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Freiheit versus Sicherheit

Ohne Sicherheit kann es keine Freiheit geben, sagen die Befürworter eines starken Staates. Heribert Prantl dreht die These um: "Der Terrorist als Gesetzgeber. Wie man mit Angst Politik macht" heißt das neue Buch des streitbaren Leitartiklers der "Süddeutschen Zeitung" und leidenschaftlichen Verfechters der Freiheit. Gudula Geuther hat es gelesen.

14.04.2008
    Wer in der Debatte um Rechtsstaatlichkeit und innere Sicherheit klare Pole ausmacht, hat sich schon positioniert. Wer Sicherheit und Freiheit als mögliche Gegensätze beschreibt, die in Ausgleich gebracht werden müssen, plädiert damit für die Freiheit. Denn für die Befürworter eines vermeintlich starken Staates gilt der Satz: Ohne Sicherheit kann es keine Freiheit geben.

    Heribert Prantl, Jurist und Journalist, ist - ohne politischer Akteur zu sein – selbst prominenter Vertreter eines der beiden Pole, der Freiheit. In seinem Buch "Der Terrorist als Gesetzgeber – Wie man mit Angst Politik macht" dreht der streitbare Leitartikler der S"üddeutschen Zeitung" den Satz der Sicherheitsbefürworter um. Mit seiner These:

    "In einem maßlosen Staat gibt es vielleicht mehr Sicherheit, aber ganz sicher viel weniger Freiheit. Ein Staat, der ständig sein Recht verkürzt und in dem Grundrechte der Bürger nur noch dem Grunde nach zustehen, ist nicht stark, sondern schwach."

    Heribert Prantl zeichnet die deutsche Sicherheitsgesetzgebung der vergangenen Jahrzehnte nach, von den Anti-Terror-Gesetzen der 70er und 80er Jahre, über Gesetze gegen Organisierte Kriminalität und Korruption und zum Schutz vor Sexualstraftätern in den 90ern. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 folgen – neben vielem anderen - biometrischer Pass und Personalausweis, die zentrale Speicherung von Fingerabdrücken, vermehrte Abhörmöglichkeiten und Videoüberwachung, das Luftsicherheitsgesetz, die Vorratsdatenspeicherung. Für Prantl zeigt sich hier – und das nicht nur in Deutschland - eine klare Tendenz:

    "Ich beschreibe das ja, wie viele andere auch, wie der frühere Verfassungsrichter Dieter Grimm als Bild eines Präventionsstaates. Der Präventionsstaat ist etwas anderes als der Polizeistaat im klassischen Sinne. Also ein Staat, der möglichst früh zugreifen will, um die große Gefahr möglichst zu beseitigen. Und er macht das mit Mitteln, die man halt früher nur gegen Verdächtige, gegen konkret Verdächtige, angewendet hat. Und in der Summe ergibt dies ein Bild – jetzt bin ich wieder bei dem Begriff Angst – das mir tatsächlich Angst macht. Aus Angst vor dem Terrorismus greift der Staat zu Mitteln, die einem dann für sich genommen wieder Angst machen."

    "Jeder ist verdächtig" – mit diesem in Form eines Mantras wiederholten Satz beschreibt Prantl die Entwicklung zum Präventionsstaat als eine von zwei gesetzgeberischen Tendenzen, ähnlich wie in seinem Buch "Verdächtig" von 2002. Der zweite Begriff neben dem des Präventionsstaats, auf den Prantl immer wieder zurückkommt, ist der des Feindstrafrechts, anknüpfend an den Bonner Strafrechtslehrer Günther Jakobs, dem er ein eigenes Kapitel widmet.

    Dass der, der sich außerhalb des Rechts stellt, nicht nach dem regulären Strafrecht zu behandeln sei, vertritt so in Deutschland kein Sicherheitspolitiker. Den Grundgedanken aber glaubt Heribert Prantl unter anderem in Interviewäußerungen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zu erkennen.

    "Von Überlegungen: Wie gehe ich mit Gefahrpersonen um? Also mit Menschen, die gefährlich sind, nach wessen Definition auch immer, die aber keine Straftat begangen haben, die ich also nicht einsperren kann als Strafe; die ich aber auch mit den Polizeigesetzen vorbeugend vor einer Demonstration, vor einem Fußballspiel, nicht für ein paar Tage inhaftieren kann. Die ich einfach einsperren will als Gefährder, weil sie gefährlich sein könnten.

