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Freigabe für Brain doping gefordert

xMedizin. - Schätzungen zufolge setzt rund ein Fünftel aller Wissenschaftler Medikamente zur Steigerung der eigenen geistigen Leistungsfähigkeit ein. In anderen Berufsgruppen sieht das vermutlich ähnlich aus. Ein Kommentar im britischen Fachblatt "Nature" fordert nun die Freigabe solcher Substanzen. Die Wissenschaftsjournalistin Kristin Raabe bewertet die Forderung im Gespräch mit Monika Seynsche.

    Seynsche: Frau Raabe, was sind das denn für Leute, die da diese Forderung stellen?

    Raabe: Ja, das ist eine Gruppe von amerikanischen und britischen Autoren aus den Fachbereichen Jura, Hirnforschung, Philosophie. Und allesamt arbeiten an führenden Forschungseinrichtungen. Und deswegen muss man dem, was die sagen, durchaus auch Gehör schenken. Sie fordern zumindest eine Diskussion, nicht notwendigerweise eine generelle Freigabe von Wirkstoffen, aber eine Diskussion über die Freigabe von Substanzen, die die kognitive Leistungsfähigkeit erhöhen. Das sind insbesondere die Wirkstoffe Methylphenidat, das ist eher bekannt unter dem Handelsnamen Ritalin, wird bei hyperaktiven Kindern vor allem verschrieben, fällt unter das Betäubungsmittelgesetz derzeit. Ein anderer Wirkstoff ist Modaphenil, das wird bei jet lag auch mal verschrieben oder auch bei Narkolepsie. Ich möchte vielleicht einmal etwas zitieren aus diesem Artikel, damit man so ein bisschen die Argumentation versteht. Da sagen die die Autoren:

    "Diese Wirkstoffe sollten in dieselbe Kategorie eingeordnet werden wie Bildung, ein gesundes Leben und Informationstechnologien. Denn das alles sind Methoden, mit denen unsere innovative Spezies versucht, sich selbst zu verbessern."

    Also deren Argumentation geht eben dahin, es gibt nicht wirklich einen Unterschied zwischen pharmazeutischen Wirkstoffen, die unsere Konzentrationsfähigkeit, unsere Denkfähigkeit verbessern und anderen Methoden. Denn wenn ich vorher Joggen gegangen bin, kann ich mich beim Vokabeln lernen hinterher dann auch besser konzentrieren. Eine gesunde Ernährungsweise wirkt auch ähnlich. Und all diese Maßnahmen bewirken letztendlich Veränderungen in unserem Gehirn, die ganz ähnlich den Änderungen sind, die solche Pillen auch hervorrufen.

    Seynsche: Na ja, aber wenn ich joggen gehe oder mich gesund ernähren, sind das ja durchaus natürliche Sachen, die ich mache, um mich selbst zu verbessern. Pillen schlucken, kommt mir das sehr unnatürlich vor!

    Raabe: Ja, das Argument, es sei unnatürlich, ist eigentlich nicht wirklich ein Argument. Naturbelassenheit an sich ist kein Wert. Das würde jeder Ethiker und jeder Philosoph auch sofort ablehnen. Wir machen ganz viele Sachen, die unnatürlich sind. Wir färben uns die Haare, lassen unsere Zähne richten, die Segelohren operieren, wir leben in einer manipulierten Umwelt, unsere Wohnungen, unsere Straßen, unsere Kleidung, da ist einfach nichts mehr natürlich. Wenn ich sage, Naturbelassenheit ist das Gegenargument gegen den Einsatz solcher Substanzen, dann muss ich gleichzeitig aber auch unterschreiben, dass der Mensch wieder nackig in die Höhle geht. Also das ist nicht das Argument. Ein anderes Argument ist vielleicht schon eher, was auch mal wieder vorgebracht wird: Das ist doch nicht fair, so wie im Sport. Da will man ja auch nicht, dass gedopt wird. Da ist aber dann doch wieder, wenn ich einen Radrennfahrer sehe, der mit Epo gedopt hat, dann hat er einen Vorteil gegenüber denjenigen, die es nicht gemacht haben. Jetzt muss man aber sehen, es wird mit einer Regel gebrochen, und jetzt, wenn es um das brain doping geht, dann muss man sich mal anschauen, was haben wir da für Regeln. Im Moment haben wir dann nicht wirklich Regeln. Was ist beispielsweise mit dem Studenten, der vor einer Prüfung einen doppelten Espresso getrunken hat. Der hat auch schon einen ungerechten Vorteil gegenüber demjenigen, der das nicht getan hat. Oder ein Student, der sich Privatstunden bei einem kompetenten Lehrer leisten kann, aus finanziellen Gründen, das ist auch nicht gerecht. Also die Arbeitswelt, die Bildungswelt ist nicht gerecht, und wenn wir aus Gerechtigkeitsempfinden heraus den Einsatz von Pharmaka zur geistigen Leistungssteigerung verbieten wollen, müssen uns überlegen, ob wir da nicht auch andere Maßnahmen regulieren wollen.

    Seynsche: Aber wie sieht es denn mit den medizinischen Risiken aus. Ich könnte mir vorstellen, so ein verschreibungspflichtiges Medikament wird ja nicht ganz ohne sein!

    Rabe: Das ist die Frage. Im Moment kann man nur sagen, zum Beispiel im Bezug auf Ritalin, was jetzt seit zig Jahren, seit Jahrzehnten im Einsatz ist, sehr breit verabreicht wird, das hat nicht wirklich, nach allem was wir wissen, keine dramatischen Nebenwirkungen. Es reduziert ein bisschen den Appetit und kann zu Schlaflosigkeit führen, all das wissen wir auch vom Kaffee. Sicher ist, dass ganz viel Forschung notwendig ist in Bezug auf den Einsatz solcher Substanzen bei gesunden Menschen. Und das fordern auch die Autoren in ihrem Artikel. Dass geschaut wird, dass der Einsatz solcher Medikamente halt weiter erforscht wird und zwar nach Möglichkeit nicht nur von Naturwissenschaftlern, sondern auch von Soziologen, von Philosophen, damit man eine Basis hat, wo man den Umgang mit diesen Wirkstoffen regeln kann.