Freitag, 29. März 2024

Archiv

Freiwillige in der Wissenschaft
Das enorme Wissen der Hobby-Ornithologen

Weltweit unterstützen Hunderttausende Freiwillige wissenschaftliche Projekte. Am Berliner Tierstimmenarchiv beispielsweise können Bürger dabei helfen, alte Tonbänder in die Sammlung einzupflegen. Dabei setzt die Institution gezielt auf das Fachwissen der Helfer.

Von Christine Westerhaus | 20.03.2015
    Ein Rotkehlchen, aufgenommen in bayerischen Neuschönau
    Das Berliner Tierstimmenarchiv verfügt über 120.000 Tonaufnahmen. (dpa / picture alliance / Pleul)
    Das Berliner Tierstimmenarchiv, eine einzigartige Sammlung von Tonbandaufnahmen. Allein 1.800 Vogelarten sind hier mit ihren Gesängen und Rufen vertreten, insgesamt sind es über 120.000 Tonaufnahmen. Doch an vielen nagt der Zahn der Zeit, erklärt Karl-Heinz Frommolt, Kustos des Tierstimmenarchivs.
    "Die ältesten Aufnahmen gehen auf das Jahr 1951 zurück und eines der Probleme ist, dass die Magnetbänder nicht dauerhaft sind, dass die zerfallen. Und deswegen ist eine dringende Aufgabe, die Bestände in eine digitale Form zu überführen."
    Viele Tierstimmen sind bereits über eine große Datenbank im Internet abrufbar. Doch es kommt häufiger vor, dass Hobby-Ornithologen ihre privaten Tonbandmitschnitte an das Tierstimmenarchiv übergeben. Seit Ende Januar können Freiwillige dabei helfen, diese in die Sammlung einzupflegen. Derzeit geht es um alte Aufnahmen, die der Ornithologe Erwin Tretzel gemacht hat, ein ehemaliger Zoologieprofessor, dessen Dokumentation leider etwas eigenwillig ist.
    "Hier haben wir für dieses Band mal die spärliche Dokumentation, die vorhanden ist. Dann muss man die Schrift lesen können. Dann kommt hinzu, dass der Herr Tretzel sehr viel mit Abkürzungen gearbeitet hat. Leider können wir Herrn Tretzel nicht mehr fragen. Er ist 2001 verstorben."
    Grafisches Darstellungswerkzeug für die Freiwilligen
    Beim Erfassen der Bänder ist daher Intuition gefragt. Und ein gutes Gehör.
    "Ich habe hier auch gerade die Oberfläche offen, die dem externen Nutzer zur Verfügung stehen wird."
    Auf dem Bildschirm ist ein etwas verwaschen aussehendes Spektrogramm mit wilden Zickzacklinien zu sehen. Dazwischen Platz für schriftliche Vermerke
    "In dem Fall ist es die Aufnahme eines Rotkehlchens. Erinnert ein bisschen an eine Notenschrift, das ganze grafisch dargestellt und man kann sehr genau erkennen, wo der Gesang beginnt und wo er endet. Das ist jetzt eine Amsel. Hier können wir auch eingeben, dass wir die Amsel gehört haben."
    Karl-Heinz Frommolt möchte in seinem Projekt gezielt das Wissen von Freiwilligen anzapfen. Er baut darauf, dass Vogelkenner die Stimmen und Geräusche auf dem Band einwandfrei erkennen können. Die meisten Citizen-Science Plattformen im Internet setzen dagegen eher auf Masse statt auf Klasse. Die Aufgabenstellung ist oft so einfach, dass die Teilnehmer keinerlei Vorkenntnisse benötigen. Und das erklärt, warum Citizen-Science-Projekte derzeit einen regelrechten Boom erfahren, meint Dick Kasperowski, Wissenschaftstheoretiker an der Göteborg Universität.
    "Genau darin liegt das Geheimnis: Dass Forscher sozusagen die kognitive Schwelle in ihren Citizen-Science-Projekten so niedrig wie möglich halten, damit alle mitmachen können."
    Allein auf der Online-Plattform "Zooniverse" haben sich inzwischen 1,3 Millionen Nutzer angemeldet. Dort können sie wahlweise Schnappschüsse aus der Serengeti Wüste nach wilden Tieren durchforsten, auf Videos Fadenwürmer bei der Eiablage beobachten oder Walgesänge bestimmten Arten zuordnen.