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Frauen in der DDR
Gleichberechtigung - ein Mythos

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der DDR ist nicht mehr als ein Mythos. Zu diesem Fazit kommt die Berliner Publizistin Anna Kaminsky in ihrem Buch "Frauen in der DDR". Auch im sozialistischen Teil Deutschlands ist es nicht gelungen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu vollenden.

Von Alexandra Gerlach | 06.03.2017
    Eine Frau bei der Arbeit an einem Computer zur Optimierung des Zuschnitts von Bekleidungsteilen aus den Stoffen, aufgenommen im VEB Wäschekonfektion Lößnitz im April 1989.
    Berufstätige Frauen in den 1980er Jahren in der DDR. (picture alliance / dpa / Wolfgang Thieme)
    Mit ihrem Buch über "Frauen in der DDR" rückt Anna Kaminsky dem Mythos der perfekten Gleichberechtigung von Mann und Frau in der DDR zu Leibe und hat sich damit nicht nur Freunde gemacht. Sie ist ein echtes Ostgewächs, geboren in Gera, aufgewachsen in Dessau und Halle. Die diplomierte "Sprachmittlerin", wie Übersetzer in der DDR hießen, hat nach dem Mauerfall promoviert und arbeitet seit 2001 als Geschäftsführerin in der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Berlin. Den Anstoß, genauer zu recherchieren wie berufstätige Frauen in der DDR den Spagat zwischen Beruf und Familie meisterten, habe sie von außen bekommen, sagt Kaminsky:
    "Was bedeutete eigentlich volle Berufstätigkeit? Was bedeutete das für die Kinder? Welche Hoffnungen, Träume und Wünsche hatten Frauen? Und das mal alles in einem Buch zusammenzufassen, das gab noch nicht. Und was mich sehr gewundert hat. Und wundert, dass es ein solches Buch über Frauen im Westen auch nicht gibt."
    Sozialistisches Frauenbild
    Anna Kaminskys Bestandsaufnahme geht weit zurück bis in die frühe Nachkriegszeit. Sowohl in den westlichen Sektoren als auch in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands – kurz SBZ - waren die Männer knapp. Sie waren entweder im Krieg geblieben oder noch in Kriegsgefangenschaft und als sie zurückkehrten oftmals versehrt, traumatisiert und nicht einsetzbar. Hinzu kam eine starke Fluchtwelle gen Westen. Bis 1961 flohen rund 3,5 Millionen Menschen aus der SBZ, das waren rund 20 Prozent der Bevölkerung in diesem Teil Deutschlands. Um den Arbeitskräftemangel in der Produktion zu mildern, erhielten Frauen im Osten Deutschlands bereits 1946/47 - verfassungsrechtlich verbrieft - dieselben Rechte wie die Männer. Auf dieser Basis sollte sich in den nachfolgenden Jahrzehnten ein sozialistisches Frauenbild entwickeln, dessen Erfüllung die Betroffenen immer wieder an den Rand des Machbaren bringen sollte:
    "Die moderne Frau in der DDR sollte nicht nur voll berufstätig sein. Sie sollte sich auch ständig weiterbilden und in gesellschaftlichen Organisationen aktiv sein. Sie sollte den Haushalt meistern und eine gute Köchin sein. Ihren Kindern sollte sie eine liebevolle Mutter und ihrem Mann eine zwar beruflich gleichberechtigte, aber dennoch fürsorgliche Ehefrau sein."
    Hausarbeit "mit links"
    Die SED-Parteipropaganda machte zugleich deutlich, dass es eine volle Gleichberechtigung nur geben könne, wenn die Frau auch voll erwerbstätig werde. Im Gegenzug waren die Männer in der DDR jedoch nicht bereit, ihre Bequemlichkeit aufzugeben und die Familien- und Hausarbeit paritätisch zu teilen, konstatiert Buchautorin Kaminsky:
    "Und deshalb war man auch in der DDR, wo die Männer das Sagen hatten und Männer darüber entschieden, wann eine Frau gleichberechtigt ist oder nicht, da war man auch der Meinung, das bisschen Haushalt, das kriegen die doch 'mit links' gebacken."
