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Freihandelsabkommen TTIP
"Das bleibt immer noch hinter verschlossenen Türen"

Pieter de Pous vom Europäischen Umweltbüro hat den TTIP-Verhandlungsführern vorgeworfen, weiterhin wichtige Verhandlungsdokumente unter Verschluss zu halten. So seien die Kompromisstexte zwischen EU und den USA nicht für die Umweltgruppen verfügbar, die wie das Umweltbüro zum Beirat der Verhandlungen zählen.

Pieter de Pous im Gespräch mit Jule Reimer | 06.02.2015
    Menschen demonstrieren in Berlin gegen die Freihandelsabkommen Ceta und TTIP.
    Chlorhühnchen, internationale Schiedsgerichte, unterschiedlich strenge Zulassungsprozeduren bei Chemikalien - Verbraucher sind verunsichert. (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Jule Reimer: Chlorhühnchen, internationale Schiedsgerichte, unterschiedlich strenge Zulassungsprozeduren bei Chemikalien - in Brüssel geht heute mal wieder eine Verhandlungsrunde zwischen der Europäischen Union und den USA zum Freihandelsabkommen TTIP zu Ende. Nachdem es vor einem Jahr Kritik hagelte, die EU-Vertreter würden nur die Interessen der Industrie bei dem Abkommen berücksichtigen, setzte die EU-Kommission eine Art Beirat ein. In dem sitzen jetzt neben den Industrielobbyisten auch die Lobbyverbände der Gewerkschaften, der Verbraucher und der Umweltgruppen. Ein Beiratsmitglied ist der Niederländer Pieter de Pous, er vertritt den Umweltdachverband European Environment Bureau, kurz EEB genannt, in Brüssel. Ich fragte ihn vor dieser Sendung, ob denn Umwelt- und Verbraucherverbände jetzt wirklich wie versprochen einen besseren Zugang zu den TTIP-Verhandlungen und Dokumenten haben.
    Pieter de Pous: Einerseits ja, aber das ist natürlich vor allem so, weil sie letztes Jahr überhaupt keinen Zugang hatten. Mittlerweile gibt es wenige Dokumente, die den Mitgliedern dieser Gruppe vorgelegt werden. Völlig unklar bleibt dabei, was die Kommission dann mit den Kommentaren, die die Mitglieder dieser Gruppe an die Kommission überreichen, macht. Und das andere ist eigentlich, dass die allerwichtigsten Verhandlungsdokumente, wo die Kompromisstexte stehen zwischen EU und den USA, nicht für Mitglieder dieser Gruppe verfügbar bleiben. Auf das Allerwichtigste haben wir keine Sicht drauf und das bleibt immer noch hinter verschlossenen Türen.
    Kurswechsel nicht in Sicht
    Reimer: Eine frühere Kritik lautete, dass die Generaldirektion Handel der EU-Kommission die Interessenvertreter der Industrie deutlich stärker in die Verhandlungen mit einbeziehen als die Umwelt- und Verbraucherlobbyisten. Besteht dieses Ungleichgewicht weiter?
    de Pous: Ich glaube, die TTIP-Kritiker haben jetzt die volle Aufmerksamkeit der Kommission bekommen im Laufe des letzten Jahres. Über einen Mangel an Aufmerksamkeit können wir uns nicht beklagen. Das Problem allerdings ist, dass die Kommission – und da ist auch die neue Kommissarin Malmström keiner anderen Ansicht – das immer noch als eine Kommunikations- und Aufklärungsfrage sieht. Die meinen immer noch, wenn man nur besser kommuniziert und erklärt, dann werden alle das irgendwann kapieren und mittragen. Es gibt also kein Indiz, dass sie verstehen, dass wirklich ein Kurswechsel in den Verhandlungen erforderlich ist.
