Dienstag, 23. April 2024

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Freiheit ist der Grundwert einer offenen Gesellschaft

In seinem Buch "Das Prinzip Sicherheit" hat der Göttinger Soziologe Wolfgang Sofsky vor zwei Jahren davor gewarnt, dass unserer Gesellschaft angesichts zunehmender Überwachung, Vernetzung und Kontrolle, angesichts staatlicher Fürsorge und Vorsorge, die Freiheit abhanden komme. Seine Thesen stießen auf euphorische Zustimmung, aber auch auf beißende Kritik. Mit dem Buch trete der Kulturkritiker als Schwadroneur der empiriefreien Gemeinplätze auf die Bühne, befand Andreas Rosenfelder in der FAZ.

27.08.2007
    In seinem neuen Buch, der Streitschrift "Verteidigung des Privaten" hat Sofsky nun seine Thesen weiter verschärft. Sofsky beschreibt unsere Gesellschaft als Zwangsanstalt, in der uns überhaupt kein Raum mehr bleibt, "Eigensinn" zu leben oder zu entwickeln. Daran hinderten uns nicht nur Video- oder Telefonüberwachungen, nicht nur Kennkarten oder präventive Sicherheitsmaßnahmen, auch die Gesundheitspolitik, der Wohlfahrts- und Sozialstaat verhinderten Privatheit und Freiheit. Auch im gesellschaftlichen Überbau werde zum Angriff auf die Freiheit geblasen, "Gedankenpolitik" betrieben. Agenten dieser Bedrohung seien neben den Institutionen, Parteien, Kirchen und Bewegungen auch "Schule und Familie, die Medien, der Freundeskreis, Gesinnungsvereine und der Stammtisch.

    Moderator
    Angesichts dieses Szenarios fragt man sich, was das Private, das Wolfgang Sofsky verteidigt, denn überhaupt sei. Ist es ein Ort, an dem noch niemand war, eine romantische Vorstellung?

    Sofsky
    Die Grenze des Privaten ist zunächst eine ganz sinnliche Grenze, nämlich der Bereich, der nicht für andere Augen und Ohren bestimmt ist. Das sind zum Teil die Gedanken, das sind bestimmte Tätigkeiten, das sind auch soziale Praktiken, die nicht für Fremde gedacht sind. Das ist, glaub ich, gar nicht romantisch, ich benutze ja hin und wieder die etwas militante Formulierung, das Private sei eine Art Festung. Damit wollte ich nur darauf hinweisen, dass es eine umstrittene Grenzmauer ist, die man verteidigen muss, gegen die, in der Tat ziemlich umfassenden Angriffe.

    Theissen
    Ich springe mal vom Individuum auf den Staat, auf das Gemeinwesen, und da schreiben Sie, ich zitiere noch einmal:
    "Sicherheit vor Krieg und Verbrechen ist die erste Aufgabe des Staates und nur diese erste Aufgabe rechtfertigt ein Budget, das durch Steuern finanziert wird."
    Wollen Sie zurück zum Nachtwächterstaat, in dem die Not des Einzelnen nicht mehr interessiert, in dem der Mensch seinem Schicksal radikal ausgesetzt wird?

    Sofsky
    Ich würde es etwas vornehmer formulieren, es gibt so ein Konzept von "minimal-state". Das wird im Deutschen etwas denunziatorisch Nachtwächterstaat genannt. Aber es geht in der Tat auch darum zu überlegen, inwiefern viele Aufgaben, die Gesellschaften eigentlich erfüllen konnten, mittlerweile längst verstaatlicht sind und die Gesellschaft selber ausgehöhlt ist, auch in ihren Funktionen. Und da wieder etwas zu vergesellschaften an Staatsfunktionen - dass muss ja nicht immer ökonomische Reprivatisierung sein - das scheint mir doch relativ wünschenswert, dass die Menschen es selber wieder übernehmen, gestalten und sich nicht darauf verlassen, dass es ihre Stellvertreter tun. Der Staat ist ja zunächst nichts anderes als eine Ansammlung von gewählten Stellvertretern, plus eines ungeheuren Administrationsapparates, den wir finanzieren und von dem wir erwarten, dass er im Grunde unser Leben sichert und gestaltet.

