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Frauen im Mittelpunkt

Frauen standen an diesem Wochenende im Zentrum neuer Opern: Rodion Shchedrins vertonte die "Lolita" in Wiesbaden, in Schwetzingen gab es "Bluthaus" von Georg Friedrich Haas und in Heidelberg kam Alexander Munos Variante des Ibsen-Dramas "Die Frau vom Meer" zur Aufführung.

Von Jörn Florian Fuchs | 03.05.2011
    Was hätte ein Calixto Bieito aus dieser Lolita gemacht! Welche handfesten Lustmolchigkeiten hätte das Publikum der Maifestspiele ertragen müssen? Da war es vielleicht doch ganz gut, die eher betulich vorgehende Konstanze Lauterbach zu nehmen, sie setzte auf präzise Bebilderung von Musik und Text und reicherte das Ganze behutsam mit einigen wenigen (halb)unzüchtigen Posen an.

    Rodion Shchedrins erstmals in Deutschland und auf Deutsch gezeigte Lolita-Vertonung von 1994 hält sich weitgehend an Nabokovs Roman. In drei zeitweise etwas schwerfälligen Opernstunden durchleidet man Lolitas unfreiwillig abgebrochene Adoleszenz durch ihre 'Affäre' mit Humbert Humbert, der in Wiesbaden allerdings weniger altersgeil, sondern selbst sehr kindlich wirkt. Das Anti-Paar hetzt durch die amerikanische Provinz, irgendwann bricht Lolita aus und gerät ins Porno-Business, Humbert kommt in den Knast. Bevor er an einer Herzattacke stirbt, erschießt er noch Lolitas Film-Zuhälter, die Kindfrau selbst siecht an der Geburt ihres ersten Kindes dahin.

    Der Tod als Verhütungsproblem? Darauf spielt Lauterbach an, indem sie Holzkisten mit dem Wort "Kondom" bemalen lässt. Die Bühne ist eine schiefe Ebene, im Hintergrund sieht man erst Kritzelzeichnungen, später Airbrush-Lolitas.

    Rodion Shchedrins Musik hat einen Hang zu Drastik, Opulenz, Sinnlichkeit. Der Tonsatz verschmilzt gemäßigt moderne Couleurs mit kirchentonalen Chorpassagen und kontrastiert schroffe Blechattacken durch lange Strecken meditativer Entspanntheit. Emma Pearson erfüllte Shchedrins oft etwas manisch verhetzte Staccato-Bögen mit Leben, Sébastien Soulès neigte als Humbert zum nervösen Überagieren, sang dafür hinreißend. Im Graben sorgte Wolfgang Ott für ein exaktes, wohltemperiertes Klangbild.

    Auch in Schwetzingen überzeugten Stefan Blunier am Pult des Stuttgarter SWR Orchesters sowie das Sängerensemble rund um Otto Katzameier, Sarah Wegener, Ruth Weber und den brillanten Countertenor Daniel Gloger. Zur Eröffnung der Festspiele gab es "Bluthaus", das neue Opus von Georg Friedrich Haas, mit einem Libretto von Händl Klaus. Auch hier steht der Missbrauch einer jungen Frau im Zentrum, wobei der echte Vater Hand anlegte. Mittlerweile ist er tot und das Schreckensgebäude soll verkauft werden, doch der Vergewaltiger terrorisiert als Geist die Tochter und verschreckt potenzielle Neueigentümer.

    Wer Händl Klaus kennt, der ahnt, dass es statt konkreter Handlung eher um Schwebezustände geht. Märchenhaft und surreal begegnen sich auch in Klaus Weises unprätentiöser Inszenierung die Figuren, es ist ein mal grausames, mal grotesk witziges Spiel um Schuld, Sühne, Verstrickung. Haas hat dazu eine Musik mit verschachtelten vokalen Linien und einem sehr glissandolastigen Orchesterpart geschrieben, der artifizielle Mikrotonalität mit enervierenden Redundanzen verbindet – ein sehr zwiespältiges Hörerlebnis.
    Und noch eine Frau stand an diesem Wochenende im Zentrum einer neuen Oper: Alexander Muno schrieb für das Heidelberger Theater "Vom Meer", eine Variante des Ibsen-Dramas "Die Frau vom Meer". Francis Hüsers schuf ein exzellentes Libretto, das jedem Hauptprotagonisten einen Akt widmet. Regisseurin Susanne Ögland kreierte eine sehr kühle Atmosphäre, sie versetzt die Figuren an einen Un-Ort zwischen Ibsen-Zeit und Gegenwart. Man sieht einen zersprungenen Bilderrahmen, dahinter sitzt auf der Bühne das Orchester, es symbolisiert das Meer. Der Knackpunkt ist leider Alexander Munos Musik, die zwar schöne Naturstimmungen und Gefühlsstürme evoziert, insgesamt aber einfach zu wenig psychologische Differenzierungen bietet.

    Informationen:

    Theater Heidelberg: "Vom Meer"
    Staatstheater Wiesbaden: "Lolita"
    Schwetzinger Festspielen: "Bluthaus"