Als Kind hütete der Sänger Kimbo jeden Tag die Kühe seiner Familie. Mit elf Jahren aber musste er das Tal verlassen, in dem er aufgewachsen war, und eine chinesischsprachige Schule in der Stadt besuchen. Dort litt er unter großem Heimweh. Immer wieder lief er in einen nahe gelegenen Wald und erzählte den Bäumen in der Sprache seines Stammes von seiner Trauer:
"Das heißt: Schaut mich nur an, ich bin ganz allein hier, ich bin ganz allein. Mein Geist wandert ziellos umher und ist voller Bilder aus unserem Heimattal, voller Erinnerungen an schöne Tage, die wir da am Flussufer und im Wald und in den Hirsefeldern verbrachten. Wir hatten so eine schöne Zeit dort. Da habe ich die Adler am Himmel beobachtet. Wir sind auf den Büffeln geritten und haben die Kühe gefüttert. Ach, wie ich diese Tage vermisse."
Kimbo gehört zum Stamm der Puyuma. Als Schulkind wurde er noch bei seinem chinesischen Namen Hu Daefu gerufen, da indigene Namen offiziell verboten waren. Den chinesischen Namen verwendet er heute nicht mehr. Seit einigen Jahren lassen immer mehr Ureinwohner ihre Pässe ändern und den chinesischen Eintrag durch ihren Stammesnamen ersetzen, eine Kleinigkeit, die aber von einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel zeugt: sowohl von einem toleranteren politischen Umgang mit den Ureinwohnern als auch vom gestiegenen Selbstbewusstsein der indigenen Bevölkerung.
Die Wende kam in den 80er Jahren. 1987 wurde in Taiwan das Kriegsrecht aufgehoben und zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine politische Opposition zugelassen. Die Insel hatte unter Kriegsrecht gestanden, seit die Gegner von Mao Zedong in den 40er Jahren aus China nach Taiwan übergesiedelt waren. Als schließlich demokratische Strukturen eingeführt wurden, witterten auch die Ureinwohner Morgenluft, sagt Walis Pelin, der zum Stamm der Tayal gehört:
"In den 80er Jahren haben wir Ureinwohner damit begonnen, bei der Regierung unsere Rechte einzufordern. Wir wollten vor allem unser Land zurückbekommen, denn das hatte die Regierung früher mal beschlagnahmt. Außerdem wollten wir nicht mehr 'die Leute aus den Bergen' genannt werden, was eine abwertende Bezeichnung ist. Bis Mitte der 90er Jahre haben wir deshalb ständig protestiert und gestreikt. 1994 wurde schließlich in die taiwanische Verfassung aufgenommen, dass wir nur noch als indigene Völker bezeichnet werden. Und 1996, zwei Jahre später, wurde der Rat für Indigene Völker gegründet."
Diesem Rat steht Walis Pelin heute vor. Er besitzt den Status eines Ministers und ist für alle Lebensbereiche der Ureinwohner zuständig: vom Sprachunterricht für die Kinder über die Verwaltung von Grundstücken bis hin zum Straßenbau in den Dörfern.
"Dieses Bewusstsein entsteht durch Demokratie. Bevor Taiwan eine Demokratie wurde, war keine Rede davon, dass wir bei den Ureinwohnern in der Schuld stünden","
sagt die Essayistin Lung Yingtai, die das politische Geschehen auf Taiwan seit Jahrzehnten kritisch begleitet.
""Kann sein, dass es unsere Regierung sogar manchmal gut gemeint hat, als sie den Stämmen der Ureinwohner Geld zusprach und sagte, es ist nicht gut, dass ihr in Hütten lebt. Deshalb baute man ihnen zum Beispiel Wohnblöcke aus Beton. Aber so haben sie niemals gelebt. Für sie war es viel natürlicher, in ihren Hütten zu wohnen. Ein aufgeklärtes Bewusstsein gab es damals noch nicht. Erst mit der Demokratie änderte sich das, denn Demokratie bedeutet, dass sich jede Subkultur ihrer Rechte bewusst wird."
Auch das Sprachbewusstsein hat zugenommen. In jedem CD-Geschäft in Taiwan findet man inzwischen viele Musik-CDs, die in indigenen Sprachen aufgenommen wurden. traditionelle Melodien genauso wie Ethno-Pop.