    Theissen
    Dieser Administrationsapparat zählt ja auch die soziale Sicherung zu seinen Aufgaben: die Wohlfahrtspolitik des Wohlfahrtsstaats. Das wollen Sie abbauen, wenn nicht gar abschaffen und da scheint mir doch, dass Ihre Thesen aus der Perspektive von saturierten Mittelstandsbürgern geschrieben sind. Arbeitslosengeld II Empfänger oder die wachsende Zahl von Kindern, die in Armut aufwachsen, werden sich bedanken angesichts dieser Thesen.

    Sofsky
    Das ist ja noch mal ein ganz anderer Punkt. Es geht bei Privatheit zunächst einmal um die negative Freiheit, dass einem nicht gesagt wird, was man machen soll. Freiheit ist ein oder für meine Begriffe, der Grundwert einer offenen Gesellschaft. Es gib natürlich noch andere Werte, über die man reden soll, die man analysieren soll und über deren Verhältnis man sich einigen soll. Es gibt den Wert der Solidarität, das hat nichts mit Freiheit zunächst zu tun. Es gibt den Wert der Gleichheit. Es gibt das Prinzip der Solidarität in Form von Etwas gegen Nichts, also eines ungleichen Tauschs oder Etwas gegen etwas Gleiches. Jeder bekommt was er verdient, das ist der strenge Sinn des Begriffs der Gerechtigkeit. Das sind andere Prinzipien, nach denen Gemeinwesen organisiert werden, und wie die sich zueinander verhalten, ist ein eigenes Problem.

    Theissen
    Diese Abwägung von der Sie jetzt gesprochen haben, leisten Sie ja in ihrer Streitschrift allenfalls am Rande. Insgesamt liest sich das ja wie ein Fundamentalismus des Privaten.

    Sofsky
    Was meinen Sie mit Fundamentalismus?

    Theissen
    In dem dieses Private absolut gesetzt wird, so zu sagen als der größte Wert, der überhaupt denkbar ist.

    Sofsky
    Ich finde, dass das Private in dem Sinne von Freiheit in der Tat der höchste Wert ist, und zwar ein Wert, den man um seiner selbst Willen verfolgt, wenn man sich dessen Sinn noch einmal deutlich macht, nämlich, das Recht sein Leben auf die eigene Weise zu führen, seine Entscheidung selber zu treffen und nur dann, an den Grenzen abgeblockt zu werden, wo man andere Personen schädigt und deren Freiheit einschränkt. Das ist der Grundwert und das scheint mir in der Tat ein Grundwert in dem Sinne zu sein, dass er selber nicht noch mal normativ zu begründen ist.

    Theissen
    Ich will am Ende noch mal runter von den Grundwerten von normativen Überlegungen hin zu praktischer Politik. Es ist ja tatsächlich so, dass mit Verweis auf terroristische Bedrohung Orwellsche Sicherheitsgesetze beschlossen oder geplant werden. Vor 20 Jahren, als eine vergleichsweise harmlose Volkszählung stattfinden sollte, gab es einen Riesenaufstand, heute gibt es kaum Widerstand dagegen. Wie ist diese Mentalitätsänderung zu erklären? Hat man sich einfach gewöhnt?

