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Frauen auf dem Vormarsch

Frauen sind flexibler. Sie können sich besser auf die Anforderungen unserer Lebens- und Arbeitswelt einstellen und werden bald an der Spitze der Gesellschaft stehen. Mit diesen Thesen sorgt die amerikanische Journalistin Hanna Rosin nicht nur in den USA für Diskussionsstoff.

Von Gregor Peter Schmitz | 21.01.2013
    Wenn eine Autorin ihrem Buch den Titel "Das Ende der Männer" gibt, erwartet man eine Kampfschrift, ein Pamphlet - doch keine soziologische Abhandlung. Aber genau diese hat Hanna Rosin in ihrem Buch über den vermeintlichen Niedergang des starken Geschlechts vorgelegt. Der bekannten US-Reporterin der Zeitschrift Atlantic Monthly geht es darin nicht um eine Abrechnung mit Männern an sich, wie ihr manche Rezensenten nach Erscheinen der amerikanischen Originalausgabe vorwarfen. Vielmehr seziert Rosin gekonnt aktuelle Trends in einer globalisierten Welt, die unsere gesamte Gesellschaft prägen. Die Autorin erläutert diese in einem TV-Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Sender C-Span so:

    "Alles beginnt mit einem ökonomischen Argument. Männern fällt es einfach schwerer, sich einer veränderten Weltwirtschaft anzupassen. Ich kann nicht sagen, warum, und es gab verschiedene Phasen in der Geschichte, als Männern diese Anpassung leichter fiel. Aber heute bemühen sich Frauen eher um Abschlüsse oder Zusatzqualifikationen als Männer. In meinem Buch beschreibe ich, wie dieser Trend unsere Idee vom Eheleben verändert, unsere Vorstellung von der Vaterrolle. Diese Entwicklung beeinflusst auch, wie junge Menschen Sex haben und welche Entscheidungen sie treffen."

    Rosin, in Israel geboren, aber in den USA aufgewachsen, untermauert diese Thesen mit einer Fülle von Zahlen und Statistiken etwa zum Niedergang der männlichen amerikanischen Mittelklasse. Sie stellt fest, dass Frauen mittlerweile in den Vereinigten Staaten die Mehrheit aller Uni-Diplome erwerben, dass zwölf der 15 am schnellsten wachsenden Branchen von Frauen dominiert werden - und in Boom-Gegenden wie der Hauptstadt Washington in der Mehrzahl der Haushalte die Frau mehr Geld verdient als ihr männlicher Partner. Doch Rosins Buch ist nicht einfach eine trockene Aneinanderreihung von Tabellen und Statistiken. Denn der Autorin fallen originelle Kategorien ein, um dem Leser ihre Schlussfolgerungen nahe zu bringen. So formuliert sie etwa:

    Bei all meinen Interviews stieß ich immer wieder auf ein Duo, das wie aus einem Comic entsprungen wirkte: die "Plastikfrau" und der "Mann aus Pappe". Die Plastikfrau vollbringt schon ein ganzes Jahrhundert lang wahre Wunder an Flexibilität. Sie hat zunächst fast gar nicht und dann nur bis zur Ehe gearbeitet, dann auch während der Ehe und schließlich auch als Mutter. Wenn sie die Gelegenheit sieht, mehr zu verdienen als ihr Mann, greift sie zu. Wenn sie damit durchkommt, bis weit über dreißig unverheiratet zu bleiben und ein selbstbestimmtes Leben zu führen, tut sie auch das. Und wenn die Zeiten sexuelle Abenteuerlust verlangen, ist sie auch in dieser Beziehung aufgeschlossen.