    Regulatorische Kooperation gefordert
    Reimer: Dann sagen Sie mir doch mal, welchen Kurswechsel stellen Sie sich da vor?
    de Pous: Aus unserer Sicht wäre es wichtig, jetzt die komplette Aufklärung so wie die Konzentration, wie es die Kommission vorletztes Jahr über das Investorenklagerecht-Verfahren eingeleitet hat, so eine Konzentration auch zu anderen wichtigen Bereichen der Verhandlungen zu organisieren. Als allerwichtigste wäre da die regulatorische Kooperation, worüber diese Woche hier schon gesprochen wurde hier in Brüssel.
    Und zweitens: Wir möchten gerne die Ergebnisse einer Studie, die die Einwirkung auf die Nachhaltigkeit überprüft, abwarten. Diese Studie ist immer noch nicht fertig. Und dann soll die Kommission eigentlich eine grundlegende Überlegung und Frage stellen, ob es richtig ist, die Verhandlungen weiter so zu machen wie bisher, Sachen anders zu machen, das Investorenklagerecht zum Beispiel vom Tisch holen oder nicht, oder sogar die Verhandlungen ganz einstellen oder neu anfangen mit einem neuen Verhandlungsmandat.
    Reimer: Darf ich mal einhaken? Die regulatorische Kooperation war ja Thema jetzt dieser Verhandlungswoche, die heute zu Ende geht. Die Idee dahinter lautet, dass man sich über neue Gesetzesvorhaben, Standards oder auch die praktische Umsetzung von Gesetzen austauscht, bevor der eigentliche Prozess überhaupt beginnt, um dann zu verhindern, dass Prozeduren oder Auflagen oder Standards beschlossen werden, die den transatlantischen Handel behindern könnten. Es gibt das berühmte Beispiel des Blinkers am Auto, der in Europa orange und in den USA rot sein muss, ohne dass es dafür wirkliche Sicherheitsargumente gibt. Warum kritisieren Sie diesen Ansatz der regulatorischen Kooperation, denn man muss ja zugeben, dass Regulierungen und Standards tatsächlich häufig auch Handelshürden darstellen und die werden ja auch gerne mal für Protektionismus genutzt.
    de Pous: Das ist sicher manchmal der Fall. Das Problem ist: Bei den Handelshürden geht es oft um viel mehr als nur diese Blinker. Das ist natürlich ein berühmtes Beispiel. Was für manche Unternehmen eine Handelshürde ist, ist für Bürger und Verbraucher eine lebenswichtige Maßnahme zum Schutz von Umwelt und Gesundheit und die EU und die USA haben da im Umweltbereich höchst unterschiedliche Standards.
    Reimer: Beispiel?
    de Pous: Beispiel REACH, das Europäische Chemiesicherheitsgesetz. Bei den Verhandlungen um dieses Gesetz vor zehn Jahren war die USA einer der lautstärksten Gegner von REACH, zusammen mit der Chemieindustrie, und jetzt wird behauptet, dass die Umsetzung von REACH, wenn es zum Beispiel jetzt um die Diskussion von Weichmachern geht, die weiterhin zugelassen werden oder nicht, durch eine engere Zusammenarbeit mit den USA effizienter und schneller gehen soll. Da gibt es natürlich ein Glaubwürdigkeitsproblem vonseiten der Befürworter.
    Nur kosmetische Verbesserungen
    Zweites Beispiel ist die Kraftstoff-Qualitätsrichtlinie, die den europäischen Markt für Ölsande aus zum Beispiel Kanada unattraktiv machen soll, wobei die Umsetzung davon vor Kurzem effektiv verhindert worden ist unter massivem Druck von Kanada und den USA, genau die zwei Länder, mit denen die EU jetzt über Möglichkeiten verhandelt, denen mehr Möglichkeiten zu geben, sich in europäische Entscheidungsprozesse noch weiter einzumischen. Wir sehen das sehr skeptisch.
