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Freie Musiker
Brandenburgs Kampf gegen Dumpinglöhne

Weil freien Musikern wegen schlechter Bezahlung die Altersarmut droht, will das Land Brandenburg einen Mindestlohn für sie einführen. Gut gemeint, könnte aber das Gegenteil bewirken. Freie Künstler befürchten, dass ihnen festangestellte Kollegen dann die Engagements wegschnappen - weil sie billiger sind.

Von Verena Kemna | 10.12.2018
    Musiker eines Orchesters im Dunkeln
    In vielen Orchestern spielen freie und fest angestellte Musiker zusammen (picture-alliance / dpa / All Canada Photos / Boomer Jerritt)
    Im Gemeindesaal einer Kirchengemeinde in Kleinmachnow proben Musiker und Sänger für das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Andreas Wenske hält seine Oboe in den Händen. Jetzt in der Vorweihnachtszeit muss sich der freischaffende Musiker um das nächste Engagement keine Sorgen machen. Er ist täglich unterwegs, spielt Oboe, Orgel, Klavier. Oft sitzt er dabei neben festangestellten Musikern, etwa aus Sinfonieorchestern, die für kleines Geld spielen, aus purer Freude am Engagement.
    "Gar nicht geht, wenn man im Grunde genommen zum Schluss kein Honorar mehr hat und eigentlich nur spielt, um im Geschäft zu bleiben. Das sind die Angebote, die ich aussortiere, weil ich finde, dass das den Markt schädigt."
    In einer Probenpause erinnert sich Andreas Wenske an besonders miese Offerten.
    "Also da waren Angebote darunter, wo man für 120 Euro vier Tage lang unterwegs war inklusive Fahrtkosten oder manchmal kriegt man überhaupt nicht gesagt, was man an Gage bekommt."
    Empfohlener Mindestlohn liegt bei 240 Euro pro Tag
    Der gebürtige Görlitzer prüft jedes Engagement sorgfältig. Sein Credo: im Geschäft bleiben, sich aber nicht unter Wert verkaufen. Das Signal, hohe Kunst für wenig Geld, lehnt er ab. Ein Weihnachtskonzert in einer Kirchengemeinde wie hier in Kleinmachnow ist für den freien Musiker dagegen Berufsalltag. Etwa sechs Stunden dauern die Proben an diesem Abend. Andreas Wenske sitzt mit neunzehn anderen freien Musikern im Orchester. Jeder bekommt für den Probenabend sowie für die Anspielprobe und das eigentliche Konzert am nächsten Tag, ein Bruttohonorar von 200 Euro ohne Spesen.
    Das ist weniger als der von der Deutschen Orchestervereinigung empfohlene Mindestlohn von 240 Euro für Probe plus Konzert an einem Tag. Aber so sieht der Markt für freie Musiker aus. Richtig problematisch wird es jedoch, wenn öffentliche Gelder im Spiel sind. Wenn etwa ein von Landesmitteln gefördertes Ensemble Aushilfen verpflichtet. Die Honorarempfehlung der DOV hat mit der Realität gerade in den neuen Bundesländern oft nichts zu tun. Der Oboist Andreas Wenske erlebt es immer wieder. Er ist viel unterwegs in Thüringen, in Sachsen, in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg.
    "Entweder man einigt sich oder man ist aus dem Geschäft raus, aus dem Angebot, und es gibt genügend, die vor der Tür stehen und es dann machen. Man muss sensibilisieren, dass es Mindeststandards gibt, die empfohlen sind. Man geht ja jetzt in Brandenburg den Weg, dass sie bei öffentlich geförderten Projekten auch festgeschrieben werden sollen."
    Im vergangenen Sommer haben freiberufliche Künstler vor dem Kulturausschuss des Brandenburger Landtags von ihren, oft prekären Lebensverhältnissen, berichtet. Mit dabei Andreas Wenske und die Sängerin Johanna Krumin. Die ausgebildete Sopranistin hat sich schon vor Jahren ganz bewusst für den freien Markt entschieden und ein festes Engagement beim angesehenen Rias Kammerchor gekündigt. Für ihre Kunst verzichtet sie gerne auf materiellen Luxus. Doch beim Thema Mindestlohn kennt sie kein Pardon. Sieht sie doch fast täglich, wie freischaffende Künstler dem Konkurrenzdruck nachgeben und sich gegenseitig mit Dumpingpreisen unterbieten.
