Michael Köhler: Eine Kirche ist ein Gotteshaus, keine Frage, ein Ort, wo die Heilige Messe gefeiert wird, die Evangelien gelesen, die Sakramente gespendet werden, ein Ort der Andacht, ein Ort der Predigt und Verkündigung. Es ist ein besonderer Versammlungsort für Christen, mal ganz äußerlich beschrieben und gesagt. Nun gibt es in allen Bundesländern das Problem der Entkirchlichung, sinkender Kirchenmitgliederzahlen, Gottesdienstbesucher werden weniger. Viele Kirchen stehen leer, sind als Baudenkmäler bedroht. Der Staatssekretär im Bundesbauministerium Engelbert Lüdtke-Dahldrup hat heute auf einer Tagung vor einem übereilten Abriss ungenutzter Kirchen gewarnt. Ich habe den Veranstalter Manfred Keller vom Bundesvorstand Evangelischer Akademiker gefragt. Sie diskutieren an der Bauhaus-Universität in Weimar über die Zukunft bedrohter Kirchenbauten. Was heißt und was verstehen Sie eigentlich unter erweiterter Nutzung?
Manfred Keller: Die erweiterte Nutzung ist eine Nutzung, die weitere Möglichkeiten der Nutzung, und zwar Formen von karitativer oder kultureller Tätigkeit, die einer Kirchengemeinde sozusagen angehören. Und die andere Öffnung ist die für den säkularen Raum, für die Zivilgesellschaft, für die Kommune.
Köhler: Schließt das auch gewerbliche Nutzung ein?
Keller: Sehr begrenzt.
Köhler: Ein Versicherungsbüro ginge, metaphorisch gesprochen, geradezu noch?
Keller: Ich würde es eher sagen, nein. Das würde ich als eine Teilumnutzung ansehen.
Köhler: Damit sind wir beim interessanten Problem. Inwieweit muss eine erweiterte Nutzung eigentlich eine, ja, ich weiß nicht, wie man da sagt, Entweihung, muss die vorausgehen?
Keller: Nein. Nein, die muss nicht vorausgehen, weil nämlich die Widmung für den Gottesdienst erhalten bleibt, wobei ja die förmliche Weihung auch nur in der katholischen Nachbarkirche den gottesdienstlichen Charakter einer Kirche begründet. Evangelische Kirchen werden eingeweiht. Das heißt, sie werden in gottesdienstlichen Gebrauch genommen.
Köhler: Ihre Tagung in Weimar, Sie sind stellvertretender Bundesvorsitzender der Evangelischen Akademikerschaft. Ist die evangelische Kirche da, ich sag es jetzt mal so ungedeckt, beweglicher, reformfreudiger, weil der Kirchenraum im Protestantismus ein bisschen was anderes ist als in der katholischen Kirche?
Keller: Würde ich gar nicht mal sagen. Ich beobachte, dass sich in beiden Kirchen gegenläufige Entwicklungen abspielen. In der katholischen Kirche können Sie, und zwar gerade jetzt unter dem Druck, wie erhalten wir unsere Kirche, erstaunliche Entwicklungen in Richtung Öffnung, und zwar nicht nur Öffnung für die Kirchengemeinde, für die Pfarrgemeinde, sondern auch Öffnung für die Zivilgesellschaft erleben. Und umgekehrt, in den evangelischen Kirchen hat es in den 90er Jahren so etwas wie eine Wiederentdeckung des Kirchraums gegeben. Die Gemeinde, im Unterschied zum theologischen Personal, hat eigentlich immer an der Kirche festgehalten und reagiert sehr sensibel und empfindlich auf das, was sie sozusagen als Missbrauch des Kirchraums ansieht. Ich komme jetzt noch mal schnell auf die kommerzielle Nutzung. Für uns ist ganz wesentlich, dass die Kirche ein Raum ist, der frei bleibt vom Kommerz, ein öffentlicher Raum, den jeder betreten kann, wo es aber nicht nur um das natürlich zentrale Anliegen des Glaubens geht, sondern es ist ein öffentlicher Raum. Und damit möchten wir hinweisen auf Funktionen, die Kirchen in ihrer Geschichte immer gehabt haben. Kirchen sind immer mehr als Kirche gewesen.
