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Freimaurer in der Sinnkrise

Um die Freimaurer ranken sich dunkle Legenden. Sie handeln von Weltherrschaft, Mord und Verschwörung. Aus dem Dunkel der Logen sind nun zwei Freimaurer herausgetreten, um die Geheimnisse ihres Ordens zu offenbaren. Peter Haischer hat die beiden Bücher gelesen.

15.01.2007
    Die Männer tragen Schürzen und feiern seltsame Rituale. Ihre Leitbegriffe sind die Ideale der Aufklärung: Toleranz und Humanität. Ihre Gegner halten sie dagegen seit mehr als 200 Jahren für einen verschwörerischen Bund von Dunkelmännern, die nach der Weltherrschaft streben. Aufklärung über das wahre Wesen und die wirklichen Ziele der Freimaurerei verheißen zwei Neuerscheinungen. Die Autoren sind selbst Freimaurer: Tom Goeller und William Kirk MacNulty.

    William Kirk McNulty, Verfasser mehrerer Werke über das Thema, definiert Freimaurerei in seinem Buch "Die Freimaurer. Das verborgene Wissen" so:

    "[Sie] ist eine säkulare Brüderschaft [...]. Sie vertritt die Prinzipien eines für alle Menschen verbindlichen Sittengesetzes und trachtet danach, die Praxis brüderlicher Liebe und der Wohltätigkeit [...] zu verbreiten [...]. Sie ist keine Religion, aber sie ist eine Gesellschaft religiös gesinnter Männer; denn sie verlangt von ihren Mitgliedern, dass sie an ein "Höchstes Wesen" glauben. Freimaurerei könnte als 'philosophische Begleiterin im Glauben' angesehen werden."

    Laut MacNulty haben die Freimaurer eigentlich auch keine Geheimnisse mehr. Das Geheime daran, die freimaurerischen Lehren und Rituale, sei der Öffentlichkeit über so genannte Verräterschriften längst zugänglich. Für MacNulty hat das Prinzip der Geheimhaltung vor allem spirituelle Gründe:

    "Angesichts [der verratenen Geheimnisse] kann man sich fragen, warum die Freimaurerei trotz aller Kritik an der Geheimhaltungspflicht festhält. Die Antwort darauf findet man in ihren Lehren. Das Geheimnis der Maurer ist ein symbolisches, und wie alle ihre Symbole vermittelt es Wissen."

    Im Mittelpunkt stehen die persönlichen Erfahrungen beim Vollzug und der Auslegung der symbolischen Rituale. Freimaurerei ist, schreibt MacNulty, ein Weg zu sich selbst, und über diese Erfahrungen kann er sich mit den Bundesbrüdern austauschen.

    Die Spiritualität der Freimaurerei ist es, worauf es MacNulty in seinem reich illustrierten Porträt der Bruderschaft ankommt. Und genau darin sieht der Autor auch die Zukunft des Bundes. Der Grund für die derzeit rückläufigen Mitgliederzahlen sei,

    "dass die Freimaurer ihr Hauptaugenmerk auf die Wohltätigkeit und gesellschaftliche Aktivitäten richteten, wodurch ihre philosophischen Lehren notwendigerweise in den Hintergrund rückten. Trifft dies zu, so bietet die gegenwärtige Zeit der Freimaurerei eine einmalige Gelegenheit zur Erneuerung, da sich in den westlichen Gesellschaften, besonders in der Jugend, ein wachsendes Interesse an einer mit der hermetisch-kabbalistischen Tradition vereinbaren Metaphysik beobachten lässt. Großlogen, die sich dafür entschieden haben, diesen Aspekt in den Vordergrund zu stellen, konnten von diesem zunehmenden Interesse bereits profitieren. Die Zukunft sieht in diesem Bereich für die Freimaurerei recht vielversprechend aus."

    Dem würde der Journalist Tom Goeller widersprechen. Er sieht die Aufgaben der Freimaurer gerade auf dem politisch-sozialem Sektor. Sie seien seit ihrer Gründung für Aufklärung und Freiheit angetreten:

    "Freimaurer waren zu Beginn des 18. Jahrhunderts ihrer Zeit um 200 Jahre voraus. Viele Nachfolgende sind ihrer Zeit voraus geblieben, aber innerhalb der Freimaurerei gilt es, sich dessen wieder stärker zu erinnern."

    Tom Goellers Buch "Freimaurer. Aufklärung eines Mythos" knüpft an eine lange Tradition an, wie sie sich etwa schon in Lessings 1778 erschienenen Freimaurergesprächen zeigt:

    "Die wahren Taten der Freimäurer sind so groß [...], dass ganze Jahrhunderte vergehen können, ehe man sagen kann: das haben sie getan! Gleichwohl haben sie alles Gute getan, was noch in der Welt ist. [...] Und fahren fort, an alle dem Guten zu arbeiten, was noch in der Welt werden wird."

    Goeller weist auf ein freimaurerisches Friedensinstitut hin, das sich 2006 in den USA formiert hat. Er nennt die Ziele einer politischen Freimaurerei. Es gehe darum,

    "freimaurerische Kräfte zu bündeln und sich für Friedensprozesse zu engagieren sowie für soziale und gesellschaftliche Gerechtigkeit."

    Goeller sieht die Freimaurer an der Spitze des noch unvollendet gebliebenen Projekts Aufklärung:

    "Ziel ist es auch, den Geist der Aufklärung dort neu zu beleben, wo er gerade vorkommt, und dorthin zu tragen, wo er offenbar nie ankam."

    Liest man ein engagiertes Buch wie das Goellers, könnte man Lichtenberg zustimmen, der über Lessings Freimaurergespräche urteilte,

    "wenn die Freimäurer das sind, so ist es eine Sünde wider die menschliche Natur, keiner zu sein","

    und könnte zugleich fragen, ob man unbedingt ein Freimaurer sein muss, um sozial oder politisch tätig zu sein. Denn nach Lessing könne man Freimaurer sein,

    ""auch ohne Freimäurer zu heißen."
    Die Bücher MacNultys und Goellers zeigen das Freimaurertum von heute in einer Sinnkrise. Zwar zehrt der Bund immer noch von seiner geheimnisvollen Geschichte und dem Glanz seiner Mitglieder, seien es Künstler wie Mozart, Goethe und Chagall, Staatsmänner wie Washington, Stresemann oder Churchill. Aber ohne ihren Nimbus wären die Feimaurer sicherlich schon längst mit zahllosen anderen bürgerlichen Vereinen und Gesellschaften des 18. und 19. Jahrhunderts zugrunde gegangen.

    Wo aber liegt ihre Zukunft? Goeller wünscht sich mehr politische Aktion, MacNulty will eine stärker spirituelle Ausrichtung. Mit ihren gegensätzlichen Positionen ergänzen sich die beiden Bücher. Denn politisch-soziales Wirken und Spiritualität gehören gleichermaßen zum Wesen der freimaurerischen Tradition.

    Tom Goeller: Die Freimaurer. Aufklärung eines Mythos
    Be.bra Verlag, Berlin 2006, 240 Seiten, 22 Euro

    W. Kirk MacNulty: Die Freimaurer. Das verborgene Wissen
    Herbig Verlag, München 2006, 320 Seiten, 39,90 Euro