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Frauengehirn, Männergehirn

Frauen können schlecht einparken und finden den Weg nicht - gern zitierte Dinge, zumal von Männern. Der türkisch-deutsche Biopsychologe Onur Güntürkün hat sich wissenschaftlich mit den Unterschieden beschäftigt.

Von Ingeborg Breuer | 05.08.2010
    Dass es eine geraume Zeit dauern kann, bis man die Fakultät für Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum gefunden hat, ist nach Auskunft von Onur Güntürkün keineswegs nur ein Problem von Frauen. Es ist das Labyrinth von Gängen und Etagen des Gebäudes G-A-F-O, das viele Besucher zur Verzweiflung treibt. Auch der Professor selbst habe in der ersten Zeit nur mit dem Kompass zu seiner Arbeitsstelle gefunden.

    "Wenn so viele Menschen das Gleiche sagen, unabhängig von ihrem Geschlecht, dann müssen sie Recht haben."

    Trotzdem aber, so der türkisch-deutsche Biopsychologe Onur Güntürkün, gebe es durchaus einen Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Orientierungsvermögen. Und nicht nur das: Männer und Frauen denken und fühlen unterschiedlich – zumindest in manchen Bereichen.

    "Schon sehr früh verhalten sich Jungen und Mädchen unterschiedlich. Jungen im statistischen Mittel neigen schon früh zu etwas raueren Spielen, in denen mehr gerangelt wird. Sie entfernen sich ein bisschen mehr von ihren Eltern, sie lieben Spiele, die so eine sehr motorische Komponente haben, Bälle und solche Sachen, die eine Eigenbewegung aufweisen. Mädchen bleiben etwas näher bei der Mutter, zeigen etwas mehr Angstreaktionen, wenn sie sich weiter von den Eltern entfernen, und zeigen mehr Spiele, die auch einen mütterliche Charakter haben können."

    Doch wie soll man feststellen, ob diese Unterschiede anerzogen oder angeboren sind? Die alte Streitfrage, ob das Geschlecht durch Natur oder Kultur geformt wird, lässt sich aufgrund solcher Beobachtungen jedenfalls nicht beantworten.

    "Weil es kann ja sein, dass die Jungs dann immer nach den Männern schauen und meinen, so müssen sie sich verhalten und die Mädchen machen es auf der anderen Seite."

    Onur Güntürkün möchte aber der Natur menschlicher Verhaltensweisen auf die Spur kommen. Und ein Indiz für die biologische Prägung von männlichen und weiblichen Verhaltensmustern findet der Wissenschaftler bei Experimenten mit Tieren. Denn auch Jungtiere zeigen ähnliche Verhaltensmuster wie Jungen und Mädchen der Spezies Homo sapiens.

    "Sehr schöne Untersuchungen gibt es mit Primaten, zum Beispiel mit grünen Meerkatzen, denen man menschliches Spielzeug gegeben hat. Bei diesen Tieren ist es so, dass die Mädchen sehr gern mit Puppen spielen und sehr viel Zeit damit verbringen. Sogar mit Kochtöpfen spielen die Mädchen sehr gern, und zwar beim Spielen mit Kochtöpfen zeigen sie ein sehr intensives Sammelverhalten, die tun ganz viel Zeug in die Kochtöpfe rein, tragen es herum und leeren dann wieder aus. Dafür sind die Jungs ganz begeistert vom Spielen mit Autos und Bällen und spielen das dann so, dass sie die schubsen und wegschieben. Und dann entfernen sich diese Gegenstände und ein andere Junge schnappt sich das und dann gibt's Gerangel um das Auto, um den Ball."

    Wenn aber geschlechtsspezifische menschliche Verhaltensmuster von biologischen Faktoren beeinflusst werden, dann müssten Veränderungen dieser biologischen Faktoren auch zu Veränderungen eben dieser Verhaltensmuster führen. Mit holländischen Kollegen erforschte Onur Güntürkün deshalb das räumliche Orientierungsvermögen von Menschen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen.

