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Freiheit statt Sicherheitswahn

Der Datenschutz und individuelle Freiheitsrechte treten wegen der Angst vor terroristischen Angriffen immer mehr in den Hintergrund. Gegen die Beschneidung persönlicher Freiheit demonstrierten in Berlin Anhänger und Mitglieder des FoeBuD e.V.

Von Wolfgang Noelke | 17.06.2006
    "Was heute die Aufzeichnung von Verbindungsdaten ist, kennt keine Grenzen. Diese Sicherheitslogik, der zufolge eine einzelne Straftat schon derartige Maßnahmen rechtfertigt, wird immer weitergehen... "

    "Überwachung macht sicher vor Terror? ERROR" oder "Big Brother sieht Euch". Mit diesen Parolen und Transparenten bewegt sich der Demonstrationszug vom Alexanderplatz in Richtung Bundesjustizministerium. Es geht den Demonstranten schlicht um Datenschutz, der ihrer Meinung nach gleich von mehreren Seiten aus angegriffen wird: Die Politik sei am "gläsernen Bürger" interessiert und die Industrie, an den Einkaufsgewohnheiten und Lebensumständen so genannter "gläserner Kunden". Damit könne zum Beispiel die Wirtschaft anhand des Zahlungsverhaltens und der Einkaufsgewohnheiten bis hin zur Hausnummer einen Stadtteil bewerten – und die Nachbarn dieses gläsernen Kunden merken vielleicht erst dann, dass sie heimlich mitbewertet wurden, wenn sie plötzlich bei ihrer Bank kreditunwürdig sind – nur weil sie mit dem gläsernen Kunden im selben Haus wohnen. Dies könne passieren, wenn Daten nicht mehr geschützt seien, sagt einer der vierzehn Mitveranstalter dieser Demo, der Künstler und Netzaktivist padeluun, Vorstand des Bielefelder Vereins zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs FoeBuD e.V.. Die Themen der Volkszählung von 1989 seien harmlos im Gegensatz zur heutigen Datensammelwut:

    "Es ist ungleich gefährlicher: Ich kann in Millisekunden Annahmen treffen, statistische Annahmen, über Menschen und, wie wir ja gesehen haben, gerade nach dem 11.9. auch Gehirne von Menschen umprogrammieren, dass sie plötzlich doch zu allem, was in die Freiheit einschneidet, dann auch wieder ja sagen. Wir haben ohne Not, ohne dass wir irgendeine Bedrohung hatten nach diesen Anschlägen in New York auf das World Trade Center, haben wir hier in Deutschland uns auch einen Überwachungsstaat zusammengebaut. Das ist nicht ganz gelungen. Es gab viel Widerstand, aber da sind doch ganz viele dabei, die sagen: "wir haben ja eine terroristische Gefährdung", die – und das ist ein vom Bundestag gerade ein im Vorlauf der WM festgestellter Fakt - gar nicht existiert! Diese Bedrohung ist laut Bundestag nicht existent und trotzdem glauben so viele Menschen daran, dass wir unsicher sind. Sie wollen gerne Sicherheit, aber was sie bekommen, ist Überwachung."

    Deswegen ist gewollt zweideutig gemeint auch die Parole: "Freiheit stirbt mit Sicherheit". Damit wollen die Demonstranten auf die Gefährdung der Demokratie hinweisen, so Matthias Mehldau vom Chaos-Computer-Club:

    "Weil in wenigen Händen Daten von vielen Menschen liegen, Daten, wie, wer interessiert sich für was? Wer ruft welche Internetseiten auf und welche Suchbegriffe werden verwendet? Wer schreibt wem E-Mails? Das sind alles sehr private, auch manchmal etwas öffentlichere Daten und wenn in der Hand wirklich Weniger eine ganze Nation oder eine ganze EU die Macht liegt, diese zu analysieren mit irgendwelchen vermeintlich tollen Data-Mining- Algorithmen, dann liegt in diesen wenigen Händen wirklich viel Macht und Wissen über eine halbe Milliarde Menschen."

    Die Gefährdung der Meinungsäußerung sei jetzt schon zu beobachten. Wer auch nur befürchte, dass jedes Telefonat, jeder Besuch im Internet, jede Äußerung in Chatrooms von der Wirtschaft oder dem Staat mitgehört oder mitgelesen werden könne, passe sich oft den jeweils gängigen Meinungen an – vielleicht nur aus Angst, ein späterer potentieller Arbeitgeber könne etwas nachlesen. Demokratie aber funktioniere nur dann, so der Netzaktivist padeluun...

    "...indem wir selber uns immer trauen, unsere Meinung zu sagen und zwar die, die wir wirklich glauben und nicht die, von der wir glauben, dass sie Andere hören wollen, um dafür dann kleine Vorteile zu kriegen. Und dieser Anpassungsdruck, der damit erzeugt wird, indem ich das Gefühl hab, da bewertet mich jemand, da hängt vielleicht meine Karriere von ab, was ich sage, das führt dazu, dass man sich versimpelt."

    Im Vergleich zu den gewaltigen Anti-Volkszählungsdemonstrationen der 80er Jahre erscheint die heutige Datenschutz-Demo winzig. Sie sei jedoch nicht zu unterschätzen, sagt padeluun, weil hinter den vierzehn Veranstaltern sehr viele Menschen stünden, die - und das ist eine Form des modernen Protestes - ihren Unmut virtuell im Netz ausdrückten:

    "Jetzt müssen wir dahin kommen, dass Politiker sehen: Wenn sie nicht an das Thema richtig rangehen, wenn sie nicht Geld in die Hand nehmen, wenn es nicht Forschungsprojekte gibt, wenn es nicht Gesetzesinitiativen gibt, die auch durchkommen, dann läuft ihnen das Publikum noch weiter weg, dann werden sie nicht gewählt, weil es gibt nicht mehr viele Bereiche, in denen sich Politiker profilieren können. Datenschutz gehört dazu und so denke ich auch, wird selbst unser kleiner Haufen von sehr vielen relevanten Leuten sehr, sehr viel bewirken."