    Reimer: Sie hatten vorhin ISDS noch mal erwähnt, also das Investor-Staat-Klageverfahren. Die EU-Kommission sagt, sie möchte dieses Verfahren deutlich verbessern, zum Beispiel die Prozesse öffentlich machen, Berufungsmöglichkeiten einführen. Wäre das ein akzeptabler Weg für Sie?
    de Pous: Keinesfalls. Aus unserer Sicht sind das nur kosmetische Verbesserungen. Auch unter so einem verbesserten System wird es einfach sehr viele Konzepte geben, die am Ende dann von nur drei, für Gewinn arbeitende Richter interpretiert werden müssen. Und ein System so genau und präzise zu reformieren und zu definieren, dass es keine Missbrauchmöglichkeiten gibt, ist einfach sehr schwierig, und das System, wie es existiert, fordert risikovolles Verhalten bei Investoren der Energie und Finanzen heraus, die wissen, dass Risiken am Ende vom Steuerzahler abgedeckt werden können. Von allen Fällen, die es bis jetzt gibt, hat in 60 Prozent die Regierung zahlen müssen, entweder durch eine Einigung - die Regierung zahlt entweder, weil sie sich geeinigt haben, bevor es zu einem Urteil kam - oder weil sie den Fall verloren haben, und die Zahl der Fälle hat sich im letzten Jahrzehnt verdoppelt. Es bildet sich eine komplett neue Klageindustrie, die jetzt auch aktiv mit dafür lobbyiert hier in Brüssel, dass weiterhin dieses Instrument eingesetzt wird. Im Moment ist es nämlich so, dass die USA, die US-Investitionen in nur neun EU-Mitgliedsstaaten geschützt sind. Das sind eigentlich die Beitrittsländer von 2004, die zusammen aber nur sieben Prozent des Bruttonationalprodukts Europas darstellen. Da gibt es auch Probleme, dass das im Widerspruch zum EU-Recht ist. Es gibt berühmte Fälle, wo Unternehmen eine Investorenschutz-Klausel benutzen, um gegen einen EU-Mitgliedsstaat vorzugehen, die europäisches Recht umsetzen. Ein Beispiel dafür ist der Micula-Fall, wo ein Unternehmen, das von zwei Brüdern Micula geführt wird, den rumänischen Staat verklagt haben, weil die Subventionen beendet haben, nachdem Rumänien der EU beigetreten ist, und das war einfach eine Frage der europäischen Beihilfe, wo Rumänien gefordert hat, diese Subventionen zu beenden. Dies wird jetzt benutzt, dieses Klagerecht wird jetzt benutzt gegen den rumänischen Staat, weil der rumänische Staat EU-Recht umgesetzt hat.
    EU könnte globale Standards setzen
    Reimer: Die Befürworter von TTIP sehen TTIP auch als Chance, hohe Standards weltweit zu etablieren, auch gegenüber niedrigen Standards in Schwellenländern wie China, die ja immer stärker werden. Das ist ein Argument, das beeindruckt Sie jetzt gar nicht?
    de Pous: Nein. Wir sehen das eigentlich genau umgekehrt. Das stimmt, die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in der Welt ändern sich im Moment grundlegend. Das ist auch gut so. Das heißt aber, dass die Möglichkeit, als EU globale Standards zu stellen, im Moment noch groß ist, aber nicht so bleiben wird. Aber die Kombination vom größten Verbrauchermarkt der Welt, was die EU ist, und Vorreiter in Umwelt- und Verbraucherstandards heißt, dass die EU sehr gut in der Lage ist, im Moment globale Standards zu setzen. Aus unserer Sicht heißt das, dass die EU jetzt Tempo machen soll in Bereichen wie Eco-Design, Chemie, Nano-Sicherheit und sich vor allem nicht bremsen lassen soll von Verpflichtungen, mit einem Land zu kooperieren, das oft sehr andere Ansichten hat in diesen Themen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.