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Freiluftmalerei und Aschenputtel im Salon

Pauline Viardots Oper Cendrillon wurde jetzt an der Opera Comique aufgeführt. Ein paar Häuser weiter , am Chatelet, kam Sunday in the Park with George auf die Bühne. Ein Stück des amerikanischen Musical-Multi-Talents Stephen Sondheim, der Gershwins West Side Story textete und selbst anspruchsvolle Bühnenmusik komponierte.

Von Jörn Florian Fuchs |
    Natürlich wirkt das ein bisschen skurril. Vor allem, da alle Englisch singen und sprechen und auch weil alles vollständig erfunden ist. Bereits 1983 haben Stephen Sondheim und sein Librettist James Lapine "Sunday in the Park with George" am Off-Broadway herausgebracht. Die Kritiken waren gemischt, doch das Stück bekam mehrere Auszeichnungen, darunter den Pulitzer Preis.

    Für die Neuproduktion am Pariser Théâtre du Châtelet schuf Michael Starobin eine erweiterte Orchestrierung, ursprünglich saßen elf Musiker im Graben, jetzt sind es über 40. Trotzdem behält das Stück seinen kammermusikalischen Charakter, lediglich vor der Pause und beim Finale herrscht breiter Broadwayklang. Stephen Sondheim orientierte sich an der pointilistischen Maltechnik Seurats und schrieb viel Kleinteiliges, es gibt oft Staccati und Tonzellen mit begrenztem Spektrum.

    Inspiriert wurde "Sunday in the Park with George" von Georges Seurats Un dimanche après-midi à l'île de la Grande Jatte. Sondheim und Lapine erwecken die im Gemälde verewigten Figuren zum Leben, ein deutsches Ehepaar streitet, zwei Soldaten vergnügen sich mit jungen Damen. Seurat tritt selbst auf und erklärt seine Maltechnik, er denkt über die Sommergäste nach und wird schließlich von seiner Geliebten Dot (zu Deutsch "Punkt") verlassen.

    Mit sicherer Hand inszeniert Lee Blakeley das Geschehen, William Dudleys Bühnenbild besteht hauptsächlich aus Videos. Einmal wird es sehr klaustrophobisch: die Figuren sind in einer Sartre-artigen Welt gefangen, auf ewig aneinander gebunden, im Wortsinn festgehalten. Der zweite Akt führt in die USA des Jahres 1984. Seurats Urgroßenkel ist auch Künstler geworden, in seiner Videoinstallation Chromolume #7 reflektiert er die einst revolutionären Ideen seines Urgroßvaters. Abstrakte Formen flackern zu aufgeheizter Maschinenmusik. Eine Kritikerin spottet darüber, die anderen Gäste der Vernissage sprechen vorwiegend in aufgeblasenen Formulierungen. Wenig später reist der Urenkel auf die Grande Jatte und findet dort statt beschaulicher Natur eine Plattenbausiedlung. Da erscheinen Geister der Vergangenheit und entführen den jungen Mann für kurze Zeit in die gute alte Künstlerwelt.

    Julian Ovenden singt die beiden Seurats mit wohlklingendem Tenor, auch die übrigen Partien (meist Doppelrollen) sind sehr gut besetzt. Für den anwesenden Komponisten war es ein Heimspiel, da das Châtelet inzwischen fast jede Saison ein Stück von ihm aufführt.

    Auch an der Opéra Comique trifft man dieser Tage auf eine ganz besondere Künstlerpersönlichkeit. Pauline Viardot, seinerzeit Weltklasse-Sängerin, Komponistin und Gesellschafterin, führt in Thierry Thieû Niangs "Cendrillon"-Inszenierung gleich selbst durch den Abend. Vor der knapp einstündigen Aschenputtel-Oper gibt es einen kleinen, feinen musikalisch-literarischen Salon. Marie Bunel verkörpert die Gastgeberin und liest Briefe vor, dazu singen Nachwuchskräfte der Comique ein buntes Potpourri. Fast unmerklich schließt sich "Cendrillon" an. Bei Viardot geht es zwar auch um den verlorenen Schuh, sie verleiht dem Märchen aber eine durchaus humorvolle Note. Eigentlich ist es ein Sängerinnenwettstreit, den Aschenputtel am Ende natürlich gewinnt. Unter der musikalischen Einrichtung von Mireille Delunsch entsteht ein wunderbar leichter Abend, Viardots Musik ist quicklebendig, melodienseelig, ganz dem Wohlklang verpflichtet. Spanische und italienische Einflüsse sind hörbar und man merkt an vielen Stellen ihre enge Verbindung zu Franz Liszt oder Charles Gounod. Mit Hector Berlioz spielte sie einst Wagners "Tristan und Isolde" nach!

    "Cendrillon" wurde vor ziemlich genau 99 Jahren in Viardots Salon uraufgeführt, da war die Grande Dame schon über 80. Leider spielt man in unseren Breiten meist nur Jules Massenets Aschenputtel-Veroperung. Gefördert wurde Massenet übrigens ganz besonders von Pauline Viardot.