Köhler: Sonst hätten sie auch gar nicht überlebt, wenn sie nach der Säkularisierung nicht als Bibliotheken ...
Keller: Ganz genau, ganz genau. Das kann man auch locker passieren lassen. Es ist natürlich ein Unterschied, ob mir eine politische Gewalt einen Raum wegnimmt und ein Magazin daraus macht, oder ob ich selber diesen Raum zur Verfügung stelle.
Köhler: Ein Letztes, es geht dabei ja auch um das nicht geringe Problem des Denkmalschutzes.
Keller: Ja.
Köhler: Wie steht es denn damit? Ich könnte mir vorstellen, dass so mancher Kirchenbau der jüngeren Geschichte eine andere oder erweiterte Nutzung in Ihrem Sinne ja vielleicht nahe liegt, vielleicht sogar eine moderne Architektur, wo man sagt, ach, da kann ich mir das viel leichter vorstellen als in so einer schönen, alten, neugotischen Kirche, vielleicht noch mit einem barocken Hochaltar.
Keller: Die große Zahl gefährdeter Kirchen in den westlichen Bundesländern hat ja in sich auch eine große Zahl von architektonisch ganz wichtigen Gebäuden. Ich komme aus dem Ruhrgebiet, und im Ruhrgebiet gibt es Inkunabeln der modernen Kirchbauarchitektur. Beispielsweise im Bistum Essen, wo 96 von 342 Kirchen von der Diözese zur Disposition gestellt werden, sind Kirchbauten von Rudolf Schwarz, von Emil Steffan, von Matthias Hülsmann, von wichtigen Baumeistern, die unbedingt verdienen, aus architekturgeschichtlichen Gründen erhalten zu bleiben. Wir haben hier in Weimar ein Fachpublikum aus Architekten, Denkmalpflegern und Theologen. Und das stimmt uns sehr zuversichtlich, dass wir mit dieser Teilnehmerschaft wichtige Fragen der Erhaltung und auch der angemessenen Neugestaltung von Kirchen besprechen können.
Köhler: Citykirche, Kulturkirche, Kietzkirche, Servicekirche, gibt es alles schon, natürlich in Berlin zum Beispiel. Manfred Keller vom Bundesvorstand Evangelischer Akademiker zu einer Tagung an der Bauhaus-Uni in Weimar über die Zukunft bedrohter Kirchenbauten und ihre erweiterte Nutzung.
Manfred Keller: Die erweiterte Nutzung ist eine Nutzung, die weitere Möglichkeiten der Nutzung, und zwar Formen von karitativer oder kultureller Tätigkeit, die einer Kirchengemeinde sozusagen angehören. Und die andere Öffnung ist die für den säkularen Raum, für die Zivilgesellschaft, für die Kommune.
Köhler: Schließt das auch gewerbliche Nutzung ein?
Keller: Sehr begrenzt.
Köhler: Ein Versicherungsbüro ginge, metaphorisch gesprochen, geradezu noch?
Keller: Ich würde es eher sagen, nein. Das würde ich als eine Teilumnutzung ansehen.
Köhler: Damit sind wir beim interessanten Problem. Inwieweit muss eine erweiterte Nutzung eigentlich eine, ja, ich weiß nicht, wie man da sagt, Entweihung, muss die vorausgehen?
Keller: Nein. Nein, die muss nicht vorausgehen, weil nämlich die Widmung für den Gottesdienst erhalten bleibt, wobei ja die förmliche Weihung auch nur in der katholischen Nachbarkirche den gottesdienstlichen Charakter einer Kirche begründet. Evangelische Kirchen werden eingeweiht. Das heißt, sie werden in gottesdienstlichen Gebrauch genommen.
