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DDR
Wenn Mutti früh zur Arbeit geht

Dass Frauen Familie und Beruf besonders gut vereinbaren konnten, war eines der Aushängeschilder der DDR. Dennoch schaffte es keine einzige zwischen 1946 und 1989 ins Politbüro. Mit Emanzipation hatte die Frauenarbeit nämlich nichts zu tun.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger | 04.09.2014
    Am 04.04.1972 findet in der Universität Jena eine Lehrlingswerbung für Schreibkräfte statt.
    Lehrlingswerbung: Frauen arbeiteten in der DDR selten in Führungspositionen. (picture alliance / Universität Jena)
    "Im Alltag in der DDR haben sie keine Zeit dazu gehabt, darüber nachzudenken, welche Rolle sie als Frau spielen. Ich habe promoviert, ich habe habilitiert, ich habe Forschungsarbeiten gemacht, ich habe drei Kinder geboren, die in der Kinderkrippe waren, im Kindergarten waren. Ich musste Familie und Beruf vereinbaren. Über diese Dinge, dass man in den 80er-Jahren in der Opposition darüber nachgedacht habe, das ist zu mir in die Provinz gar nicht durchgedrungen."
    Viele Frauen lebten in der DDR ihr Selbstverständnis und ihr Selbstbewusstsein im Beruf aus, erzählt Dagmar Schipanski. Erst nach der Wende konnte sie Professorin für Festkörperelektronik und später Präsidentin des Thüringer Landtags werden. Vorher hatte sie es ohne SED-Parteibuch nur bis zur außerordentlichen Dozentin geschafft. Dennoch sagt sie heute:
    "Ich habe mich sehr wohl gefühlt im Beruf, ich musste nicht mich den Männern gegenüber durchsetzen, sondern ich war mit meiner Leistung bei den Männern anerkannt. Das haben die Frauen aus der DDR mitgebracht in das vereinte Deutschland: Das Selbstbewusstsein, das man durch den Beruf sich selbst bestätigen kann."
    Die DDR hat nicht wenig dafür getan, ihr Ideal von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und von der berufstätigen Mutter durchzusetzen, darin waren sich die Frauen auf dem Podium "Wenn Mutti früh zur Arbeit geht" einig. Sei es der Hausarbeitstag für verheiratete Frauen mit mindestens zwei Kindern ab Mitte der 70er-Jahre, sei es der Anspruch auf bezahlte Freistellung bei Krankheit der Kinder.
    Bereits 1947 gleicher Lohn für gleiche Arbeit
    1947 bereits veranlasste die sowjetische Militäradministration den gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Und zwei Jahre später schrieb die DDR-Verfassung die Gleichberechtigung von Mann und Frau fest. 1950 bekamen die Frauen das Recht, ihren Arbeitsplatz ohne Einwilligung des Mannes frei zu wählen – ein Schritt, den die Bundesrepublik erst 1977 tat. Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung Aufarbeitung, verweist auf die Schattenseite: Mit dem Slogan "Arbeit ist nicht Zeitvertreib" seien die Frauen in den 50er- und 60er-Jahren nicht nur für die volle Berufstätigkeit gewonnen, sondern geradezu hinein gedrängt worden.
    "Das Recht auf Arbeit wurde durch die Pflicht zur Arbeit ergänzt. Entsprechende Paragrafen im Strafgesetzbuch, die als Asozialen- bzw. Arbeitsscheuen-Paragrafen formuliert waren, sahen mehrjährige Haftstrafen für Männer und Frauen vor, die sich der Arbeitspflicht entzogen. Und insbesondere in den 50er- und 60er-Jahren, aber nicht nur da, wurden Frauen, die sich dafür entschieden hatten, sich als Hausfrau um Heim und Kinder zu kümmern, als rückständige Heimchen am Herd, beschrieben, die, so die offizielle Lesart, ein Faulenzerleben führen wollten und Schmarotzerinnen seien."
    Frauen wurden dringend als Arbeitskräfte benötigt
    Zwar betonte die SED, Frauen sollten sich durch ihren Beruf ökonomisch unabhängig machen. Den Grund für den hohen Stellenwert weiblicher Ausbildung und Berufstätigkeit aber sieht Anna Kaminsky darin, dass die Frauen in der DDR dringend als Arbeitskräfte gebraucht wurden. Mussten sie doch zunächst die im Krieg gefallenen oder in Gefangenschaft befindlichen Männer ersetzen. Und schon bald darauf bis zum Ende der DDR diejenigen, die in den Westen flohen.