    Das sind Überlegungen, die mit einem Feindstrafrecht zu tun haben. Weil ich keinen normalen Menschen, keinen normalen Bürger so behandeln würde. Ich behandle den Terrorist so, weil er ein Feind ist, weil Feinde gefährlich sind, und weil ich möglichst schnell zugreifen will. Die anderen Punkte, die in diese Richtung gehen, waren die Überlegungen, bei Terroristen so etwas wie extralegale Tötungen durchzuführen, weil man ja Terroristen nicht immer einem ordentlichen Verfahren zuführen könne."

    Entwicklungen im Ausländerrecht kommen hinzu, die Diskussion über das Folterverbot, Tendenzen, die Prantl eine "Guantanamoisierung des Rechts" nennt. "Der Terrorist als Gesetzgeber" ist keine sachliche Abhandlung und will es auch nicht sein. Es ist ein kommentierender Essay in Buchform, in dem die Fakten zum Beleg der These dienen. Das hilft, das Gedankengebäude zu verstehen. Aber nicht immer die Diskussion, die dahintersteht.

    Prantl ficht nicht mit dem Florett. So, wie Wolfgang Schäuble seine "Spiegel"-Äußerung über die Tötung von Terroristen mitnichten als Plädoyer für extralegale Tötungen verstanden haben wollte, sondern als Beleg einer völkerrechtlichen Überlegung, so führt auch sonst der Blickwinkel des Buches teilweise zu Verzerrungen. Etwa, wenn in einem fiktiven Zeitungsartikel aus dem Jahr 2011 ein Verfassungsgerichtspräsident auftaucht, der sich für die Zulässigkeit einer so genannten Rettungsfolter ausgesprochen habe, mit der Begründung, das Leben der zu rettenden Oper sei höher zu bewerten als die Würde des Beschuldigten.

    Der Leser denkt an die Diskussion um den Kandidaten für das Amt, Horst Dreier. Nur hat der dieses eben nie gesagt, er hat im Gegenteil die Menschenwürde für nicht abwägbar erklärt und dann – das allerdings schon - den Fall beschrieben, dass Menschenwürde von Opfern und Tätern gegeneinandersteht. Das sind die Details, die Prantls kämpferischer Herangehensweise zum Opfer fallen. Dabei präsentiert sich das Buch sehr ehrlich als Streitschrift.

    Die Größe der gewählten Vergleiche lässt keinen Zweifel an der Haltung des Autors. Begonnen mit der Hexenverbrennung und der Ketzerverfolgung bis zu Steven Spielbergs Science-Fiction-Film "Minority Report". Wer ein Sachbuch erwartet, wird hier Schwierigkeiten haben. Ebenso wie mit der metaphernreichen Sprache, die – manchmal in einem Absatz – Anleihen an Religion, Literatur und Mythologie macht. Wer dagegen den Thesen folgt, kann die historischen Exkurse als Beleg für Heribert Prantls Analyse sehen:

    "In den längsten Phasen der Menschheitsgeschichte sind Täter, die tatsächlich oder vermeintlich die staatliche Rechtsordnung oder ihre Repräsentanten angegriffen haben, als Feinde und damit rechtlos behandelt worden. Womöglich geht nun die kurze Geschichte zu Ende, in denen Staaten auch ihre Feinde dem Recht entsprechend behandelten und sich, auch deswegen, Rechtsstaaten nannten."

    Der Autor will das nicht als Prognose verstanden wissen, er will warnen. Er tut das, indem er in Schleifen immer wieder auf seine Ausgangsthesen zurückkommt und auf dem Weg dem Leser nicht nur interessante Einblicke in die ältere Rechtsgeschichte gibt, sondern auch in neuere Entwicklungen wie die der Sicherungsverwahrung oder des Ausländerrechts.

    Dabei wird ihm vermutlich vor allem der folgen, der seinen Thesen ohnehin zustimmt. Das ist schade. Denn die Schrift weist – bei allen Schwierigkeiten - in kenntnisreicher Form auf reale, gefährliche Tendenzen der neueren Sicherheitsgesetzgebung hin.


    Heribert Prantl: Der Terrorist als Gesetzgeber. Wie man mit Angst Politik macht
    Droemer Verlag, 224 Seiten, 14,95 Euro