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Freiheitsheld und königstreuer Verräter

Der Ruf eines Freiheitskämpfers eilte ihm voraus: Marquis de La Fayette machte sich einen Namen im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. In Frankreich hingegen ist die Erinnerung an den General und Politiker geteilt, erwies sich doch der Freiheitsbegriff des wortgewandten Weltreisenden im Verlauf der Französischen Revolution als ausgesprochen widersprüchlich.

Von Ruth Jung | 06.09.2007
    Europa ist wie ein verbrauchter Körper, der erst durch die Berührung mit neuen, mit besseren Generationen einen guten Gesundheitszustand wird erlangen können, während in unserem blühenden Amerika der Fortschritt der Menschheit die allerhöchsten Stufen erreichen kann.

    Das begeisterte Bekenntnis eines Franzosen zu Amerika: Marie-Joseph Motier, Marquis de La Fayette, am 6. September 1757 auf Schloss Chavaniac in der Auvergne geboren, war gerade 20 Jahre alt, als er von Bordeaux aus aufbrach in die Neue Welt. Für Freiheit und Menschenrechte wollte er kämpfen und den Amerikanern im Unabhängigkeitskrieg gegen die britische Kolonialmacht zum Sieg verhelfen. George Washington empfing den jungen Adligen, dessen militärische Erfolge ihn schon bald zum "Freiheitshelden" machten.

    Gefeiert und geehrt, kehrte La Fayette nach Frankreich zurück. Hier gärte es bereits, der Ausbruch der Französischen Revolution bereitete sich vor. Der als extrem ehrgeizig geltende Marquis engagierte sich sofort. Nach dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 organisierte er den Aufbau der Nationalgarde, übernahm das Oberkommando und wurde Vize-Präsident der Nationalversammlung. Doch die Ambitionen des Generals riefen Gegner auf den Plan. Bereits im Dezember 1789 warnte der redegewaltige Graf Mirabeau:

    Niemals würde Monsieur de La Fayette angesichts seiner Armee von 30.000 Mann einen Volksaufstand dulden; es ist durchaus vorstellbar, dass ein solches Ereignis ihn dazu bringen könnte, auf das Volk schießen zu lassen.

    Beim französischen Volk hingegen war der einstige Kämpfer für die amerikanische Unabhängigkeit äußerst beliebt. Ein Umstand, den La Fayette durch einen exzessiven Personenkult noch zu verstärken wusste: in ganz Frankreich fanden sich Büsten, Porträts und Statuen des selbstbewussten Generals.

    Der Widerstand ist die heiligste Aufgabe und Pflicht eines unterdrückten Volkes,

    hatte La Fayette 1789 noch betont. Tatsächlich aber war er ein Reformpolitiker, er vertrat eine Revolution "von oben" nach dem Vorbild der englischen Glorius Revolution von 1688. Ein "doppeltes Spiel" nannte der Volkstribun Jean-Paul Marat das Auftreten des Generals. La Fayettes enge Verbundenheit mit dem Köng einerseits und seine ungezählten Reden vor der Nationalversammlung andererseits wertete Marat als Zeichen des Verrats an der Revolution. Die blutigen Ereignisse auf dem Pariser Marsfeld am 17. Juli 1791 sollten ihm Recht geben. In seiner Zeitung "L'ami du peuple", "Der Volksfreund" klagte Marat an::

    Ein teuflisches Komplott des Verräters La Fayette, ein schreckliches Massaker an friedlich versammelten Bürgern, Frauen und Kindern, die auf dem Marsfeld zusammengekommen waren ( ... ) weil sie sich um die öffentliche Sache, die Politik sorgten. Diese Bürger wollten die Stimme der Hauptstadt vernehmen lassen zu dem schändlichen Dekret, das den König von seinem Verrat am Volk freisprechen wollte.

    Tausende Menschen hatten sich an diesem Tag versammelt. Sie protestierten gegen die geplante Verabschiedung eines Dekrets, das die Ehre König Ludwig des XVI. nach seinem gescheitertem Fluchtversuch wiederherstellen sollte. La Fayette befahl der Nationalgarde die Räumung des Platzes. Das Volk aber wich nicht. Da gab der General den Schießbefehl: über 400 Tote waren zu beklagen. Sie wurden nachts in die Seine geworfen, denn das Ausmaß des Blutbades am Marsfeld sollte verheimlicht werden.

    Als sich La Fayette dann im Sommer 1792 gegen die Verurteilung des Königs aussprach, galt er endgültig als königstreuer Verräter. Die Revolution war in ihre zweite Phase getreten. Der einstige Freiheitsheld floh nach Flandern, wurde gefangen genommen und war bis 1797 in preußischen und österreichischen Kerkern inhaftiert. Doch nach der Machtergreifung Napoléons sah der liberale Politiker neue Wirkungsmöglichkeiten für sich gekommen. 1799 schrieb er in einem Brief:

    Es ist offensichtlich, dass Napoléons Interesse darauf zielt, sich mit uns, namentlich mit mir, zusammenzutun ( ... ) mit mir, der ich so herzlich gern meine Stimme geben dafür würde, ihn zum Präsidenten einer freien, gerechten und gut organisierten Republik zu machen.

    Noch eine Revolution sollte er erleben: die Juli-Revolution von 1830. Doch auch hier fiel er den Barrikadenkämpfern in den Rücken und unterstützte die Inthronisierung des "Bürgerkönigs" Louis-Philippe. 1834 starb Marie-Joseph Motier, Marquis de La Fayette in Paris. Sein Grab auf dem Cimetière de Picpus ist bis heute eine Pilgerstätte für amerikanische Besucher geblieben.