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Frauen in die Wirtschaft!

Auch in diesem Jahr geht der Nobelpreis für Wirtschaft an Männer - mal wieder. Bislang gab es erst eine Preisträgerin, nämlich Elinor Ostrom im Jahr 2009. Und dennoch vertreten Deborah Steinborn und Uwe Jean Heuser in ihrem Buch die These, dass die Ökonomie weiblicher wird.

Von Jule Reimer |
    Wenn Lehman Brothers bloß Lehman Sisters gewesen wäre, würde die Finanzkrise von heute ganz anders aussehen.

    "Anders denken! Warum die Ökonomie weiblicher wird" beginnt mit diesem Zitat von Christine Lagarde. Sie war auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 Frankreichs Finanzministerin. Heute führt sie den Internationalen Währungsfonds und ist überzeugt: Frauen agieren weniger gierig als Männer. Das Autorenteam Uwe Jean Heuser/Deborah Steinborn geht noch weiter:

    Unser Wohlstand ist nur zu halten, wenn die Frauen in der Wirtschaft vorankommen.

    Steinborn hat als Finanzmarktreporterin gearbeitet, das Thema Frauen und Führung in der Wirtschaft treibt sie schon lange um. Uwe Jean Heuser – Steinborns Ehemann und Leiter der Wirtschaftsredaktion der "Zeit" hat manches Podium mit und über weibliche Führungskraft moderiert.

    Goldman Sachs hat errechnet, dass die amerikanische Wirtschaftsleistung um neun Prozent steigen könnte, wenn in den USA der gleiche Anteil der Frauen berufstätig wäre, wie er heute bei den Männern herrscht. In der Euro-Zone kommt er gar auf 13 Prozent. Und der Global Gender Gap Report (des Weltwirtschaftsforums) zeigt (für einzelne Länder): Je mehr ökonomische Gleichheit zwischen den Geschlechtern herrscht, desto größer ist der Wohlstand.

    Gleichheit, die bei den Wirtschaftswissenschaften beginnen müsste, weil die Ideen der Ökonomen die Praxis formen. Dabei ist das Autorenteam nicht zimperlich im Urteilen:

    Die klassische ökonomische Denkweise, die vom Menschen als rationalen Egoisten ausgeht, verträgt sich nicht mit dem wirklichen Geschehen. Und es lässt sich auch nicht lange leugnen, (…) dass diese klassische Denkweise männlich ist.

    Ökonominnen orientieren sich am echten Leben
    Wie Heuser und Steinborn mit zahlreichen Beispielen belegen. Eine der vielen zitierten Kronzeugen und Kronzeuginnen ist die US-amerikanische Wirtschaftsprofessorin Deirdre McCloskey, von Haus aus Vertreterin der neoliberalen Chicagoer Schule:

    Eigentlich, sagt McCloskey, müssten Ökonomen doch Theorien über die Welt erstellen und dann die Welt daraufhin untersuchen. Doch was tun sie (…) klassischerweise? Behaupten zum Beispiel, dass der Wohlstand steigt, wenn eine Regulierung am Finanzmarkt entfällt. Um wie viel, das wird nicht gesagt. Ob es die zusätzlichen Risiken also wert sind, wird nicht gesagt.

    Dagegen orientierten sich die meisten Wirtschaftswissenschaftlerinnen lieber am echten Leben, suchten Lösungen für Individuen und kalkulierten ein, dass Menschen sich auch irrational verhielten. Ein gutes Beispiel sei die Französin Esther Duflo. Lange hatten Entwicklungsökonomen nicht verstanden, warum arme Eltern die Kinder-Impfprogramme gegen gefährliche Krankheiten so wenig annahmen. Duflo stellte fest, dass die Eltern nicht den langfristigen Nutzen sahen – wie auch, wenn man nicht überblickt, wie man die nächste Woche übersteht. Co-Autorin Deborah Steinborn über Duflos Lösung:

    Also zum Beispiel für Impfungen in einem Land ein Kilo Linsen anzubieten: Da steigt gleich die Zahl der Impfungen und das ist ökonomisch auch eine Verbesserung für die Wirtschaft, weil es weniger kranke Kinder gibt und mehr Arbeitskräfte gibt.