    Frauen, so Rosin, betreten Neuland entschlossener und spielen ihre Stärken in einer Welt, die sich derzeit rasant verändert, besser aus - wie in Deutschland in strukturschwachen Gebieten zu beobachten ist, wo oft junge unqualifizierte Männer allein zurückbleiben, während ehrgeizige Frauen wegziehen. Denn weibliche Vorzüge wie bessere Kommunikations- oder leichtere Anpassungsfähigkeit seien in diesem bewegten Zeitalter der Globalisierung wertvoller, argumentiert die Autorin, während die körperliche Kraft der Männer unbedeutender werde:

    Viele Berufe, in denen früher nur Männer tätig waren, werden heute auch von Frauen ausgeübt, aber umgekehrt ist dies kaum der Fall. Fast ein Jahrhundert lang beruhte der männliche Selbstwert auf dem Beruf, den der Mann ausübte, oder auf seiner Rolle als Familienoberhaupt. "Bergmann" oder "Kranführer" waren früher vollständige Identitäten, die den Mann mit einer langen Traditionslinie von Männern verbanden. Und sie schlossen die Funktion als Familienoberhaupt mit ein. Irgendwann in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts begannen diese öffentlichen Formen sozialen Nutzens zu verblassen. Die meisten Männer arbeiteten in Büros oder sie arbeiteten gar nicht mehr, und weil immer weniger Menschen heirateten, verloren sie auch ihre Rolle als Familienoberhaupt. Sie verloren die Basis ihrer männlichen Identität, haben aber noch keine klar umrissene neue Identität gefunden.

    Männer stecken also in ihrer Entwicklung fest, schlussfolgert Rosin - ein Prozess, der häufig bereits während der Schulzeit beginnt, wo Jungen sich weltweit meist schwerer mit Lernen und Konzentration tun, wie die Journalistin auch bei ihrem eigenen Nachwuchs beobachtet:

    "Ich denke an meine beiden Söhne, für die diese Entwicklung teilweise auch zutrifft. Sie kommen aus gebildeten Familien, sie werden wahrscheinlich studieren. Aber sie tun sich in der Schule nicht so leicht wie etwa meine Tochter."

    Natürlich fehlt es in Rosins Buch nicht an Verallgemeinerungen und offen bleibenden Fragen. Die Journalistin erklärt nicht überzeugend, wieso Frauen in Top-Positionen von Firmen und Organisationen immer noch so unterrepräsentiert sind, wenn sie doch vermeintlich alle Vorteile auf ihrer Seite haben. Sie belegt auch nicht, ob die Arbeitswelt sich wirklich so verändert hat, dass Familie und Karriere problemlos zu kombinieren sind - wie gerade gut ausgebildete Frauen gerne kritisieren. Sie kann sich auch manchmal nicht entscheiden, ob etwa die neue Unverbindlichkeit bei Bindungen wirklich eine weibliche Befreiung bewirkt. Schließlich suchen viele junge Frauen, die Rosin für ihr Buch befragt hat, doch immer noch nach der "großen Liebe". Eins ist Rosin aber gewiss nicht, eine Männerhasserin. Sie klingt keineswegs, als ob sie keinem Mann mehr Erfolg wünsche. In ihren Schlussfolgerungen wirkt die Autorin vielmehr eher versöhnlich:

    Wir leben in einer Welt, in der Gewandtheit und Flexibilität ebenso belohnt werden wie die Bereitschaft, sich einer im Wandel begriffenen Wirtschaft anzupassen und auf gesellschaftliche Stimuli zu reagieren. Derzeit zeigt die Frau aus Plastik mehr von diesen Eigenschaften als der Mann aus Pappe - wie gesagt: derzeit. In der Zukunft kann auch der Mann aus Pappe - womöglich nachdem er selbst eine Weile der Underdog gewesen sein wird und sich in erster Linie um die Kinder kümmern musste - wieder flexibler und damit zu einem Mann aus Plastik werden.

    "Das Ende der Männer": Derlei Überschriften dienen als provokante Hingucker, die für Auflage sorgen. Doch auch in diesem Fall ist die Analyse vielschichtiger als der Titel. Rosin hat ein spannendes und gut recherchiertes Buch vorgelegt. Sie liefert damit wichtige Denkanstöße für Frauen - und für Männer.

    Hanna Rosin: Das Ende der Männer. Und der Aufstieg der Frauen.
    Berlin Verlag, 400 Seiten, 19,99 Euro
    ISBN: 978-3-82701-132-9