Sie stehen auf Straßen und Plätzen in Bogotá und sprechen vom Frieden, von der Demokratie, vom guten Leben - was für viele von ihnen vor allem und zuallererst überlegen heißt. Kaum eine Familie gibt's in Kolumbien, die nicht irgendwann einmal Vater, Mutter, Schwester, Bruder, Tante, Onkel oder sonst einen Freund oder Verwandten verloren hat: im Bürgerkrieg.
Bürgerkrieg - das heißt: offizielle und inoffizielle Staatsgewalt, oft im Einklang mit rechten Paramilitärs, gegen alles, was als links und irgendwie terroristisch stigmatisiert wird, gegen Guerilleros, Freischärler, Banden schwerstkrinmineller Drogenhändler. Dazwischen - das Volk.
Der Videokünstler Carlos Motta lässt Bürger von Bogotá, jede und jeder für sich, über die eigenen Wünsche und Träume sprechen, aber auch historische und aktuelle Texte vom Kampf um das gute Leben in die Kamera lesen.
Wie per Zauberhand setzt die Videotechnik die Sprecher dann manchmal ins wirkliche Leben - und plötzlich bleiben die Passanten stehen, hören zu, mit skeptischem Blick wie der Kofferträger oder ungerührt wie der Harfenspieler hinter ihm. Der fremde Gedanke vom anderen, friedlicheren Leben - Mottas Videosequenzen rücken ihn ins Bild.
Im Eingangsfoyer des alten Berliner Hebbel-Theater sind zwei Großleinwände installiert, auf denen mit Pathos und Emphase vom Glück der Demokratie und des Friedens geträumt wird - und damit auch daran erinnert, wie wenig selbstverständlich beides ist; selbst einem Land, das Touristen mittlerweile mit diesem Werbespruch lockt: Die einzige wirkliche Gefahr in Kolumbien ist die, dass Sie nicht wieder weg wollen! - sagt Matthias Pees, einer der künstlerischen Kuratoren des Festivals. Die Künstler wehren sich, sagt er, indem sie Bilder beschwören für den Alltag der Gewalt.
Das Mapa Teatro, das zur Eröffnung des Berliner Festivals "Das Fest der unschuldigen Kinder” zeigt, bedient sich für das Abbild der Gewalt einer außergewöhnlichen Mischung aus Fiktion und Dokumentation. In einer kleinen Stadt der von Drogenbaronen, Paramilitärs und Polizei besonders blutig umkämpften Region Cauca wird an jedem 28. Dezember ein abstruses Fest gefeiert - ursprünglich in Erinnerung an den Kindermord von Bethlehem ziehen gruselig und oft als Frauen maskierte Männer mit Peitschen durch die Straßen. Sie jagen und attackieren unterschiedslos jeden - "os santos inocentes” eben, die "unschuldigen Kinder”. Die formieren sich gegen Ende zur Gegendemonstration und skandieren "Raus mit den Paramilitärs! Raus mit den Guerilleros”.
Heidi und Rolf Abderhalden, Kolumbianer mit Schweizer Vorfahren, haben dieses Fest gefilmt und die ziemlich verstörenden Bilder verschnitten mit der Sehnsucht einer Frau, an diesem 28. Dezember, ihrem eigenen Geburtstag, an diesem Fest teilzunehmen. Warum sie so sehr verhauen worden sei, fragt sie gegen Ende. Weil halt auch sie wohl ein "unschuldiges Kind” sei.
In einem riesigen, schrillbunt vollgemüllten Wohnzimmer lebt sie, mit namenlosen Freunden und zwei alten, wunderbar singenden und spielenden Marimba-Meistern. In diesem Zimmer ist schon alles vorhanden für den sonderbaren Exorzismus des Cauca-Festes; und wenn der Fernseher läuft, sind Bilder von einem der schlimmsten Schlächter unter den Paramilitärs zu sehen, der seine Morde gestand, um danach per Amnestie - und nur noch als Drogendealer - an die USA ausgeliefert zu werden. Ganz zum Schluss, nach einer erschöpfenden Peitschenorgie, sind per Videolaufschrift auch noch die Namen all seiner Opfer zu lesen - eine Tortur.
Es macht einige Mühe, all die Bausteine dieser Aufführung zu koordinieren im eigenen Zuschauerkopf; niemand auch gibt der Kundschaft an diesem ersten Festivalabend Steilvorlagen fürs leichte, weltbürgerlich-entspannte Konsumieren. Das ist eher gut so - Kolumbien wird nicht eingemeindet. Das Fremde soll und darf fremd bleiben. Mag sein, dass wir ihm näher kommen in den nächsten Tagen.
