Freitag, 19. April 2024

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Frauen in der Wissenschaft
Wissenschaftliche Karriereambitionen werden "mit Männlichkeit verknüpft"

Die Genderforscherin Heike Mauer hat im Dlf für ein Umdenken in der Wissenschaft plädiert. Frauen würden noch immer benachteiligt, hätten weniger Karrierechancen und veröffentlichten seltener wissenschaftliche Beiträge. Das liege nicht zuletzt an einem veralteten Bild, das viele Hochschulen von Frauen hätten.

Heike Mauer im Gespräch mit Stephanie Gebert | 05.06.2020
Eine Wissenschaftlerin hält eine Multiwellplatte mit vom Coronavirus infizierten Zellkulturen in einem Labor der biologischen Sicherheitsstufe 3 (Hochsicherheitslabor) im Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung HZI.
"Wir sehen, dass männliche Wissenschaftler die Debatte dominieren", sagte die Genderforscherin Heike Mauer im Dlf über den Mangel an Corona-Expertinnen (dpa/picture alliance - Julian Stratenschulte/dpa)
Stephanie Gebert: Das Fachmagazin "Nature" berichtet aktuell von mehreren Studien, die zeigen, dass Wissenschaftlerinnen weniger publizieren als ihre männlichen Kollegen. Heike Mauer von der Forschungsstelle des Netzwerks Frauen und Geschlechterforschung NRW an der Universität Duisburg-Essen: Was lässt sich denn da ganz konkret beobachten, wenn es um die wissenschaftlichen Veröffentlichungen während der zurückliegenden Monate geht?
Heike Mauer: Das Fachmagazin "Nature" hat sich auf verschiedene Studien bezogen, die untersuchen, ob und wie sich die Publikationstätigkeit von Frauen vor und nach der Coronakrise unterscheidet. Und die verschiedenen Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen, nämlich: Frauen publizieren während der COVID-19-Epidemie etwas weniger, als sie das vorher getan haben. Da wir erst ganz am Anfang der Epidemie stehen und wissenschaftliches Publizieren eine lange Vorlaufzeit hat, steht deswegen zu befürchten, dass sich dieser Gendergap bei wissenschaftlichen Publikationen in Zukunft sogar noch verstärkt.
"Wir sehen, dass männliche Wissenschaftler die Debatte dominieren"
Gebert: Im Moment ist das öffentliche Interesse an Medizin ja relativ groß. In den Medien treten verstärkt männliche Vertreter in Erscheinung mit ihren Veröffentlichungen zu COVID-19 zum Beispiel. Dabei wäre ja jetzt die Krisenzeit auch für Frauen ein gutes Zeitfenster, um auch auf sich aufmerksam zu machen oder sich zu profilieren.
Mauer: Genau. Wir sehen, dass männliche Wissenschaftler die Debatte dominieren, obwohl es ja auch Virologinnen, Professorinnen der Virologie in Deutschland gibt – wie beispielsweise Marylyn Addo an der Universität Hamburg oder Sandra Ciesek an der Universität Frankfurt. Sie werden in der Öffentlichkeit aber anders wahrgenommen und sind auch nicht so präsent wie ihre männlichen Kollegen. Um zu verstehen, wieso das so ist, ist es meiner Meinung nach wichtig, sich noch mal anzugucken, wie war eigentlich die Lage vor der Corona-Pandemie. Und die Hochschulen sind auch vor der Pandemie eben schon durch Ungleichheiten gekennzeichnet. Das betrifft nicht nur Geschlecht, sondern auch Rassismus und die Reproduktion von Bildungsungleichheit qua Herkunft, aber wir gucken jetzt eben mal genauer auf das Geschlecht. Und da hatten wir ja eben schon gesagt, nur jede vierte Professur ist mit einer Frau besetzt.
Warum vor allem Männer uns das Virus erklären
Nicht nur in den Chefetagen deutschen Medienhäuser sind Männer noch immer in der Überzahl. Auch in Zeitungen, Fernsehen und Radio kommen sie weitaus häufiger zu Wort als Frauen. In der Corona-Pandemie fällt das besonders auf.
In der Hochschulmedizin, die ich mir mit meinen Kolleginnen etwas genauer angeguckt habe im Land Nordrhein-Westfalen, ist die Situation besonders gravierend. 67 Prozent der Studierenden sind Frauen, sind Studentinnen, der Professorinnen-Anteil liegt aber nur bei rund 21 Prozent in den Gesundheitswissenschaften und der Humanmedizin. Das heißt, dort ist nur jede fünfte Professur mit einer Frau besetzt.
Wissenschaftlerinnen werden Steine in den Weg gelegt
