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Frechheit siegt
Seinen Job hat er verloren. Eine iranische Zeitung meldet gar: Er habe sich unmittelbar nach dem Fall Bagdads erhängt. Andere glauben, er halte sich irgendwo im Irak versteckt. Seltsamerweise sucht man ihn im "Death Pack", im Kartenspiel mit den Portraits der Top-Irakis vergebens. Wie dem auch sei: Für Mohammed Saeed al Sahaf, unter Saddam Hussein irakischer Informationsminister, hat längst eine zweite Karriere begonnen: als Star im Internet. Seine täglichen Fernseh-Auftritte während des zweiten Golfkrieges mit ein paar kargen Informationen eingepackt in ein Meer dreister Lügen, blutrünstiger Schmähgesänge und absurder Erfindungen fand noch während der Kampfhandlungen immer mehr Fans. Während man in CNN schon Panzer auf den Straßen der irakischen Hauptstadt sehen konnte, verkündete Al Sahaf lachend: Es gibt keine Amerikaner in Bagdad! Niemals! Und lud die Journalisten zu einem Besuch auf dem angeblich wiedereroberten Flughafen ein. "In einer Stunde." Versprach er. Doch daraus wurde bekanntlich nichts. Al Sahaf verschwand. Und die Webseiten mit seinem Sprüchen schossen ins Kraut. Talkmaster Jay Leno begann fortan seine Sendungen stets mit einem Spruch von MSS, wie die Fans ihn fast liebevoll abkürzen. Auf der Webseite der Sendung sind die originellsten Auftritte des Desinfotainment-Spezialisten aus dem Irak gesammelt: Etwa die Behauptung, statt Bomben und Raketen hätte die US-Army lediglich Container abgeworfen, in denen Detonationsgeräusche vom Band abliefen. Inzwischen spuckt die Suchmaschine Google auf den korrekt eingegeben Namen Mohammed Saeed Al Sahaf fast 9000 Links aus, darunter regelrechte Fan-Sites wie "welovetheirakiinformationminister.com" Da wird man über alles auf dem Laufenden gehalten, was mit MSS in Zusammenhang gebracht werden kann. Etwa dass eine Spielzeugfirma die Puppe "Bagdad Bob" auf den Markt bringt mit einen Sprachchip, auf dem ein paar drastische Verwünschungen Al Sahafs gespeichert sind. Man lässt ihn Waterloo in einen Sieg Napoleons umdeuten: "Wir stehen schon kurz vor London", sucht mit der Idee, er sei dahin abgetaucht wo er hingehört, Lookalikes in Hollywood, wobei Sidney Pollack knapp vor Woody Allan liegt. Man kann sich eine Rede ausdenken und sie Al Sahaf in den Mund legen und man kann ihn um Rat fragen: "Ask Sahaf". Wie einst das Dr. Sommer-Team beschäftigt sich Al Sahaf postwendend drastisch und verlogen mit Pickeln, Fettleibigkeit und dem weggelaufenen Freund. Die Werbepotenziale der Figur entdeckte als erstes die Billigfluglinie "Ryanair". Sie ließ ihn einfach behaupten der Konkurrent "Easyjet" sei billiger. David Calloway, der Wallstreetkorrespondent von CBS wünscht sich gar Al Sahafs arrogante Zuversicht und seine gewagten Formulierungen an Stelle des Verlautbarungstons der Geschäftsberichte und spielt das gleich an einigen Beispielen durch etwa so: "AOL-Anteile sind ein Geschenk Gottes an die Menschen dieses Landes. Sie werden wie der Adler immer höher steigen und das für alle Zeiten und alle die das anzweifeln, sollte man sofort aufhängen." Auch Microsoft und Enron, so der Wall-Street-Spezialist, könnten die Dienste des orientalischen Chef-Demagogen sicher gut gebrauchen. Inzwischen haben Al-Sahaf –Fans ihn auch für den Grimme-Online-Award vorgeschlagen und den verdient er eigentlich schon für einen einzigen Satz, den er inmitten von all dem höheren Blödsinn und Wortgeklingel andauernd wiederholt: "Glauben sie nicht alles was sie hören."
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