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Freiheitslyrik
"European Poet of Freedom"-Literaturfestival in Danzig

Als Stadt der politischen Bewegung Solidarnosc ist das Wort Freiheit für Danzig besonders wichtig. 2010 wurde dort das Literaturfestival "Europäischer Dichter der Freiheit" gegründet. Erstmals kuratiert mit dem Lyriker Tadeusz Dąbrowski ein künstlerischer Leiter das Festival.

Von Katrin Hillgruber | 26.03.2014
    Festival-Kurators Tadeusz Dąbrowski
    Lyriker und Kurator Tadeusz Dąbrowski erweiterte das Literaturfestival "European Poet of Freedom" in Danzig um Filme, Schreibworkshops und musikalische Auftragswerke. (Deutschlandradio / Katrin Hillgruber )
    Die hinreißende Kompliziertheit des Polnischen verträgt sich gut mit Neuer Musik. Soviel steht am Ende des Festivals "Europäischer Dichter der Freiheit" fest, das die Stadt Danzig seit 2010 alle zwei Jahre ausrichtet. Doch erst in der dritten Ausgabe kamen mit Filmen, Schreibworkshops und musikalischen Auftragswerken weitere Kunstformen hinzu.
    Verantwortlich für diesen neuen Impuls ist der 34-jährige Lyriker Tadeusz Dąbrowski, mit dem erstmals ein künstlerischer Leiter das Festival kuratierte. Auch eigene Gedichtzeilen wie "Zwischen der Ebbe der Gedanken und der Flut des Schlafs" ließ er vertonen, sie erklangen in der blau beleuchteten Backsteinkirche St. Johannes.
    "Als neuer Artdirector habe ich mir eine, wie ich finde, wichtige Frage gestellt: Warum nicht zeigen, wie Poesie nicht nur in anderen Landessprachen, sondern auch für andere Sprachen der Kunst übertragen werden kann. Und ich entschied mich, dieses Danziger und zugleich internationale Fest der Poesie mit Film und auch mit zeitgenössischer symphonischer und elektroakustischer Musik auszubauen.
    Nicht um die Gedichte zu stützen oder sie zu beglaubigen, weil ein gutes Gedicht das nicht braucht. Es geht mir mehr um eine dritte Qualität: Das Gedicht als integraler Bestandteil einer musischen Partitur zeigt unerwartet sein neues Antlitz, zeigt ein ganz neues Potenzial."
    Das Gedicht als integraler Bestandteil einer musischen Partitur
    Das Besondere an diesem Danziger Festival ist, dass es sich als einziges in Polen ganz der Lyrik in Übersetzung widmet. Per Los werden sieben europäische Länder inklusive Kaukasus bestimmt, aus denen polnische Übersetzer Lyriker vorschlagen. Hat das unabhängige Kuratorium den Empfehlungen zugestimmt, werden sieben komplette Gedichtbände übersetzt und deren Verfasser nach Danzig eingeladen.
    Nach viertägigen Lesungen an den schönsten Orten der Stadt, wie der städtischen Bibliothek in der Frauengasse, wird der Sieger bei einer großen Gala mit dem Preis "Europäischer Dichter des Friedens" ausgezeichnet. Der Preisträger erhält 100.000 Złoty, etwa 25.000 Euro, und der Übersetzer 15.000 Złoty. Nach dem Weißrussen Uładzimir Arlou und Durs Grünbein im Jahr 2012 gewann diesmal die völlig überraschte Kroatin Dorta Jagić mit ihrem Gedichtband "Sofa auf dem Marktplatz", den Małgorzata Wierzbicka ins Polnische übertrug. Auf Deutsch sind bisher nur einzelne Gedichte von Dorta Jagić erschienen, etwa auf der Internetseite Lyrikline.org.
    "Etwas Hoffnung hatte ich immer, aber die Überzahl der männlichen Jury-Mitglieder entmutigte mich, außerdem gibt es in meinen Gedichten keine eindeutig politischen Themen, die ja doch sehr populär sind. Dieses Festival ist crazy! Ich habe noch nie von einem so hoch dotierten Preis für Lyrik gehört, und dazu gehört ja auch, dass eines deiner Bücher komplett übersetzt wird. Das ist wirklich das beste Festival, von dem ich je gehört habe. Für mich ist es der erste Preis überhaupt, ich kann es noch gar nicht fassen."
    "Dichter sind Einzelgänger"
    Von Tadeusz Dąbrowski erscheint im Spätsommer bei Hanser mit "Die Bäume spielen Wald" der zweite Lyrikband auf Deutsch. Sein Förderer Michael Krüger nennt ihn einen – wie er schrieb – "gut trainierten Skeptiker". Dichter sieht Dąbrowski als Einzelgänger. Man solle sie nicht zur Geselligkeit zwingen, betonte er bei einer Podiumsdiskussion mit Veranstaltern anderer internationaler Poesiefestivals. Doch die Zusammenkunft mit Iren Baumann aus der Schweiz, Erwin Einzinger aus Österreich, dem Belgier Guy Goffette oder dem Kasachen Toktarali Tanżarik, der mit seiner Familie angereist war, vertrieb jegliche Zweifel:
    "Das Wort 'Freiheit' ist für Danzig als die Stadt der politischen Bewegung Solidarnosc besonders wichtig. Aber ich verstehe das Wort 'Freiheit' sehr weit. Dieses Festival ist auch eine Schule des Dialogs, die unsere persönliche Freiheit erweitert. Durch eine gute Übersetzung kann man die Hoffnung haben, dass das Poetische nicht nur ein Erzeugnis der Sprache ist, sondern auch etwas Übersprachliches oder Außersprachliches. Das ist für mich wirklich wichtig: dass ich ein bisschen altmodisch immer noch an diese Referenzen zwischen Text und Realität glaube.
    Als der Danziger Bürgermeister Paweł Adamowicz bei der Abschlussgala die teilnehmenden Länder des "Europäischen Dichters der Freiheit" für 2016 zieht, ist Russland darunter. Ein bitteres Lachen geht durch den Zuschauerraum. Wie war das mit den Referenzen zwischen Text und Realität?