    "Das Konzept von Gleichberechtigung war in SBZ und DDR von Beginn an ein ökonomisches und nicht, wie im Nachhinein oft behauptet, ein emanzipatorisches. Es ging weniger darum, eine wirkliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu erreichen, sondern vor allem darum, Frauen massenhaft in das Arbeitsleben zu integrieren und den zu allen Zeiten bestehenden Arbeitskräftemangel in der DDR auszugleichen."
    Voraussetzung dafür war die umfassende Betreuung der Kinder. Bereits in den 60er-Jahren wurden 80 Prozent der Kinder in den Großstädten ganztags betreut oder bekamen einen Wochenkrippenplatz. Ende der 80er-Jahre waren es fast 100 Prozent. So konnte bereits Mitte der 50er-Jahre ein gutes Drittel aller Frauen Geld verdienen. Kurz vor dem Mauerfall waren es mehr als 90 Prozent.
    Die berufliche Gleichstellung allerdings blieb in weiter Ferne. Theoretisch standen den Frauen zwar alle Berufe offen, hieß es auf dem Podium, doch zog es viele in den schlechter bezahlten Dienstleistungsbereich, die Männer hingegen in die lukrativere Industriearbeit. Hinzu kam, dass die Frauen meist auf den unteren und mittleren Ebenen arbeiteten: Kein einziges DDR-Kombinat sei von einer Frau geleitet worden. An den Universitäten fanden sich zur Wendezeit so wenig Professorinnen und Rektorinnen wie in der Bundesrepublik.
    Gegen eine Verherrlichung der DDR-Frauenrechte wehrt sich deshalb die frühere Bürgerrechtlerin und ehemalige Beauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler:
    "Berufstätigkeit der Frauen, auch selbstverständliche Berufstätigkeit ist für mich nicht dasselbe wie Gleichberechtigung. Davon waren wir nämlich in der DDR sehr weit entfernt. Die Frauen haben eine zusätzliche Rolle übernommen durch ihre Berufstätigkeit. Sie sind aber die alte nicht losgeworden. Also für den "aben"-Knopf am Revers ihres Mannes waren sie immer noch zuständig. Und die kleinen Hefte, die die Schüler in der Schule kriegten für Mitteilungen, die hießen Mutti-Hefte."
    Hausarbeit musste noch zusätzlich verrichtet werden
    Die volle Berufstätigkeit bedeutete bis 1965, an sechs Tagen in der Woche zu arbeiten, danach an fünf Tagen 43 Stunden. Frauen mit zwei Kindern mussten später nur noch 40 Stunden in den Betrieb.
    "Und neben der Berufstätigkeit wurden von Frauen erwartet, dass sie sich gesellschaftlich engagieren sollten, sich beruflich fortbilden und wie in den Jahrzehnten zuvor den Haushalt meistern, die Kinder versorgen und gute Mütter und Ehefrauen sein sollten. Bei Befragungen gaben 80 Prozent der Frauen an, dass sie insbesondere unter den hohen Belastungen der als zweite Schicht bezeichneten Hausarbeit litten. Denn 80 Prozent der Hausarbeit wurden bis in die 80er-Jahre hinein von den Frauen allein bewältigt. Frauen verbrachten beispielsweise 38 Stunden mit Hausarbeit zusätzlich zu ihrer 40-Stunden-Woche, Männer gerade einmal zehn Stunden."
    Erschöpfung und ein schlechtes Gewissen den Kindern und der Familie gegenüber führten dazu, dass ein Bewusstseinswandel einsetzte – allerdings erst bei den jungen Frauen in den 80er-Jahren. Sie reagierten mit Geburtenverweigerung und Rückzug aus dem Arbeitsleben.
    Das Fazit des Podiums: Für die Frauen in der DDR war es selbstverständlich, zu arbeiten. Und viele bezogen ihr Selbstbewusstsein daraus. Die Möglichkeit aber, über ihre Rolle und die nach wie vor bestehende Benachteiligung nachzudenken, geschweige denn öffentlich zu diskutieren, war äußerst eingeschränkt. Marianne Birthler:
    "Es gab zwar die Berufstätigkeit, aber die Frage, oder sagen wir das Nachdenken über die weibliche Rolle oder ein weibliches Selbstverständnis ist absolut zu kurz gekommen, weil das Ideal eben war: Frauen sollen so leben können wie Männer. Das war sozusagen der Maßstab von Gleichstellung. Das kann man auch mit Anekdoten auffüllen: Bis zum Schluss wurde sogar beim Gynäkologen "Der nächste, bitte" noch gesagt."