Eine Stammessprache, die im Alltag wirklich gepflegt wird, ist auch erforderlich, um von der taiwanischen Regierung offiziell als Stamm anerkannt zu werden. Bislang sind zwölf indigene Völker als solche anerkannt, zuletzt im Januar 2004 das Volk der Truku:
Voraussetzung für die Anerkennung ist außerdem, dass es noch ein tradiertes Stammesleben mit lebendigen Ritualen gibt. Doch vieles ist bereits verloren gegangen. Mit Hilfe von Ethnologen und Sprachwissenschaftlern versuchen heute viele Stämme, die alten Traditionen wieder aufzuspüren und neu zu beleben. Seit kurzem sendet sogar ein eigener Radiosender für Ureinwohner aus Taipei.
In den Bergen ist der Empfang noch nicht ganz optimal, sagt Moderator Bilow Bily. Grundsätzlich aber würden die Frequenzen die ganze Insel abdecken und alle Stämme erreichen. Bilow Bily gehört wie auch Minister Walis Pelin zum Stamm der Tayal. Er spricht mehrere indigene Sprachen und gibt in seinen Sendungen regelmäßig Sprachkurse. Dazu lädt er häufig Studiogäste ein. Den Rest des Programms aber sollen alle Volksgruppen verstehen, sagt er:
"In Taiwan leben rund 500.000 Ureinwohner, und es gibt inzwischen zwölf offiziell anerkannte Stämme. Jeder Stamm hat seine ganz eigene Sprache, von den vielen Dialekten ganz zu schweigen. Was können wir also tun, dass alle Stämme unser Programm verstehen? Die Lösung ist: auf Mandarin senden! Aber wir fügen auch regelmäßig Passagen in den indigenen Sprachen ein. Vorher sagen wir natürlich immer an, welche Sprache als nächstes kommt."
Auch in den Schulen hat sich einiges getan: Es gibt indigenen Sprachunterricht, und die Geschichte der Ureinwohner hat heute einen festen Platz in den Schulbüchern. Die chinesischstämmige Mehrheitsbevölkerung schaut nicht mehr so sehr auf die Ureinwohner herab wie früher. Dafür hat auch der Sänger Kimbo gekämpft. Er erinnert sich noch gut daran, als er zum ersten Mal ein Lied in der Puyuma-Sprache vor größerem Publikum vorgetragen hat:
"Es war das erste Mal, dass ich ein Lied meines Stammes vorgetragen habe. Ich erinnere mich noch, wie damals auf einmal alle von ihren Stühlen aufgestanden sind und ganz laut applaudiert haben. Das hat mich so berührt. Damals hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, das meine Kultur wichtig ist."
"Das heißt: Schaut mich nur an, ich bin ganz allein hier, ich bin ganz allein. Mein Geist wandert ziellos umher und ist voller Bilder aus unserem Heimattal, voller Erinnerungen an schöne Tage, die wir da am Flussufer und im Wald und in den Hirsefeldern verbrachten. Wir hatten so eine schöne Zeit dort. Da habe ich die Adler am Himmel beobachtet. Wir sind auf den Büffeln geritten und haben die Kühe gefüttert. Ach, wie ich diese Tage vermisse."
Kimbo gehört zum Stamm der Puyuma. Als Schulkind wurde er noch bei seinem chinesischen Namen Hu Daefu gerufen, da indigene Namen offiziell verboten waren. Den chinesischen Namen verwendet er heute nicht mehr. Seit einigen Jahren lassen immer mehr Ureinwohner ihre Pässe ändern und den chinesischen Eintrag durch ihren Stammesnamen ersetzen, eine Kleinigkeit, die aber von einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel zeugt: sowohl von einem toleranteren politischen Umgang mit den Ureinwohnern als auch vom gestiegenen Selbstbewusstsein der indigenen Bevölkerung.
Die Wende kam in den 80er Jahren. 1987 wurde in Taiwan das Kriegsrecht aufgehoben und zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine politische Opposition zugelassen. Die Insel hatte unter Kriegsrecht gestanden, seit die Gegner von Mao Zedong in den 40er Jahren aus China nach Taiwan übergesiedelt waren. Als schließlich demokratische Strukturen eingeführt wurden, witterten auch die Ureinwohner Morgenluft, sagt Walis Pelin, der zum Stamm der Tayal gehört:
"In den 80er Jahren haben wir Ureinwohner damit begonnen, bei der Regierung unsere Rechte einzufordern. Wir wollten vor allem unser Land zurückbekommen, denn das hatte die Regierung früher mal beschlagnahmt. Außerdem wollten wir nicht mehr 'die Leute aus den Bergen' genannt werden, was eine abwertende Bezeichnung ist. Bis Mitte der 90er Jahre haben wir deshalb ständig protestiert und gestreikt. 1994 wurde schließlich in die taiwanische Verfassung aufgenommen, dass wir nur noch als indigene Völker bezeichnet werden. Und 1996, zwei Jahre später, wurde der Rat für Indigene Völker gegründet."