    Für die Frauen bedeutete ihre Berufstätigkeit, dass sie oftmals allein für Haushalt, Familie und Kinder zuständig waren, neben einer mehr als 43-Stunden-Woche im Beruf. Da der Arbeitstag in der Regel zwischen sechs und sieben Uhr begann, mussten Mütter entsprechend früh aufstehen, um ihre Kinder zu versorgen und manchmal über weite Wege in die Betreuungseinrichtungen bringen und nachmittags wieder abholen. Dann war noch lange kein Feierabend, es begann die "zweite Schicht". Anna Kaminsky:
    "Und dann stand aber noch der Einkauf an und angesichts der Mangelversorgung bedeutete das, dass man durch mehrere Läden oftmals laufen musste, um das zu bekommen, was man wollte."
    Wochenarbeitszeit von mehr als 93 Stunden
    Es ist das Verdienst dieses Buches, das Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Gleichberechtigung in der DDR aufzudecken und mit konkreten Zahlen aus den offiziellen Statistiken, wie etwa vom DDR-Institut für Bedarfsforschung zu belegen. Schaut man beispielsweise auf die Anteile von Arbeit und Freizeit bei Frauen und Männern, im Jahr 1969, so stellt man fest, dass die voll berufstätigen Mütter in der DDR eine wöchentliche Gesamtarbeitszeit von mehr als 93 Stunden zu leisten hatten, um alle Aufgaben zu meistern. Männer arbeiteten dagegen knapp 59 Stunden pro Woche. Für Freizeit und Erholung blieben den Männern 50 Stunden, den Frauen jedoch nur 27, also gerade mal die Hälfte.
    Kaminsky zeigt auch, dass das immense Engagement der berufstätigen Mütter nicht unbedingt mit besseren Aufstiegschancen belohnt wurde. Weder in der Wirtschaft noch in der Politik.
    "Bis Ende der 80iger Jahre ist es nach wie vor so, dass vor allem die Männer die Karriere machen. Und es gibt eine wunderbare Statistik über die Aufstiegschancen von Hochschulabsolventen in der DDR. Und da ist ganz eindeutig zu sehen, dass während über 80 % der Männer in kurzer Zeit in höhere Karrierejobs aufsteigen, ist das nur bei einer Minderzahl der Frauen der Fall."
    Ähnlich ernüchternd fällt der Blick auf die Entlohnung aus. Rechtlich festgeschrieben war in der DDR der Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche Arbeit. Die Praxis sah für Frauen aber anders aus. In Ihrem Fazit resümiert Anna Kaminsky, dass auch der DDR nicht gelungen sei, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu vollenden, allen staatlichen Anstrengungen zum Trotz.
    Schwieriger Alltag
    "Es geht aber auch darum, zu akzeptieren, dass weder Männer noch Frauen alles gleichzeitig und ohne Einschränkungen und Abstriche haben können. Berufstätigkeit, Kinder, Haushalt, Freizeit und Familienleben – wer behauptet, man oder frau könne all dies ohne zusätzliche Belastungen unter einen Hut bringen, sollte die Geschichte der Gleichberechtigung in der DDR genau anschauen."
    Was am Ende bleibe, ist die Bewunderung für das, was die Generation der Mütter und Großmütter unter den schwierigen Alltags-Bedingungen der DDR bewältigt hat, sagt Anna Kaminsky und fügt hinzu: "Obwohl ich eine Vorstellung davon hatte und obwohl ich das ungefähr wusste, das war wirklich nochmal, dass ich manchmal dachte, boah, wie haben die das geschafft?"
    Anna Kaminsky: "Frauen in der DDR"
    Ch. Links Verlag, 320 Seiten, 25 Euro.