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Frauenherzen schlagen anders

Der kleine Unterschied zwischen den Geschlechtern wird in der Medizin oft vernachlässigt. Man trennt bisher kaum zwischen den Belangen von Frauen und Männern. Dabei sind Probanden für Studien fast immer jung und männlich. Anschließend geht man stillschweigend davon aus, dass die Ergebnisse für alle Patienten gelten. Dem ist aber nicht immer so. An der Berliner Charité gibt es seit über einem Jahr ein Zentrum für Geschlechterforschung in der Medizin. Es befasst sich unter anderem mit Geschlechterunterschieden bei Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen und belegt gravierende Unterschiede in den Erkrankungsverläufen.

Von William Vorsatz |
    Schon auf der molekularen Ebene zeigen sich die Unterschiede. Viele Zellen von Frauen funktionieren einfach anders, als die bei Männern, weiß Professorin Vera Regitz-Zagrosek von der Berliner Charite:

    "Wenn wir mit Zellen arbeiten und mit Versuchstieren, dann nehmen wir männliche und weibliche Zellen, stimulieren die zum Beispiel, und schauen uns die Antworten dieser Zellen an, also es gibt Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Zellen. Wenn man Versuchstiere anschaut, dann sieht man, dass die weiblichen Tiere auf Stress, Infarkt oder Blutdruck oder auch Fütterung mit Hochfettdiät anders reagieren als männliche Tiere. "

    Auch bei den Menschen lässt sich das offensichtlich bestätigen. Dass Frauen und Männer unterschiedlich auf krank machende Faktoren antworten, wird durch zahlreiche epidemiologische Studien untermauert. Aus führenden Industriestaaten kommen alarmierende Zahlen. Immer mehr Frauen leiden unter dem metabolischen Syndrom: sie sind übergewichtig, haben Bluthochdruck und zu hohe Blutfett- sowie Blutzuckerwerte. Schuld daran sind: falsche, allzu energiereiche Ernährung, Zigaretten, Alkohol und mangelnde Bewegung.

    "Noch ist das metabolische Syndrom häufiger bei den Männern, aber die Frauen sind kräftig am Aufholen, und in den USA haben die Frauen die Männer schon überholt. Vor allem die jungen Frauen. Vor dem Überholen war das in den USA so etwa 25 Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen in der Bevölkerung, und mittlerweile sind es in bestimmten Altersgruppen schon 40 Prozent der Frauen und 30 Prozent der Männer. "

    Wenn Frauen an Diabetes erkranken, sind die Auswirkungen für sie zudem dramatischer als bei Männern. Normalerweise schützt ihre hormonelle Konstitution sie besser vor einem Herzinfarkt. Der Diabetes allerdings hebt diesen wirksameren Schutz auf. Neue Studien zeigen: Weibliche Patienten mit erhöhtem Blutzuckerspiegel haben gegenüber Frauen mit normalen Blutwerten das siebenfach höhere Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden. Bei Männern dagegen verdreifacht sich dieses Risiko durch Diabetes lediglich. Und wenn es zu Herzerkrankungen kommt? Auch die Behandlungen verlaufen unterschiedlich erfolgreich: Frauen haben schlechtere Aussichten. Das Berliner Herzinfarktregister hat gemessen, wie viel Zeit vergeht, bis weibliche Patienten in der Notaufnahme eintreffen, und diese Zeit mit männliche Infarktpatienten verglichen. Professorin
    Regitz-Zagrosek:

    "Die Frauen kommen in der Regel so eine Stunde später als die Männer mit einem akuten Infarkt in die Klinik. Die Beschwerden sind ein bisschen anders, es ist eher so Übelkeit, Schwäche, und die Frauen denken auch nicht daran, dass sie einen Infarkt haben können, und die Frauen leben häufiger alleine. Weil die Männer verstorben sind oder sie sind zu Hause und die Männer sind im Berufsfeld. Mit anderen Worten, wenn der Mann einen Infarkt bekommt, dann steht jemand daneben, sieht, wie der umfällt und ruft den Notarzt. Und die Frau steht zu Hause, hat Übelkeit, Schwäche, legt sich erst mal ins Bett, dann ruft sie eher den Hausarzt an, das ist auch statistisch gesichert, als den Notarzt, und dann vergeht wertvolle Zeit, und so kommen die Frauen im Schnitt eine Stunde später in die Klinik. "

    Auch wenn die Frauen endlich behandelt werden , leiden sie immer noch unter einem höherem Risiko. Der im Krankenhaus behandelte Myokardinfarkt - zu deutsch Herzinfarkt - endet letztlich für sie eher tödlich. Die Kardiologin Ulrike Lehmkuhl von der Charité hat sich die Daten von 17 Tausend Patienten angeschaut:

    " Und da hat sich bestätigt, und vor allem eben jüngere Frauen unter 55 einen höhere Sterblichkeit haben als altersvergleichbare Männer, das ist ein Bild, was sich auch nach akutem Myokardinfakt in großen Studien gezeigt hat und mit den Daten, die wir akquirieren konnten, konnten wir das aber letzendlich nicht ganz schlüssig erklären, warum diese jüngeren Frauen diese Übersterblichkeit gezeigt haben. "

    Dazu soll nun eine neue Studie Fakten liefern, die speziell bei den Vermutungen und offenen Fragen ansetzt. Seit Anfang diesen Jahres beobachtet Lehmkuhl 360 Herz-Patienten. Über ein Jahr lang will sie ihre Genesung verfolgen. Die Ergebnisse haben enorme praktische Bedeutung. Etwa auf der physiologischer Ebene: bekommen Frauen überhaupt die richtigen Medikamente? Denn als Versuchspersonen bei Pharmatests werden normalerweise ausschließlich Männer rekrutiert. Aber auch psychologische Fragen könnten den Frauen helfen, betont Lehmkuhl:

    "Es gibt Studien, die tatsächlich belegen, das sind vor allen skandinavische, eine amerikanische, die zeigt also wirklich, dass Stress in der Partnerschaft, in einer Ehe, bei Frauen zu einer Prognoseverschlechterung führt nach akutem Myokardinfarkt. Bzw. zu Depression gibt es ne wirklich doch belegbare Studie, dass Depression oder allein schon depressive Verstimmung ebenfalls bei Frauen zu einer Verschlechterung der Prognose führt. "

    Schon seit vielen Jahren weisen klinische Untersuchungen immer wieder auf die unterschiedlichen Reaktionen von Frauen und Männern in Bezug auf Krankheiten und Behandlungen hin. Lange jedoch haben die Ärzte diese Unterschiede einfach ignoriert. Die systematische Geschlechterforschung in der Medizin könnte aber dazu führen, dass männliche und weibliche Patienten künftig verschieden behandelt werden: entsprechend ihrer unterschiedlichen körperlichen und seelischen Konstitution.