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Freiheit für Smartphones

Urheberrecht.- iPhone und Co. dürfen fortan gehackt werden, damit die Besitzer auch Anwendungen aufspielen können, die von den Geräteherstellern bisher nicht zugelassen wurden. Was diese überraschende Wende bedeutet, erläutert Wissenschaftsjournalist Peter Welchering im Gespräch mit Manfred Kloiber.

31.07.2010
    Manfred Kloiber: iPhone und iPad scheinen die Verleger im Moment am meisten zu begeistern. Das liegt daran, dass Apple bislang Inhalte und Geräte fest im Griff hatte. Bislang. Denn in den USA hat sich das diese Woche geändert. Das iPhone darf geknackt und gehackt werden und zwar mit Zustimmung US-amerikanischer Behörden. Der oberste Urheberrechtswärter hat entschieden, dass Besitzer von Smartphones die Betriebssystemsperre umgehen dürfen, damit sie Anwendungen installieren können, die der Gerätehersteller nicht zugelassen hat. Was steckt hinter dieser Entscheidung der US-Behörden gegen Apple, Peter Welchering?

    Peter Welchering: Naja, dahinter steckt ein monatelanger Kampf, ein sehr erbitterter Kampf übrigens der amerikanischen Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation. Die fordern nämlich schon seit langem: Es muss endlich Schluss sein mit Apples restriktiver Zulassungspolitik von Apps. So ist beispielsweise vor einem dreiviertel Jahr eine App der Zeitschrift Stern aus dem Applestore geflogen, also verboten worden, weil die Zensoren unter dem angebissenen Apfellogo der Meinung waren, im Stern würden zu unzüchtige Fotos veröffentlich. Und aus demselben Grund traf es eine Lese-App für E-Books. Die Lesesoftware für elektronische Bücher müsse verboten werden, argumentierten die Apple-Verantwortlichen, weil damit nicht nur der Text beispielsweise der amerikanischen Verfassung, sondern auch sogenannte unzüchtige Bücher gelesen werden könnten. Oder ein dritter Fall: ein Computerspiel, in dem der Spieler Punkte sammeln kann, wenn er es dem irakischen Journalisten aus dem Jahr 2008 gleichtut und virtuell Schuhe auf den Ex-Präsidenten George W. Bush wirft. Das galt Apple-Zensoren als viel zu respektlos und wurde auch rausgeschmissen. Also die Liste der verbotenen Applikationen und Software ist lang. Die Electronic Frontier Foundation hat das Zensur genannt und sie sah die Meinungsfreiheit in Gefahr. Es gab zahlreiche Rechtsbeschwerden und jetzt hat eben auf eine dieser Beschwerden der oberste Urheberrechtsschützer in den USA, der Kongressbibliothekar, entschieden, dass nicht gegen das Urheberrecht verstößt, wer die Betriebssystemsperren von Apple knackt, um Apps aufzuspielen, die Apple eben nicht zugelassen hat.

    Kloiber: Sogenannte Jailbreak-Software zum Knacken von Betriebsystemsperren gibt es ja schon länger. Gab es denn bisher auch Prozesse gegen Jailbreaker, die Apple iPhones geknackt haben?

    Welchering: Apple hat das nicht so richtig verfolgt und wir hatten es bisher in den USA mit einem juristischen Graubereich zu tun: Jailbreaking gilt da als, naja, sagen wir mal eher gesellschaftlich toleriert. Und diese Toleranzmarke ist jetzt eben auch bestätigt worden. Apple wird nicht in seinen Urheberrechten verletzt, wenn ein iPhone-Besitzer ein Installationsprogramm auf sein Telefon aufspielt, also eben eine solche Jailbreaking-Software, mit der von Apple verbotene Apps installiert werden können. Und die Betriebssystemsperren von Apple tun ja nichts anderes, als zu überprüfen, ob die Apps, die installiert werden, auch tatsächlich aus dem Applestore stammen, also autorisiert sind. Stammen sie nicht aus dem Applestore, dann wird die Installationsroutine einfach abgebrochen. Mit einer entsprechenden Installationssoftware kann diese Applesperre dann umgangen werden.

    Kloiber: Also wir haben gelernt: Jailbreaker können wegen Urheberrechtsverletzung nicht mehr belangt werden. Drohen andere Konsequenzen?

    Welchering: Ja, von Apple selber. Denn Apple sagt, die Garantie erlischt, wenn du Jailbreaking machst. Und wer die Betriebssystemsperre knackt, kann auch noch einen weiteren Vorteil dann tatsächlich für sich in Kauf nehmen, den er eben mit der Garantie bezahlt: Er kann nämlich nicht nur verbotene Apps aufspielen, sondern er kann auch seinen Mobilfunkprovider frei wählen. Denn die Applegeräte werden ja über exklusive Vertriebspartner an die Frau oder an den Mann gebracht. Und deshalb ist auch eine Sperre für Mobilfunkverbindungen, insbesondere für Datenverbindungen so einprogrammiert, dass nur der jeweilige Mobilfunkprovider zugelassen ist, der eben Apples Vertriebspartner ist. Aber genau diese Beschränkung muss man als Nutzer in jedem Land einzeln prüfen. Denn geht der Käufer eines iPhones eben auch einen Mobilfunkvertrag mit einer Laufzeit von sagen wir zwei oder drei Jahren ein, dann kommt er aus diesem Vertrag auch durch das Jailbreaking natürlich nicht mehr heraus.

    Kloiber: Wie kompliziert ist es eigentlich, diese Betriebssystemsperre zum umgehen?


    Welchering: Das war bisher ziemlich kompliziert. Mann muss sich schon ein wenig mit Installationsroutinen der Betriebssystemsoftware auskennen. Allerdings habe ich seit Montag dieser Woche, also seit Bekanntgabe der Entscheidung, dass das Knacken der Sperren eben nicht gegen das US-Urheberrecht verstößt, schon zwei Jailbreakingroutinen gesehen, die mit einer wesentlich verbesserten Benutzeroberfläche ausgestattet waren, beispielweise sogar mit Grafik. Das war wenige Stunden nach der Entscheidung. Und eine Jailbreaking-Software in einem sogenannten Anti-Store am Donnerstag ... da gab es sogar schon eine Analyseroutine, mit der die einzelnen Parameter der iPhone-Software abgefragt werden. Also hier tut sich ein regelrechter neuer Markt für Jailbreaking-Software auf. Die wird anwenderfreundlicher, die nimmt dem Anwender einige Analyseaufgaben ab und die Betriebssystemsperren können leichter, das heißt automatisiert geknackt werden.

    Kloiber: Apple hat ja eigentlich jetzt die Kontrolle über die Apps verloren. Hat das auch Risiken?

    Welchering: Ja, auf alle Fälle. Denn das Jailbreaking bedeutet natürlich, dass beliebige Apps zugelassen sind. Es ist allerdings noch kein Massenmarkt. Es ist noch ein Markt für nur wenige. Aber es wird immer populärer und damit geht eben einher, dass dann auch Apps, beispielsweise aus anderen Stores, installiert werden, bei denen die Qualitätsansprüche andere sind. Einige Apps können dann auch beispielsweise Schadsoftware enthalten. Das hat Apple in der Vergangenheit kontrollieren wollen. Und das wird jetzt nicht mehr so kontrolliert. Das ist ein Risiko.

    Kloiber: Peter Welchering über geknackte iPhones und das angeschlagene Geschäftsmodell von Apple. Vielen Dank.