    "Was die letzten Jahre durchaus üblich war, eine Carmina Burana für 80 Euro oder so was. Das kriegt man schon, solche Angebote. Dann kriegt man auch das Angebot, kannst du umsonst singen und eine warme Mahlzeit oder so. Also wenn man sagt, ich mach das jetzt als Hobby oder ich werde finanziert weil meine Eltern ein Mietshaus haben, das kann ja jeder machen, aber ich mache das nicht mehr. Aber man macht es den Kollegen auch schwer. Ich mache das nicht mehr."
    Brandenburg arbeitet an Mindeststandards für freie Musiker
    Vor ihr auf dem Tisch liegt, der im Brandenburger Kulturausschuss gerade einstimmig beschlossene Antrag, für sogenannte Mindeststandards. Die Landtagsfraktionen von SPD, CDU, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen fordern darin auskömmliche Löhne für freie Musiker und Vokalsolisten bei öffentlich geförderten Projekten. Bis dahin war es ein weiter Weg. Über ein Jahr lang wurde verhandelt, einzelne Passagen wurden immer wieder verändert. Das Papier hat für Johanna Krumin vor allem eine Schwachstelle. Der geforderte Mindestlohn soll nicht für festangestellte Instrumentalisten und Sänger gelten.
    "Wenn das wirklich so bleibt, wird es zu einer radikalen Marktverschiebung kommen, weil jeder Veranstalter alles tun wird, um festangestellte Musiker zu engagieren, die er für den halben Preis engagieren kann. Die sich das aber auch leisten können fast umsonst zu singen, weil sie ein festes Einkommen haben."
    Nach Angaben der Künstlersozialkasse liegt das bundesweite Durchschnittseinkommen eines freiberuflichen Musikers bei etwa 1.100 Euro brutto monatlich. Perspektivisch blüht vielen die Altersarmut. Da sei schon allein die Tatsache, dass sich ein Landesparlament mit der prekären Lage vieler freier Musiker und Sänger auseinandersetzt, ein Fortschritt, meint Johanna Krumin.
    "Ich halte es für wichtig, dass überhaupt in einem parlamentarischen Vorgang der Begriff Mindeststandards verbal vorkommt, damit sich in den Köpfen was ändert und auch auf politischer Ebene ein Bewusstseinswandel stattfindet. Das ist das Positive."
    Auch für den Oboisten Andreas Wenske ist der ausgehandelte Antrag nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die CDU-Fraktion hat das Anliegen der freien Künstler als erste im Brandenburger Landtag thematisiert. Michael Schierack sitzt für die CDU im Kulturausschuss und hat Erstaunliches festgestellt.
    "Für mich war neu in der Diskussion, dass wir keinen Überblick haben, wie viel eigentlich bezahlt wird. Das wird diesen Orchestern frei überlassen und deswegen haben wir uns auch vereinbart in diesem Antrag, dass die Landesregierung Bericht erstattet darüber, wie viel zahlen eigentlich die einzelnen Orchester, die wir als Land unterstützen."
    Regelungen sollen spätestens ab 2021 gelten
    Eine Evaluation soll dem Antrag in spätestens einem Jahr folgen. Nun ist der CDU-Abgeordnete erstmal zufrieden, dass die Fraktionen einstimmig für das Papier die Hand gehoben haben. Außerdem soll der entsprechende Etat aufgestockt werden, die Rede ist von 100.000 Euro. Michael Schierack kann sich durchaus vorstellen, dass Brandenburg in Sachen Mindestlohn für freie Musiker und Sänger bundesweit Maßstäbe setzt. Die Sorge, dass ein Mindestlohn am Ende Musikkultur abwürgen könnte, weil Projekte dann erst gar nicht mehr stattfinden, teilt er nicht.
    Er glaubt, "dass wir nicht weniger Kultur haben werden, sondern wir werden mehr Kultur haben. Wir werden besser bezahlte Künstler haben und daraus gibt es, glaube ich, eine gute Symbiose aus mehr Kultur und besser bezahlter Kultur."
    Noch in dieser Woche wird der ausgehandelte Kompromiss im Brandenburgischen Landtag vorgelegt. Wenn alles nach Plan läuft, gelten die neuen Regelungen spätestens ab 2021. Vielleicht ein erster Schritt hin zu einem Bewusstseinswandel, dass gute Musik auch ihren fairen Preis haben sollte.