Der Regisseur Pierre Audi erzählt mit Glucks beiden Iphigenie-Opern von unserer Welt heute, eine Welt in der Krise, eine Welt im Krieg, eine Welt regionaler Konflikte, die militärisch befriedet werden sollen. Wobei die Menschlichkeit durch den bewaffneten Friedenseinsatz droht unter die Räder zu kommen. Gnadenlose Despoten sind mit von der Partie und heimliche Strippenzieher. In Brüssel sind das Männer wie die Herrscher Agamemnon und Thoas in schwarzer Junta-Uniform und Götzenpriester wie Kalchas in schwarzem Rollkragenpullover. Ihre schwerbewaffneten Soldaten, gleich ob Griechen oder Skythen, sind gierig auf Menschenfleisch, vor allem von Frauen. Die Frauen, Iphigenie und die Tempelpriesterinnen sind die Opfer von Misshandlung und Übergriffen. Und Opfer, Menschenopfer werden permanent von allen, vor allem vom Volk gefordert, wie hier, wenn Orest und sein Freund Pylades nach der Schlacht von Troja an den Strand des Skythenherrschers von Tauris gespült werden.
Chor: "Besänftigt ist der Götter Wut, da sie uns selbst das Opfer senden, verspritzt mit heiligen Händen sei beider Fremden Blut."
Pierre Audi und sein Bühnenbildner haben die gründerzeitliche Oper raumgreifend umgebaut. Über dem Orchestergraben ist eine schräge Spielfläche montiert. Von da aus steigen rechts und links über Stahlgerüste Aluminiumtreppen hoch zu den goldenen Logen. Sie sind Palast und Tempel. Das Orchester sitzt hinter der Spielfläche auf der Bühne und dahinter wiederum auf einer Tribüne Premierenpublikum und Chor. So geschieht der Krieg mitten unter uns, und wir machen gewissermaßen mit, die Chorsänger sind gekleidet wie die Zuschauer. Der Chor der griechischen und Gluck'schen Tragödie, die Stimme des Volkes als treibende Kraft des Geschehens wird in Audis Inszenierung auf faszinierende Weise sinnfällig. Der Nachtteil davon, dass das Orchester im Bühnenraum spielt, ist, dass die existenzielle Wucht und Feingliedrigkeit der Musik vom Schnürboden verschluckt wird und nur gedämpft ins Parkett dringt. Die Sänger dagegen können ohne Mühe ihr ganzes Können und alle Schattierungen ihrer Melodienlinien und damit jede Regung ihrer Psyche offenlegen, was einem großartigen Solistenensemble gelang, allen voran Véronique Gens, die die Iphigenie auf Aulis mit wunderbarer Zartheit sang, etwa wenn sich Iphigenie sprengstoffumgürtet einverstanden erklärt mit ihrem Opfergang, damit der Marsch der Griechen auf Troja weitergehen kann.
Iphigenie: "Das Los, das mir beschieden, will mutig ich ertragen, bis in das Grab soll es mich standhaft sehn."
Achill will seine Geliebte retten, ein Friedensengel, die Göttin Diana, kommt beiden zu Hilfe, vereitelt das Menschenopfer, "Iphigenie in Aulis" ist beendet, erste und einzige Pause, "Iphigenie auf Tauris" kann beginnen. Dorthin, nach Tauris, hat die Göttin Iphigenie als Priesterin ihres Tempels entführt, dort geht es mit den Menschenopfern weiter, Iphigenie soll ihren gestrandeten Bruder Orest auf dem Altar schlachten. Aber jetzt wehrt sie sich, sie will nicht mehr alles mit sich machen lassen, sie und alle Frauen erheben sich gegen die Macht der Verhältnisse, gegen eine Kultur des Todes. Insofern ist es sinnvoll die beiden Werke Glucks miteinander in einer Inszenierung zu verbinden, wie es in der Vergangenheit auch geschehen ist. Audi hat dieser Geschichte von Ergebenheit und Revolte einen höchst aktuellen Realismus verliehen. Nicht nur zeitkritisch, auch ästhetisch und psychologisch hat er Glucks Reformopern, die alle Künstlichkeit der italienischen Opera seria mit ihrem Koloraturschnickschnack überwunden haben, zu ihrem musikdramatischen Ziel geführt. In Brüssel erlebt man klingendes, tönendes, rauschendes Musik-Theater. Selten ist die Wahrhaftigkeit des Spiels so natürlich und ausdrucksstark auf die Opernbühne gebracht worden. Diesen Agamemnon, diesen Thoas, auch den Orest und die Klytemnestra von Charlotte Hellekant möchte man immer wieder hören.