    "Die Geschlechtsänderung ist nicht nur ein chirurgischer Eingriff, sondern eine lange Therapie, auch mit Hormonpräparaten des anderen Geschlechtes und der Unterdrückung der eigenen Hormone. Und was man dabei beobachtet, ist zum Beispiel, dass Männer, die zu Frauen werden, ihre räumlichen Leistungen verschlechtern und Frauen, die zu Männern werden, ihre räumliche Leistungen verbessern: Auch das ist aus meiner Sicht ein starker Hinweis darauf, dass es die Hormone sind, die diese kognitiven Prozesse zumindest zum Teil beeinflussen."

    Selbst Frauen während der Menstruation, so ergaben weitere Forschungen des Bochumer Biopsychologen, ändern aufgrund ihres niedrigeren Östrogenspiegels - der wiederum zu einer veränderten Hirnorganisation führt - ihr räumliches Wahrnehmungsverhalten.

    "Das heißt, die Frauen weisen sie sehr gute Leistungen auf, sind ununterscheidbar von Männern, weisen aber gleichzeitig eine Hirnorganisation auf, die auch typisch ist für Männer. Mit dem Hochkommen der Hormone- also etwa um den 20sten Tag herum - an dem Östrogen und Progesteron höhere Werte erreichen, sind die Frauen wieder schlechter in ihren räumlichen Leistungen."
    Auch die sprachlichen Fähigkeiten von Frauen unterscheiden sich von denen der Männer. Die oft gemachte Unterstellung hingegen, Frauen könnten weniger logisch und eher intuitiv denken, kann der Biopsychologe nicht bestätigen.

    "Das heißt, die allermeisten Denkprozesse sind zwischen den Geschlechtern ähnlich gut: Es gibt nur einige wenige Dinge, in denen sich Männer und Frauen sehr deutlich unterscheiden. Das sind bei Männern ein Vorteil von dreidimensionalen Denkprozessen, bei denen ein Objekt, das man sich dreidimensional vorstellt, im Raum gedreht wird. Und Frauen sind deutlich besser in der Geschwindigkeit des Findens von Worten für eine bestimmte grammatikalische Konstruktion oder ein Wort mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben. Im Bereich des Verhaltens gibt es weitere Unterschiede, die teilweise größere Effekte zeigen, im Bereich der Aggression. Es gibt Hinwiese, dass Männer stärker zu physischer Aggression neigen und Frauen zu indirekter Aggression neigen."

    Anders als in populärwissenschaftlichen Bestsellern, denen zufolge Frauen nicht einparken und Männer nicht zuhören können, ergibt sich für Onur Güntürkün also ein differenzierteres Bild: Menstruierende Frauen können wunderbar einparken! Und vielleicht werden Männer mit abnehmendem Testosterongehalt ja auch einfühlsame Frauenversteher? Noch dazu ist es so, dass die Variationen solcher Fähigkeiten innerhalb eines Geschlechts größer sind als die Variationen zwischen den Geschlechtern. Und dass auch Umwelt und Lebensstil durchaus Einfluss auf die natürlichen Anlagen des Menschen nehmen, gilt unter Biologen mittlerweile als unbestreitbar:

    "Die Faustregel ist, dass die Unterschiede innerhalb des Geschlechts immer größer sind als die zwischen den Geschlechtern. Mit anderen Worten, der Zwischengeschlechtsunterschied ist nie besonders groß. Er existiert. Er hat eine biologische und eine kulturelle Grundlage, aber er ist kleiner als wir ihn häufig einschätzen. Wir sind letztlich das Produkt sowohl unserer Biologie als auch unserer Kultur und wir können diese Dinge nicht mathematisch klar voneinander trennen."

    Versöhnende Worte, die den Streit, ob nun die Natur oder die Kultur das Geschlecht formt, überflüssig machen sollten. Für die meisten jedenfalls, wie Onur Güntürkün auf seinen Vorträgen feststellen kann.

    "Die allermeisten Menschen sind sehr interessiert und stellen Fragen, natürlich auch kritische. Mir fällt auf, dass vor allem bei Menschen, die wahrscheinlich aus einer eher feministischen oder auch kulturwissenschaftlichen Ecke kommen, dass es zuweilen zu eisigem Schweigen kommt und man sagt, das ist nicht wichtig, das ist Statistik. Damit verkennt man die Wirklichkeit von Daten, die natürlich immer auch statistisch sind, aber immer auch ein Abbild von Wirklichkeit sind."