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Freiheit in der Freiheit?

Jürgen Flimms Londoner Inszenierung von Beethovens "Fidelio" ist solide, realistisch und ohne Mätzchen. Musikalisch setzt Dirigent Antonio Pappano klare Akzente. Star des Abends ist Karita Mattila als Fidelio alias Leonore.

Von Georg Friedrich Kühn |
    "Wahre Liebe fürchtet nicht", liest man auf dem Ziervorhang des Londoner Royal Opera House zu Beginn. Jürgen Flimms Inszenierung von Beethovens "Fidelio" ist solide, realistisch und ohne Mätzchen.

    Die Bühne zeigt auf der einen Seite die rostigen Gitterstäbe von Gefängniszellen. In drei Etagen sind die Gefangenen übereinander gestapelt. Manchmal lassen sie die Arme durch die Gitter hängen. Auf der anderen Seite der private Bereich von Gefängniswärter Rocco.

    Heftig flirtet dessen Tochter Marzelline mit dem jungen Helfer Fidelio. Sie träumt von einer baldigen Heirat. Die roten Rosen, die ihr anderer Verehrer Jaquino mitgebracht hat, widmet sie um zum Brautstrauß. Und der Vater segnet das Paar schon mal mit Stola, Sekt und einem Foto für das Familienalbum.
    Eine Idylle bleibt das nicht. Dafür sorgt schon der brutale Gefängnis-Gouverneur Pizarro. Mit Knuffen, Tritten und einem Bündel Geld macht er Rocco gefügig. Dessen moralische Entrüstung, dass er morden soll, wobei er gleichzeitig die Scheine einsteckt, übergeht Pizarro mit Häme. Rocco ist Mitwisser. Sie haben noch eine gemeinsame Leiche im Keller, die schnellstens beseitigt werden muss.
    Die von Fidelio alias Leonore auf der Suche nach ihrem Mann Florestan verfügte Öffnung der Gefängnisgitter gestaltet Flimm eher schlicht. Die Gefangenen in ihren angeschmutzten weißen Dresses treten, wackeln aus ihren Zellen, werden dann von den Aufsehern weiter getrieben.

    Für das Gefängnis-Verlies, in dem der Politgefangene Florestan an einer Hundekette schmachtet, hat sich Flimm von Robert Israel einen düsteren Betonschacht bauen lassen, dessen Interieur, ein Haufen Koffer links, ein Haufen Schuhe rechts, an KZ-Bunker erinnert.
    Etwas spannungslos ist die Schlussbefreiung geraten. Auf einem Podest eingerüstet sieht man da eine Reiterstatue, als gleichsam Brechtscher Reitender Bote mit dem Minister als Überbringer der Freiheitsbotschaft. Die Frauen dürfen den Männern ihre Fesseln durchschneiden, auch Leonore die ihres Florestan.
    Alle knien nieder, inklusive Minister und Gefängniswärtern, dankbar dass es zu Ende ist mit dem Terror. Übeltäter Pizarro wird statt der Statue auf das Pferd gesetzt mit nacktem Oberkörper und gefesselt. Die Machtverhältnisse haben sich verkehrt.

    Musikalisch setzt Dirigent Antonio Pappano im Graben von Anfang an klare Akzente. Die Tempi sind frisch, nicht immer kommen Bühne und Orchester zusammen. Star des Abends ist Karita Mattila als Fidelio alias Leonore. Sicher ist sie in ihrem Auftreten, sicher in den dramatischen Höhen, auch wenn gegen Ende ihre Stimmkraft etwas ermattet. Überzeugend gibt sie die mutige, emanzipierte Frau, ähnlich den Frauen, die etwa in Argentinien einst nach ihren von der Junta verhafteten Männern fahndeten.

    Etwas eng in seinem musikalischen Ausdruck ist Endrik Wottrich als Florestan. Eine anmutige, dann enttäuschte Marzelline ist Ailish Tynan. Es gab nur sparsam Szenenbeifall. Und auch am Ende war der Beifall zwar einhellig aber kurz. Die Atmosphäre bei dieser Pfingstsonntag-Nachmittagspremiere in London war konzentriert, wenn auch nüchtern. Die Sicherheitshysterie mit Taschenkontrollen schon am Eingang des Opernhauses ist allgegenwärtig.

    Wohltuend aber auch, dass einem die seit Abu Graib sonst allfälligen Gefängnis-Assoziationen hier erspart bleiben. Die nach London übernommene Produktion stammt freilich aus dem Jahre 2000 von der New Yorker Metropolitan Opera. Die Bedrohungen allerdings sind bei Flimm schon hier sensibel vorausgeahnt. Krassere Zeichen braucht es gar nicht. Beethovens Musik bleibt in ihrer vom Glauben an das letztlich Gute durchdrungenen Kraft unberührt.