Klytemnestra: "Ach zum Tode verdammt durch den grausamen Vater und von den Göttern selbst verlassen bleibst nur du ihr allein."
Chor: "Besänftigt ist der Götter Wut, da sie uns selbst das Opfer senden, verspritzt mit heiligen Händen sei beider Fremden Blut."
Pierre Audi und sein Bühnenbildner haben die gründerzeitliche Oper raumgreifend umgebaut. Über dem Orchestergraben ist eine schräge Spielfläche montiert. Von da aus steigen rechts und links über Stahlgerüste Aluminiumtreppen hoch zu den goldenen Logen. Sie sind Palast und Tempel. Das Orchester sitzt hinter der Spielfläche auf der Bühne und dahinter wiederum auf einer Tribüne Premierenpublikum und Chor. So geschieht der Krieg mitten unter uns, und wir machen gewissermaßen mit, die Chorsänger sind gekleidet wie die Zuschauer. Der Chor der griechischen und Gluck'schen Tragödie, die Stimme des Volkes als treibende Kraft des Geschehens wird in Audis Inszenierung auf faszinierende Weise sinnfällig. Der Nachtteil davon, dass das Orchester im Bühnenraum spielt, ist, dass die existenzielle Wucht und Feingliedrigkeit der Musik vom Schnürboden verschluckt wird und nur gedämpft ins Parkett dringt. Die Sänger dagegen können ohne Mühe ihr ganzes Können und alle Schattierungen ihrer Melodienlinien und damit jede Regung ihrer Psyche offenlegen, was einem großartigen Solistenensemble gelang, allen voran Véronique Gens, die die Iphigenie auf Aulis mit wunderbarer Zartheit sang, etwa wenn sich Iphigenie sprengstoffumgürtet einverstanden erklärt mit ihrem Opfergang, damit der Marsch der Griechen auf Troja weitergehen kann.
Iphigenie: "Das Los, das mir beschieden, will mutig ich ertragen, bis in das Grab soll es mich standhaft sehn."
Achill will seine Geliebte retten, ein Friedensengel, die Göttin Diana, kommt beiden zu Hilfe, vereitelt das Menschenopfer, "Iphigenie in Aulis" ist beendet, erste und einzige Pause, "Iphigenie auf Tauris" kann beginnen. Dorthin, nach Tauris, hat die Göttin Iphigenie als Priesterin ihres Tempels entführt, dort geht es mit den Menschenopfern weiter, Iphigenie soll ihren gestrandeten Bruder Orest auf dem Altar schlachten. Aber jetzt wehrt sie sich, sie will nicht mehr alles mit sich machen lassen, sie und alle Frauen erheben sich gegen die Macht der Verhältnisse, gegen eine Kultur des Todes. Insofern ist es sinnvoll die beiden Werke Glucks miteinander in einer Inszenierung zu verbinden, wie es in der Vergangenheit auch geschehen ist. Audi hat dieser Geschichte von Ergebenheit und Revolte einen höchst aktuellen Realismus verliehen. Nicht nur zeitkritisch, auch ästhetisch und psychologisch hat er Glucks Reformopern, die alle Künstlichkeit der italienischen Opera seria mit ihrem Koloraturschnickschnack überwunden haben, zu ihrem musikdramatischen Ziel geführt. In Brüssel erlebt man klingendes, tönendes, rauschendes Musik-Theater. Selten ist die Wahrhaftigkeit des Spiels so natürlich und ausdrucksstark auf die Opernbühne gebracht worden. Diesen Agamemnon, diesen Thoas, auch den Orest und die Klytemnestra von Charlotte Hellekant möchte man immer wieder hören.
Klytemnestra: "Ach zum Tode verdammt durch den grausamen Vater und von den Göttern selbst verlassen bleibst nur du ihr allein."