen Gebiete nahmen sie sehr verantwortliche Positionen ein.

    "Das meint man nicht, weil der Begriff der Helferin oder der Militärhilfe erst mal suggeriert, dass sie in Hilfspositionen eingesetzt waren und nur Zuarbeit verrichtet hätten. Man muss auch sehen, dass sie kombattante Soldaten auf ihrem Platz ersetzt haben. In diesem Propaganda-Sprech hieß das immer, sie haben Soldaten für die Front 'frei gemacht' und diese Position haben sie ausgefüllt, häufig in Schlüsselpositionen, wenn sie häufig am militärischen Geheimschreiber eingesetzt waren oder eben mit Geheimakten zu tun hatten."

    500.000 junge, meist ledige, kinderlose Frauen unterstützen das nationalsozialistische Deutschland als Helferinnen. Sie waren nicht nur in der Wehrmacht, sondern auch beim Deutschen Roten Kreuz, der Gestapo, der SS tätig. Insgesamt lag der Frauenanteil in der Armee bei etwa zwei bis drei Prozent. Frauen nahmen also - auch wenn es bisher von der Forschung und der Öffentlichkeit wenig beachtet wurde - aktiv an der deutschen Kriegsführung teil. In den ersten Kriegsjahren meldeten sich freiwillig. Zum Kriegsende hin allerdings wurden die meisten von ihnen über die Notdienstverordnung zwangsverpflichtet.

    "Das sieht man an deutlichsten am Einsatz der Flakhelferinnen, der Ende 1944 anfing. Da wurden 100.000 Frauen eingezogen zu den Scheinwerferbatterien der Flugabwehr. Das waren diejenigen Frauen, die die Scheinwerfer ausrichteten, um die Flugzeuge der Alliierten Bomber anzustrahlen, damit sie abgeschossen werden konnten. Das kann man ganz klar als Tötungsassistenz beschreiben, auch wenn sie im Nachhinein sagen, wir haben nur geleuchtet. Das war auch ganz klar eine Überschreitung hin zum Mann als Kombattant; dass immer der Mann es ist, der kämpft und töten darf. Hier haben sie ganz klar eine Tötungsassistenz geleistet und sie wurden auch mit Pistolen und Granatwerfern ausgestattet, um die Stellung und sich selbst verteidigen zu können. Und es war genuine Frontsituation, in der sie gestanden haben, da sie sich selbst auch mit Lichtstrahl, den sie warfen, auch selbst anstrahlten, waren sie auch ein leichtes Ziel für die Bomber und konnten verletzt werden und getötet werden."

    Diese Mittäterschaft blendeten die interviewten Frauen in ihren Berichten über den Krieg weitgehend aus. Schwärmerisch erinnern sich einige von ihnen an den Beginn des Krieges und ihr Leben im besetzten Frankreich oder Holland. Sie bezogen die Häuser der vertriebenen Bevölkerung, wurden bekocht und umsorgt, erteilten Befehle und genossen die Macht. Weniger luxuriös ging es in den besetzen Ostgebieten zu. Sachlich berichtet eine, dass sie stets mit der Straßenbahn durch das Warschauer Getto fuhr, da aber nie ausgestiegen sei. Andere ernüchterte es, die Brutalität und Unmenschlichkeit zu erleben. Allerdings reflektiert kaum eine von ihnen ihre Mitverantwortung an dem nationalsozialistischen Krieg. Das wurde den Helferinnen auch nie abverlangt.

    "Das fing schon 1945 an, dass die Frauen oder die Helferinnen die Möglichkeit hatten, ihre Geschichte vergessen zu machen. Sie konnten ihre Uniform ausziehen oder die militärischen Insignien ablegen, ein Kleidchen anziehen und dann waren sie wieder Zivilistinnen und hatten so eine Unschuldsvermutung auf ihrer Seite. Und auch danach wurden sie mehr oder weniger in Ruhe gelassen."

    Frauen in Uniform, die wie Soldaten in den Krieg gezogen waren, konnte die deutsche Nachkriegsgesellschaft nicht gebrauchen. Sie störten das Bild von der friedfertigen Frau. Also wurden die ehemaligen Wehrmachtshelferinnen auf ihre Privatheit verwiesen. Vielen von ihnen, als junge Frauen ein sehr eigenständiges, auch umsorgtes Leben als Besatzerinnen gewöhnt, gelang es nicht, sich wieder unterzuordnen. Wenn sie nicht ihren Mann bei der Wehrmacht kennengelernt hatten, blieben etliche von ihnen ledig. Sie wollten die erreichte Selbstbestimmung nicht aufgeben. Auf jeden Fall lebten sie unbescholten - im Westen wie im Osten Deutschlands. Dennoch unterschied sich das Erinnern an die erfahrene Kameradschaft.

    "Das spielt insofern eine Rolle, als für die Frauen im Westen die Pflege der Kameradschaft, die für sie ganz wichtig war, weiterhin möglich war. Im Westen war die Organisation von Veteranen ja erlaubt, in der DDR nicht. Da waren die Frauen vor allem auf den privaten Rahmen von Kaffeekränzchen verwiesen, um sich dann mit Kameradinnen zu treffen."

    Franka Maubach: Die Stellung halten.
    Kriegserfahrungen und Lebensgeschichten von Wehrmachtshelferinnen

    Vandenhoeck & Ruprecht, 349 Seiten, 46,90 Euro