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Freitag ist kritisch

Die meisten Patienten werden freitags aus dem Krankenhaus entlassen. Am Samstag oder Sonntag dagegen schickt kaum ein Klinikarzt seine Patienten nach Hause. Eine nicht ganz ungefährliche Praxis. Denn wer zum Wochenende raus kommt, der riskiert Komplikationen. Das hat die Auswertung der Krankengeschichten von fast einer Million Patienten ergeben. Das erhöhte Risiko lässt sich jedoch vermeiden. Dabei können auch die Entlassungskandidaten selber einiges dafür tun.

Von William Vorsatz |
    Der ehemalige Patient Andreas Frädrich erinnert sich noch recht gut. Etwa eine Woche hat er wegen einer Bauchoperation im Krankenhaus gelegen, dann ging es zum Wochenende nach Hause.

    Die meisten arbeiten ja Freitag Mittag auch nicht mehr, und dann wird's teilweise sehr schwierig, noch einen Arzt zu erreichen, wenn's mal nötig wird, und das war bei mir auch das Problem, dass ich halt spät nachmittags noch auf der Suche war, eine wichtige Frage hatte, und da muss man mal Samstag oder Sonntag eine Kopfschmerztablette oder so nehmen, und das war grässlich.

    So wie dem 30jährigen Berliner geht es vielen Patienten. Eigentlich werden sie zu einer Unzeit heim geschickt. Nämlich genau dann, wenn Ambulanzen und der Hausarzt für sie nicht mehr erreichbar sind. Ein Wissenschaftsteam an der Berliner Charité hat die Daten von 914.000 Patienten ausgewertet. Dazu sahen sich die Experten die Krankengeschichten der letzten fünf Jahre an. Die Projektleiterin Dr. Natascha Nüssler über die Ergebnisse:

    Es werden deutlich über 20 Prozent der Patienten am Freitag entlassen, wenn ich das auf alle sieben Wochentage gleichmäßig verteilen würde, wären es ja so ca. 14 Prozent, und am Freitag sind eben die meisten und Samstag und Sonntag sind die geringste Anzahl an Patienten, die nach Hause gehen. Das geht runter bis 2 Prozent. Das hängt davon ab, wie lange die Patienten im Krankenhaus sind. Je länger sie im Krankenhaus sind, desto seltener werden sie am Wochenende entlassen.

    Das Team hat außerdem untersucht, welche dieser Patienten innerhalb der folgenden 30 Tage abermals im Krankenhaus gelandet sind:

    Der Trend ist überall der gleiche. Wer am Freitag nach Hause gegangen ist, wird überdurchschnittlich häufig wieder stationär aufgenommen. Und wer am Wochenende nach Hause geht, wird am allerseltensten wieder aufgenommen.

    Bei diesen Patienten lag die Todesrate in den 30 darauf folgenden Tagen um ein Viertel niedriger. Warum, darüber gibt es bisher nur Vermutungen. Etwa die, dass der Gesundheitszustand der am Sonntag nach Hause Drängenden schon besser ist als etwa bei den Freitagsabgängen. Freitags ist das Personal darüber hinaus häufig überlastet. Vieles soll schnell noch erledigt werden, alle wollen irgendwie pünktlich ins Wochenende starten. Da kann es zu Behandlungsfehlern und falschen Entscheidungen kommen. Und dann sind die Genesenden oft erst einmal ohne ärztliche Hilfe, warnt Dr. Nüssler:

    Patienten, die am Freitag entlassen werden, die haben ein zu langes Intervall, bis sie erst am Montag zum Hausarzt gehen. Die Schnittstelle zwischen Krankenhaus und ambulanter Versorgung muss verbessert werden. Und wir glauben, dass es eine engere Kooperation geben muss zwischen Krankenhäusern, Hausärzten, möglicherweise auch Anlaufstellen für die ambulante Betreuung am Wochenende.

    Unsere Patienten z. B. bekommen immer bei Entlassung einen vorläufigen Entlassungsbrief mit in die Hand, dass, wenn sie z. B, in ein anderes Krankenhaus gehen und sich dort wegen Problemen behandeln lassen wollen, dass sie dort dem behandelnden Arzt diesen Brief vorlegen können, dass der schon mal Informationen hat was eigentlich bei dem letzten stationären Aufenthalt passiert ist.


    Eine weitere Chance für Verbesserungen: die Patienten nach ihre medizinischen Notwendigkeit zu entlassen, dass hieße also samstags und sonntags genauso häufig wie am Freitag. Auf Nüsslers chirurgischer Station an der Charité wird das schon konsequent praktiziert. Die Patienten sind darüber oft völlig überrascht, weil es ungewöhnlich ist. Niemand macht sich aber allzu große Illusion: dieses Modell ist kaum auf das Gros der Krankenhäuser übertragbar. Besonders bei den kleineren wird es schwierig, die durchgehende Arbeitswoche zu organisieren. Aber auch die Patienten selbst können ihren Entlassungstag beeinflussen.

    Ich glaube auch, dass ein Patient weiter problemlos am Freitag entlassen werden kann, sofern er genau weiß, was er am Wochenende tun muss, wie er sich verhalten muss, wenn er in Probleme gerät, eine Anlaufstelle hat, wenn er fragen hat oder wo er hingehen kann, wenn er sich schlecht fühlt. Das ist das viel entscheidendere als der Entlassungstag. Weil jemand, der schlecht vorbereitet am Wochenende nach Hause geht, der wird auch Probleme haben und viel größere Probleme haben als jemand, der, gut vorbereitet auf die Entlassung, am Freitag nach Hause geht.

    Die großen Krankenhäuser haben eigene, rund um die Uhr besetzte Rettungsstellen, wo sich der Entlassene im Krisenfall wieder vorstellen kann. Wenn das nicht möglich ist, sollte der Patient noch vor der Entlassung mit seinem Stationsarzt durchspielen, wo er sich bei einer Verschlechterung melden kann. Ob beispielsweise eine andere Rettungsstelle in Frage kommt oder welche Notambulanz Dienst hat.