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Freier Umgang mit Opern-Material

An der Berliner Staatsoper hat Hans Neuenfels Mozarts Oper "La finta giardiniera" inszeniert. Außer Mozarts Musik ist dabei für ihn nichts sakrosant gewesen. Wer surrealistische oder pubertäre Assoziationen, freien Umgang mit dem Opern-Material oder den röntgenartig durchleuchtenden Blick des Regisseurs auf die Figuren nicht erträgt, sollte dem Stück fern bleiben.

Von Mascha Drost |
    Entweder bestand ein stimmgewaltiger Anteil des Publikums aus Masochisten oder Ahnungslosen, die dem Namen und Phänomen Neuenfels zum ersten Mal begegnet sind - wie sonst, außer mit der selbstgeißlerischen Lust des Traditionalisten am Regietheater oder einer bösen Überraschung, lassen sich die Buh-Stürme nach dieser Premiere erklären. Wer surrealistische oder pubertäre Assoziationen, freien Umgang mit dem Opern-Material oder den röntgenartig durchleuchtenden Blick des Regisseurs auf die Figuren und, mehr noch, auf uns selbst, nicht erträgt - bitte sehr, niemand wird gezwungen, einen Blick durch die "Pforten der Liebe" zu werfen.

    Denn was sich da zeigt, Hohes und Gemeines, Erschütterndes und Groteskes, Absurditäten, Allzu-Menschliches, Tragik, billige Scherze - ist nicht skandalös, sondern unvermeidbar, wenn man 3 Stunden über ein einziges Thema paraphrasiert: Die Liebe. Dabei ist für Neuenfels nichts sakrosankt außer der Musik Mozarts.

    Eine Rachearie wie sie im Buche steht - und eine ebensolche Rächerin. Alex Penda, Dynamit in Stimme und Auftreten, eine Furie im roten Samtkleid und Highheels, die - laut Libretto - dem Ungetreuen das Herz herausreißen möchte - gestern jedoch eine Etage tiefer fündig wurde. "Drum für alle Frauen dieser Welt, eile ich voran ins Männerfeld, werd`s entwurzeln, werd`es roden, werd`es säubern von den Hoden." Ja, Neuenfels hat gedichtet, oft drastisch, holprig manchmal - aber geschickt überleitend zum jeweiligen szenischen Affekt. Arminda jedenfalls widmet sich mit Inbrunst und scharfem Messer den primären männlichen Geschlechtsorganen, an dieser Stelle freundlicherweise und anschaulich vertreten von jeweils 2 Orangen und einer Möhre.

    Es sind nicht alle Szenen, alle Zustandsbeschreibungen gleichermaßen gelungen, manches zieht sich, lässt einen (wahrscheinlich bewusst) ratlos zurück; aber die Fantasie von Neuenfels, sein Drang, Bilder für Unbeschreibliches zu finden, eindeutige, wie das eben erwähnte oder symbolhafte - wie das eines Geiers, der unaufhörlich über den sich selbst und die anderen suchenden Figuren kreist - waren und sind bewundernswert. Während sich die Hauptpersonen bis zum Schluss mit den eigenen und den Gefühlen der anderen herumschlagen müssen, hat der Regisseur zu ihrer und der Orientierung des Publikums ein Paar eingeführt, dass sämtliche Irrungen und Wirrungen bereits überstanden, wenn auch nicht unbedingt überwunden hat - alte, gräfliche Eheleute, Conte und Contessa. Zwei Schauspieler, Markus Boysen und Elisabeth Trissenaar, die sowohl außer - als auch innerhalb des Geschehens stehen, in den Verlauf der Oper - deren abstruse Handlung Neuenfels quasi abgeschafft hat - eingreifen oder kommentierend begleiten. Ein Paar, das die Pforten der Liebe als Einziges schon durchschritten hat - und weiß, dass dahinter keine ewige Glücksseligkeit lauert.

    Sängerisch konnten nicht alle Liebenden gleichermaßen mitreißen wie Alex Penda als Arminda; Annette Dasch - vor Beginn der Vorstellung als gerade von längerer Krankheit genesen entschuldigt - fand zwar nicht in leichtgängigen Höhenlangen dafür in besonders innigen Momenten zu sich, Stephanie Atanasovs eindringlicher Mezzo aber war für die dramatische Anlage des Ramiro mit einigen wahrhaft tragischen Passagen wie geschaffen.

    Christopher Moulden hat dem dunkel-satten Barenboim Sound der Staatskapelle in einen überraschend filigranen Überwurf verpasst - so durchsichtig, schwungvoll und klanglich gerade es mit einem Nicht-Alte-Musik-Ensemble möglich ist, musiziert, und ohne den edlen Streicherteppich künstlich aufzurauen - Das widerborstige Musizieren überlässt man in der Staatsoper lieber den Experten. Gut so, genau wie das Ende - ein tröstliches Licht am Ende des Tunnels, am Ende der Liebespforten, die das hohe Paar zum Schluss betritt. Es gibt als noch Hoffnung - und das möchte man der Inszenierung eines über 70jährigen gern glauben. Dafür gab es dann zu Recht auch genug Gegenstimmen im Publikum, die die Buhs einfach mit Bravos übertönten.