Gebert: Haben Sie denn auch rausfinden können, was die studierenden Frauen davon abhält, weiterzukommen und wo sie an die gläserne Decke sozusagen stoßen?
Mauer: Wir haben uns das angeschaut und haben festgestellt, dass man nicht sagen kann, dass ein mangelndes Interesse bei den Nachwuchswissenschaftlerinnen an einer Karriere in der Hochschulmedizin besteht. Unsere Befragung hat ergeben, dass die Nachwuchsmedizinerinnen ein hohes Interesse an Forschung aufbringen und eben durchaus Karriere machen möchten. Ihnen werden dabei aber Steine in den Weg gelegt von Seiten der Institutionen. Und ein Stein stellt die einseitige Zuweisung von Elternschaft an Frauen dar, haben wir herausgefunden.
Was bedeutet das? Das bedeutet, dass unabhängig davon, ob die Frauen Kinder haben oder nicht oder ob sie einen Kinderwunsch äußern, den jüngeren Wissenschaftlerinnen in ihrem Arbeitsumfeld unterstellt wird, dass sie bald eine Familie gründen möchten oder werden – und dann wenig Zeit und wenig Interesse für ihre Forschung und Karriere aufbringen werden.
Vaterschaft hingegen wird nicht als so ein Problem oder als ein Karrierehindernis dargestellt. Das heißt für uns, innerhalb der Hochschulmedizin selbst herrscht ein Bild vor, das wissenschaftliche Karriereambitionen eben mit Männlichkeit verknüpft. Das war schon vor Corona ein Problem, hat aber momentan möglicherweise noch fatalere Auswirkungen, weil ja eben Kinderbetreuungsmöglichkeiten im Moment weggebrochen sind.
Vier männlich wirkende Spielfiguren stehen in einer Reihe mit einer Lücke in der Mitte, davor steht eine weiblich wirkende Figur.
Geschlecht - Feminismus und die kleinen Unterschiede
Gleichheit zu postulieren, das ist ein Grundpfeiler eines modernen Feminismus. Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden hierbei allein auf Erziehung und Kultur zurückgeführt. Aber was, wenn sie doch auf die Natur zurückgehen?
"Es ist auf jeden Fall wichtig, dass sich die Institutionen ändern"
Gebert: Haben Sie denn nicht nur erforscht und analysiert, wo diese Hürden, diese strukturellen Probleme liegen, sondern auch die Idee, wie das aufgebrochen, wie das verändert werden kann?
Mauer: Es ist auf jeden Fall wichtig, dass sich die Institutionen ändern. Das Bild, die Vorstellung davon, wer eigentlich diese Person ist, die Wissenschaft betreibt, das haben Sie auch in Ihrer Anmoderation angedeutet, dass man da eben Wissenschaft nicht mehr mit Männlichkeit so stark verknüpft, dass man nicht automatisch davon ausgeht, junge Wissenschaftlerinnen werden irgendwann die Institution verlassen oder werden nicht mehr so engagiert dabei sein wie ihre männlichen Kollegen. Dieser Kulturwandel in den Köpfen ist ganz wichtig.
Gebert: Das bedeutet aber auch, dass wir so ein bisschen darauf hoffen müssen auf diesen Kulturwandel, oder gibt es klare Maßnahmen, die eine Hochschule betreiben kann, die Hochschulen betreiben können, um genau dieses Bild zu verändern?
Mauer: Hochschulen haben ja einen gesetzlichen Gleichstellungsauftrag, sie müssen sich darum bemühen und sie müssen Maßnahmen ergreifen. Und es werden ja auch Maßnahmen ergriffen, die darauf achten sollen oder dafür sorgen sollen, dass Frauen in ihrer Karriereentwicklung nicht weiter übersehen werden. Da geht es ganz stark um Zugang zu Forschungszeit, aber auch Zugang zu bestimmten Forschungsinstrumenten. Das sind Dinge, wo ich sagen würde, dass das wichtig ist, dass das gemacht wird.
"Müssen aufpassen, dass sich Benachteiligungen nicht weiter fortschreiben"
Gebert: Trotzdem kann man ja sagen, diese Analyse, dass Frauen strukturell benachteiligt werden, diese Debatte darum führen wir jetzt seit Jahrzehnten, aber es ändert sich nichts.
Mauer: Das ist in der Tat eine Befürchtung. Und Corona ist insofern nichts Neues, das bedeutet aber ja trotzdem nicht, zu sagen, dann ist es eben so, sondern sowohl vor als auch während der Corona-Pandemie, denke ich, ist es wichtig, da den Finger in die Wunde zu legen und zu sagen, wir müssen aufpassen, dass sich Benachteiligungen nicht weiter fortschreiben oder sogar verstärken.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.