    Männliche Wirtschaftswissenschaftler hätten erheblich dazu beigetragen, die Verhältnisse am Arbeitsmarkt zuungunsten der Frauen zu zementieren:

    Es war Denken wie im Teufelskreis (…): Frauen erhalten geringere Gehälter am Markt, also übernehmen sie lieber die Arbeit am Herd. Und weil sie auf Hausarbeit ausgerichtet sind, erhalten sie am Markt natürlich geringere Gehälter.

    Bis heute tun sich die großen deutschen DAX-Unternehmen extrem schwer mit Frauen in höchsten Führungspositionen. In deutschen Mittelstandsunternehmen sieht es besser aus. Allerdings hat da mancher Vater die eigene Tochter zur Nachfolgerin erwählt. Dabei sei Frauen zu fördern die vielleicht simpelste und Erfolg versprechendste Methode, um im internationalen Wettbewerb der Wirtschaftssysteme zu bestehen. Andere Länder seien da weiter, sagt die US-Amerikanerin Steinborn.

    "Ich finde, Deutschland ist nach wie vor sehr konservativ. Das Thema an sich wird oft nicht gut angenommen und viele scheuen sich davor, das zu besprechen und zu überlegen, wie eine vielfältigere Wirtschaft das Land verbessern könnte."

    Frauen führen anders als Männer
    Dazu würde gehören, sich damit auseinanderzusetzen, dass Männer und Frauen unterschiedlich wahrgenommen werden, Forschungen über Geschlechtsumwandlungen belegten dies:

    Männer, die zu Frauen wurden, erlebten am Arbeitsplatz viel mehr Schwierigkeiten als ihre Pendants. Frauen, die zu Männern wurden, berichteten dagegen von erhöhter Autorität, mehr Respekt und schnellerer Belohnung, sobald sie als Männer auftraten.

    Heuser und Steinborn arbeiten sich an der üblichen Frage ab, ob Frauen anders als Männer führen. Dabei wagen sie sich auf das gefährliche Glatteis der Biologie – ohne Sturz und mit einem Ergebnis: Es existieren – immer im Durchschnitt betrachtet - tatsächlich Unterschiede im Führungsstil. Ein Beispiel von mehreren: Frauen belohnten positives Verhalten und verstärkten es, für Männer stehe im Vordergrund, Unfairness heimzuzahlen. Die Autoren behaupten nicht, dass Frauen die besseren Menschen seien.

    Heuser und Steinborn erlauben sich gegenseitig auch fallweise eine unterschiedliche Sicht der Geschlechter. Beide diagnostizieren ein anderes Rollenverständnis bei den jüngeren Männern, beide verbreiten Aufbruchsstimmung – obwohl der Vorstand von Siemens wieder frauenfrei und die weiblich dominierte Regierung wieder abgewählt ist, die Island durch die Finanzkrise manövrierte. Das seien Belege für die gefährliche gläserne Klippe, wie es britische Forscher nennen, wenn Frauen an die Macht kommen, weil der Karren im Dreck feststeckt. Deborah Steinborn:

    "Und natürlich kommt es dann auch öfters zu Niederlagen. Das ist ein Teil des Problems. Der andere Teil ist, das ist ein sehr langsamer Prozess. Man kann nicht über Nacht erwarten, dass es 30 Prozent Frauen im Vorstand der Deutschen Bank gibt. Das wird jahrelang dauern, bis wir Änderungen wirklich sichtbar haben, aber wir sind sehr zuversichtlich, dass wir auf dem Weg sind."

    Heuser/Steinborn diagnostizieren, dass es Frauen nicht an Führungs-, aber mitunter an Aufstiegsstärke fehle. Arbeitgeber müssten deshalb mehr als flexible Arbeitszeiten bieten, wenn sie das Potenzial der Frauen ausschöpfen wollten. Angesichts des Fachkräftemangels wird ihnen früher oder später nichts anders übrig bleiben – zum Vorteil beider Geschlechter, meinen Heuser/Steinborn:

    Das Potenzial für mehr Wohlstand und Wohlbefinden ist enorm, wenn alle entsprechend ihren Fähigkeiten und Vorlieben einen Platz finden, Frauen und auch Männer. Die Gesellschaft hat nichts von der jetzigen Schieflage, in der gut und teuer ausgebildete Frauen schlecht vorankommen. Freiheit sieht anders aus, Gerechtigkeit sieht anders aus. Effizienz sieht anders aus.

    Uwe Jean Heuser/Deborah Steinborn: "Anders denken! Warum die Ökonomie weiblicher wird"
    Hanser Verlag, 252 Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 978-3-446-43681-7.