Köhler: Ihre Tagung in Weimar, Sie sind stellvertretender Bundesvorsitzender der Evangelischen Akademikerschaft. Ist die evangelische Kirche da, ich sag es jetzt mal so ungedeckt, beweglicher, reformfreudiger, weil der Kirchenraum im Protestantismus ein bisschen was anderes ist als in der katholischen Kirche?
Keller: Würde ich gar nicht mal sagen. Ich beobachte, dass sich in beiden Kirchen gegenläufige Entwicklungen abspielen. In der katholischen Kirche können Sie, und zwar gerade jetzt unter dem Druck, wie erhalten wir unsere Kirche, erstaunliche Entwicklungen in Richtung Öffnung, und zwar nicht nur Öffnung für die Kirchengemeinde, für die Pfarrgemeinde, sondern auch Öffnung für die Zivilgesellschaft erleben. Und umgekehrt, in den evangelischen Kirchen hat es in den 90er Jahren so etwas wie eine Wiederentdeckung des Kirchraums gegeben. Die Gemeinde, im Unterschied zum theologischen Personal, hat eigentlich immer an der Kirche festgehalten und reagiert sehr sensibel und empfindlich auf das, was sie sozusagen als Missbrauch des Kirchraums ansieht. Ich komme jetzt noch mal schnell auf die kommerzielle Nutzung. Für uns ist ganz wesentlich, dass die Kirche ein Raum ist, der frei bleibt vom Kommerz, ein öffentlicher Raum, den jeder betreten kann, wo es aber nicht nur um das natürlich zentrale Anliegen des Glaubens geht, sondern es ist ein öffentlicher Raum. Und damit möchten wir hinweisen auf Funktionen, die Kirchen in ihrer Geschichte immer gehabt haben. Kirchen sind immer mehr als Kirche gewesen.
Köhler: Sonst hätten sie auch gar nicht überlebt, wenn sie nach der Säkularisierung nicht als Bibliotheken ...
Keller: Ganz genau, ganz genau. Das kann man auch locker passieren lassen. Es ist natürlich ein Unterschied, ob mir eine politische Gewalt einen Raum wegnimmt und ein Magazin daraus macht, oder ob ich selber diesen Raum zur Verfügung stelle.
Köhler: Ein Letztes, es geht dabei ja auch um das nicht geringe Problem des Denkmalschutzes.
Keller: Ja.
Köhler: Wie steht es denn damit? Ich könnte mir vorstellen, dass so mancher Kirchenbau der jüngeren Geschichte eine andere oder erweiterte Nutzung in Ihrem Sinne ja vielleicht nahe liegt, vielleicht sogar eine moderne Architektur, wo man sagt, ach, da kann ich mir das viel leichter vorstellen als in so einer schönen, alten, neugotischen Kirche, vielleicht noch mit einem barocken Hochaltar.
Keller: Die große Zahl gefährdeter Kirchen in den westlichen Bundesländern hat ja in sich auch eine große Zahl von architektonisch ganz wichtigen Gebäuden. Ich komme aus dem Ruhrgebiet, und im Ruhrgebiet gibt es Inkunabeln der modernen Kirchbauarchitektur. Beispielsweise im Bistum Essen, wo 96 von 342 Kirchen von der Diözese zur Disposition gestellt werden, sind Kirchbauten von Rudolf Schwarz, von Emil Steffan, von Matthias Hülsmann, von wichtigen Baumeistern, die unbedingt verdienen, aus architekturgeschichtlichen Gründen erhalten zu bleiben. Wir haben hier in Weimar ein Fachpublikum aus Architekten, Denkmalpflegern und Theologen. Und das stimmt uns sehr zuversichtlich, dass wir mit dieser Teilnehmerschaft wichtige Fragen der Erhaltung und auch der angemessenen Neugestaltung von Kirchen besprechen können.
Köhler: Citykirche, Kulturkirche, Kietzkirche, Servicekirche, gibt es alles schon, natürlich in Berlin zum Beispiel. Manfred Keller vom Bundesvorstand Evangelischer Akademiker zu einer Tagung an der Bauhaus-Uni in Weimar über die Zukunft bedrohter Kirchenbauten und ihre erweiterte Nutzung.