Diesem Rat steht Walis Pelin heute vor. Er besitzt den Status eines Ministers und ist für alle Lebensbereiche der Ureinwohner zuständig: vom Sprachunterricht für die Kinder über die Verwaltung von Grundstücken bis hin zum Straßenbau in den Dörfern.
"Dieses Bewusstsein entsteht durch Demokratie. Bevor Taiwan eine Demokratie wurde, war keine Rede davon, dass wir bei den Ureinwohnern in der Schuld stünden","
sagt die Essayistin Lung Yingtai, die das politische Geschehen auf Taiwan seit Jahrzehnten kritisch begleitet.
""Kann sein, dass es unsere Regierung sogar manchmal gut gemeint hat, als sie den Stämmen der Ureinwohner Geld zusprach und sagte, es ist nicht gut, dass ihr in Hütten lebt. Deshalb baute man ihnen zum Beispiel Wohnblöcke aus Beton. Aber so haben sie niemals gelebt. Für sie war es viel natürlicher, in ihren Hütten zu wohnen. Ein aufgeklärtes Bewusstsein gab es damals noch nicht. Erst mit der Demokratie änderte sich das, denn Demokratie bedeutet, dass sich jede Subkultur ihrer Rechte bewusst wird."
Auch das Sprachbewusstsein hat zugenommen. In jedem CD-Geschäft in Taiwan findet man inzwischen viele Musik-CDs, die in indigenen Sprachen aufgenommen wurden. traditionelle Melodien genauso wie Ethno-Pop.
Eine Stammessprache, die im Alltag wirklich gepflegt wird, ist auch erforderlich, um von der taiwanischen Regierung offiziell als Stamm anerkannt zu werden. Bislang sind zwölf indigene Völker als solche anerkannt, zuletzt im Januar 2004 das Volk der Truku:
Voraussetzung für die Anerkennung ist außerdem, dass es noch ein tradiertes Stammesleben mit lebendigen Ritualen gibt. Doch vieles ist bereits verloren gegangen. Mit Hilfe von Ethnologen und Sprachwissenschaftlern versuchen heute viele Stämme, die alten Traditionen wieder aufzuspüren und neu zu beleben. Seit kurzem sendet sogar ein eigener Radiosender für Ureinwohner aus Taipei.
In den Bergen ist der Empfang noch nicht ganz optimal, sagt Moderator Bilow Bily. Grundsätzlich aber würden die Frequenzen die ganze Insel abdecken und alle Stämme erreichen. Bilow Bily gehört wie auch Minister Walis Pelin zum Stamm der Tayal. Er spricht mehrere indigene Sprachen und gibt in seinen Sendungen regelmäßig Sprachkurse. Dazu lädt er häufig Studiogäste ein. Den Rest des Programms aber sollen alle Volksgruppen verstehen, sagt er:
"In Taiwan leben rund 500.000 Ureinwohner, und es gibt inzwischen zwölf offiziell anerkannte Stämme. Jeder Stamm hat seine ganz eigene Sprache, von den vielen Dialekten ganz zu schweigen. Was können wir also tun, dass alle Stämme unser Programm verstehen? Die Lösung ist: auf Mandarin senden! Aber wir fügen auch regelmäßig Passagen in den indigenen Sprachen ein. Vorher sagen wir natürlich immer an, welche Sprache als nächstes kommt."
Auch in den Schulen hat sich einiges getan: Es gibt indigenen Sprachunterricht, und die Geschichte der Ureinwohner hat heute einen festen Platz in den Schulbüchern. Die chinesischstämmige Mehrheitsbevölkerung schaut nicht mehr so sehr auf die Ureinwohner herab wie früher. Dafür hat auch der Sänger Kimbo gekämpft. Er erinnert sich noch gut daran, als er zum ersten Mal ein Lied in der Puyuma-Sprache vor größerem Publikum vorgetragen hat:
"Es war das erste Mal, dass ich ein Lied meines Stammes vorgetragen habe. Ich erinnere mich noch, wie damals auf einmal alle von ihren Stühlen aufgestanden sind und ganz laut applaudiert haben. Das hat mich so berührt. Damals hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, das meine Kultur wichtig ist."