    Sofsky
    Ich glaube, dass dieser Prozess eigentlich sehr schleichend ist. Ein Prozess, der auch unserer Bequemlichkeit entgegen kommt. Diese ganze Digitalisierung vieler Sozialbeziehungen und auch Handelsbeziehungen hat dazu geführt, dass wir unter fremde Augen geraten sind ohne dass wir es, teilweise, gar nicht bemerken und es ist ungemein bequem. Wenn man mit der Kreditkarte bezahlen kann, ist es viel einfacher, als wenn man immer Bargeld in der Tasche haben muss. Es kommt also der Bequemlichkeit entgegen. Die selbe Generation, die seinerzeit gegen diese vergleichsweise harmlose Volkszählung aufbegehrt hat, war auch die Generation, die das Private zum Politikum erklärt hat und die scharfe Differenz, die zwischen beidem besteht, verwischt hat. Das ist ganz merkwürdig. Einerseits gab es einen legitimen antistaatlichen Affekt und andererseits gab es aber so etwas, wie eine Publizierung der eigenen Gefühle. Es sollte alles gesagt werden, auch das was unter kultureller Revolution gelaufen ist und was man sich an die Fahnen geheftet hat, war auch eine Abwertung des Privaten. Die Erosion des Sinns für das Private kommt auch daher.

    Theissen
    Bei der jüngeren Generation scheint es so zu sein, dass auf der einen Seiten vom Staat relativ wenig erwartet wird, von daher auch relativ wenig Widerstand gegen irgendwas geleistet wird, was als bedrohlich gelten könnte und dieses Bedrohungsgefahr auch noch einmal subjektiv dadurch abnimmt, dass man selber exhibitionistische Adern entdeckt. Also von daher überhaupt kein Gefühl hat für diese Bedrohungssituation.

    Sofsky
    Also es gibt so etwas wie eine Radikalisierung der Selbstpäsentation in der Öffentlichkeit. Die größte Belanglosigkeit wird noch ins Internet gestellt oder vor einer Kamera präsentiert. Es wird fortlaufend so laut miteinander geredet über Handy, dass viele Menschen das mithören müssen, obwohl es sie überhaupt nicht interessiert. Man müsste darüber nachdenken woran das liegt, dass etwas, was Menschen immer getan haben, nämlich sich gegenüber anderen darzustellen, dass das nun mit einem Impuls getan wird, wo gar nicht mehr gesehen wird, dass man damit zum Beispiel andere beschämt - von eigenen Schamgefühlen kann man da ja kaum mehr etwas entdecken - dass man anderen zunahe tritt, dass man gar keinen Respekt mehr hat vor der Eigensphäre des anderen, in die man eindringt durch offensive Selbstpräsentation.

    Theissen
    Am Ende will ich noch mal die Ebene wechseln und Sie fragen, ob nicht auch diese Politik des Verbietens der Gebote der Verbote, die wir ja ganz aktuell in kleinen Dingen beobachten können, ich denke beispielsweise an diese hysterische Raucherkampagne aber auch über die Diskussion Süßigkeiten zu verbieten, Computerspiele zu verbieten. Hat das auch etwas damit zu tun, dass angesichts der Globalisierung die Regulierungsfähigkeit der Politik in großen Dingen abgenommen hat und das man hier Kompensation sucht?

    Sofsky
    So hoch würde ich das nicht ansetzen. Ich meine, Politik der Gängelei ist ja altbekannt. Früher haben das die Kirchen gemacht. Dann waren es die Moralapostel und die Sittenapostel, die Zensurbehörden. Mittlerweile ist halt eine unselige Allianz zwischen Volkspädagogik und staatlicher Macht und Gesundheitspolitik zustande gekommen, die das ganze natürlich sozusagen noch einmal von offizieller Seite mit einem ganz neuen Verve in Angriff nimmt. Aber ich glaube nicht, dass es eine Kompensation für das Gefühl abnehmender Einflussmöglichkeiten ist, sondern das ist eine Fortsetzung einer Praxis die staatliche Macht und Staat als Verkörperung von Sittlichkeit sieht. Sobald er, der Staat, die Sitte, die Sittlichkeit sich selber an die Fahne heftet, wird es ungemütlich.

    Moderator
    Soweit das Gespräch mit Wolfgang Sofsky. Seine Streitschrift "Verteidigung des Privaten" ist im C.H. Beck Verlag erschienen. Sie umfasst 158 Seiten und kostet 14 Euro 90.