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Freiburger Sportmedizin erneut im Zwielicht

Der Sturz wäre tief: Muss Professor Dr. Dr. Hans Hermann Dickhuth, Leiter der Sportmedizin am Freiburger Universitätsklinikum und über Jahrzehnte geschätzter Verbandsarzt im deutschen Spitzensport, künftig mit dem Makel leben, ein wissenschaftlicher Betrüger zu sein?

Von Grit Hartmann | 05.03.2011
    Darauf deutet die rasche Abfolge der Ereignisse vom Plagiatsverdacht bis zur Beurlaubung des Professors hin. Erst am Freitag vergangener Woche legte die Kriminologin Letizia Paoli dem Rektor der Universität auf 15 Seiten harte Indizien dafür vor, dass Dickhuth einen Teil seiner Habilitationsschrift aus der Arbeit einer Doktorandin übernommen haben könnte, ohne Quellenangabe. Paoli leitet die Kommission zur Aufklärung der Freiburger Dopingvergangenheit; sie durchforstet seit Monaten die wissenschaftlichen Arbeiten der Sportmedizin auf dopingre-levante Hinweise.

    Thema beider Arbeiten – das Sportlerherz, das etwa unter Anabolikaeinfluss Veränderungen zeigt. Die Doktorandin, heute Ärztin am Universitätsklinikum, bestätigte die Übernahmen. Allerdings: Dickhuth hatte an ihrer Doktorarbeit immer wieder Änderungen verlangt; beide Arbeiten wurden zwar 1983 vorgelegt, die Promotion war aber erst 1985 fertig. Inzwischen ist die Frage, wer von wem abgeschrieben hat, nur noch nebensächlich. Denn die Universität selbst stieß auf eine zweite Doktorarbeit, die Übereinstimmungen mit Dickhuths Schrift aufweist. Sie wurde vor Dickhuths Habil abgeschlossen – und stammt pikanterweise von seiner Ehefrau.

    Zusätzliche Brisanz verleiht diesem Fund jedoch ein anderer Fakt: Dickhuth selbst übermittelte der Paoli-Kommission eine Liste mit angeblich allen im Zeitraum zwischen 1970 und 2007 vorgelegten Promotionen. Mindestens eine fehlte: die Doktorarbeit seiner Gattin. Darüber informierte Paoli den Rektor am Mittwoch.

    Gestern teilte die Universität mit, Dickhuth habe selbst angeboten, ihn bis zur Klärung der Vorwürfe ohne Fortzahlung der Bezüge zu beurlauben. Eine diplomatische Formulierung – Dickhuth, sagt ein Insider, hatte gar keine andere Wahl, als einem entsprechenden Vorschlag des Rektors zuzustimmen.

    Vordergründig betrachtet, scheint die Plagiatsaffäre nur ein Nebenprodukt der Recherchen der Großen Kommission. Für den eigentlichen Untersuchungsgegen-stand, die Freiburger Dopinghistorie, wirft sie indes eine Grundsatzfrage neu auf: die nach Integrität und Glaubwürdigkeit der südbadischen Protagonisten im Weißen Kittel. Sie trifft Dickhuth und seinen verstorbenen Ziehvater: den Doyen der deutschen Sportmedizin und langjährigen Olympiaarzt Joseph Keul. Er betreute Dickhuths Habilitationsschrift und als Doktorvater auch eine der teilidentischen Promotionen.

    Schon eine erste Kommission – sie untersuchte nur den Telekom-Skandal – befasste sich mit Dopingverstrickungen der Freiburger Chefmediziner Keul und Dickhuth. Sie machte indes nur zwei Schuldige aus: die Doktoren Andreas Schmid und Lothar Heinrich. Gegen beide ermittelt die Staatsanwaltschaft noch immer. In Ermittlerkreisen heißt es allerdings seit langem, mit Dickhuth habe die Uni eine "offene Baustelle". Dickhuth selbst bestreitet jede Kenntnis von Dopingpraktiken, aber Gerüchte über seine Versetzung in den Ruhestand kursieren seit einiger Zeit. Hinter der eiligen Beurlaubung könnte also mehr stecken als der Plagiatsfall.

    Zumal: Die Universität selbst agiert nicht unbedingt redlich. Nach dem Telekom-Skandal im Frühjahr 2007 verkündete sie medienwirksam den Abschied aus der Betreuung von Radprofis – nach Deutschlandfunk-Recherchen allenfalls die halbe Wahrheit. Nur Monate später nämlich gründete Dickhuth-Kollege Professor Albert Gollhofer, der Direktor des Instituts für Sportwissenschaft an der Universität, die Radlabor GmbH mit. Zweck des florierenden Unternehmens ist "die Erbringung von sportwissenschaftlichen Dienstleistungen" für Top-Athleten. Als Partner für die medizinische Betreuung auch von Radlern firmiert die Dickhuth-Abteilung.

    In dieser Gemengelage wird es spannend, wie der Fall Dickhuth ausgeht: Nur Versetzung in den Ruhestand oder Suspendierung, Strafanzeige, Aberkennung der Professur? In vergleichbaren Fällen reagierte die Uni windelweich. Schon Ende der 90er Jahre war sie in einen der größten deutschen Forschungsskandale verwickelt. Die damals eingesetzte Untersuchungskommission attestierte einem Professor "grob fahrlässige Verletzung von Regeln guter wissenschaftlicher Praxis" und "fehlende Glaubwürdigkeit". Es handelte sich um Roland Mertelsmann, einst als Pionier der Gentherapie hofiert. Er steht bis heute der Abteilung Onkologie und Hämatologie des Uniklinikums vor. Krebsmediziner Mertelsmann übrigens interessierte sich als einer der ersten in Deutschland für Epo.