Bürgerkrieg - das heißt: offizielle und inoffizielle Staatsgewalt, oft im Einklang mit rechten Paramilitärs, gegen alles, was als links und irgendwie terroristisch stigmatisiert wird, gegen Guerilleros, Freischärler, Banden schwerstkrinmineller Drogenhändler. Dazwischen - das Volk.
Der Videokünstler Carlos Motta lässt Bürger von Bogotá, jede und jeder für sich, über die eigenen Wünsche und Träume sprechen, aber auch historische und aktuelle Texte vom Kampf um das gute Leben in die Kamera lesen.
Wie per Zauberhand setzt die Videotechnik die Sprecher dann manchmal ins wirkliche Leben - und plötzlich bleiben die Passanten stehen, hören zu, mit skeptischem Blick wie der Kofferträger oder ungerührt wie der Harfenspieler hinter ihm. Der fremde Gedanke vom anderen, friedlicheren Leben - Mottas Videosequenzen rücken ihn ins Bild.
Im Eingangsfoyer des alten Berliner Hebbel-Theater sind zwei Großleinwände installiert, auf denen mit Pathos und Emphase vom Glück der Demokratie und des Friedens geträumt wird - und damit auch daran erinnert, wie wenig selbstverständlich beides ist; selbst einem Land, das Touristen mittlerweile mit diesem Werbespruch lockt: Die einzige wirkliche Gefahr in Kolumbien ist die, dass Sie nicht wieder weg wollen! - sagt Matthias Pees, einer der künstlerischen Kuratoren des Festivals. Die Künstler wehren sich, sagt er, indem sie Bilder beschwören für den Alltag der Gewalt.
Das Mapa Teatro, das zur Eröffnung des Berliner Festivals "Das Fest der unschuldigen Kinder” zeigt, bedient sich für das Abbild der Gewalt einer außergewöhnlichen Mischung aus Fiktion und Dokumentation. In einer kleinen Stadt der von Drogenbaronen, Paramilitärs und Polizei besonders blutig umkämpften Region Cauca wird an jedem 28. Dezember ein abstruses Fest gefeiert - ursprünglich in Erinnerung an den Kindermord von Bethlehem ziehen gruselig und oft als Frauen maskierte Männer mit Peitschen durch die Straßen. Sie jagen und attackieren unterschiedslos jeden - "os santos inocentes” eben, die "unschuldigen Kinder”. Die formieren sich gegen Ende zur Gegendemonstration und skandieren "Raus mit den Paramilitärs! Raus mit den Guerilleros”.
Heidi und Rolf Abderhalden, Kolumbianer mit Schweizer Vorfahren, haben dieses Fest gefilmt und die ziemlich verstörenden Bilder verschnitten mit der Sehnsucht einer Frau, an diesem 28. Dezember, ihrem eigenen Geburtstag, an diesem Fest teilzunehmen. Warum sie so sehr verhauen worden sei, fragt sie gegen Ende. Weil halt auch sie wohl ein "unschuldiges Kind” sei.
In einem riesigen, schrillbunt vollgemüllten Wohnzimmer lebt sie, mit namenlosen Freunden und zwei alten, wunderbar singenden und spielenden Marimba-Meistern. In diesem Zimmer ist schon alles vorhanden für den sonderbaren Exorzismus des Cauca-Festes; und wenn der Fernseher läuft, sind Bilder von einem der schlimmsten Schlächter unter den Paramilitärs zu sehen, der seine Morde gestand, um danach per Amnestie - und nur noch als Drogendealer - an die USA ausgeliefert zu werden. Ganz zum Schluss, nach einer erschöpfenden Peitschenorgie, sind per Videolaufschrift auch noch die Namen all seiner Opfer zu lesen - eine Tortur.
Es macht einige Mühe, all die Bausteine dieser Aufführung zu koordinieren im eigenen Zuschauerkopf; niemand auch gibt der Kundschaft an diesem ersten Festivalabend Steilvorlagen fürs leichte, weltbürgerlich-entspannte Konsumieren. Das ist eher gut so - Kolumbien wird nicht eingemeindet. Das Fremde soll und darf fremd bleiben. Mag sein, dass wir ihm näher kommen in den nächsten Tagen.