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Freiwillige vor

"Nichts ist erfüllender, als gebraucht zu werden": Mit diesem Slogan wirbt das Bundesfamilienministerium für den Bundesfreiwilligendienst. Und gebraucht werden Menschen, die die Jobs der ehemaligen Zivildienstleistenden übernehmen. Die zu finden, ist nicht so leicht.

Von Silvia Stoll | 01.07.2011
    Im Alten- und Pflegeheim "Heywinkel-Haus" in Osnabrück ist es bereits bittere Realität: Der letzte Zivildienstleistende hat Ende März seine Sachen gepackt - nachgerückt ist niemand. Seitdem muss Hausmeister Ingo Wiegleb verstärkt ran:

    "Ding, dong. Guten Tag, Frau Schnieder, ich wollte ihnen einen Kasten Wasser bringen."
    " Das ist nett von ihnen, kann ich gut gebrauchen."
    "Auf Wiedersehen."
    "Auf Wiedersehen, Herr Wiegleb."

    Luise Schnieder ist 88 Jahre alt. Seit fünfeinhalb Jahren wohnt sie in dem Osnabrücker Alten- und Pflegeheim - so manches Mal hat sie schon auf die Hilfe der Zivildienstleistenden zurückgegriffen.

    "Wenn so kleine Reparaturen sind, wenn uns Birnen kaputt gegangen sind, wenn‘s Fernsehen nicht funktioniert, wenn's Radio nicht funktioniert. Sie stehen zu allem zur Verfügung und das fehlt jetzt. Und man mag Herrn Wiegleb nicht so belästigen, dass er gar nicht mehr kann. Er hat wichtigere Aufgaben, als sich mit diesen Kleinigkeiten aufzuhalten."

    Wenn es sich nicht um einen Notfall handelt, wartet die rüstige Heimbewohnerin durchaus so lange, bis sie Besuch bekommt, damit der für sie kleine Dinge erledigen kann.

    Seit 1996 ist Ingo Wiegleb Hausmeister im Heywinkel-Haus, mit zurzeit rund 130 Bewohnern. Durch den Wegfall der Zivis hat er jede Menge Mehrarbeit:

    "Ich muss jetzt typische Tätigkeiten wie das Wasser verteilen, was zweimal in der Woche hier im Haus stattfindet, machen. Kleinigkeiten wie Bilder aufhängen oder Lampen austauschen in den Zimmern. Also ich bin abends schon geschafft, man merkt es, meine Frau merkt es auch und meine Kinder - einfach weil ich fertig bin, durch den hohen Aufwand."

    Um Wiegleb zu entlasten, ist Geschäftsführer Eckhart Kallert selbst aktiv geworden. Übergangsweise hat er sich Hilfe geholt:

    "Indem wir mit dem Arbeitsamt zusammen eine Stelle finanziert haben, jeweils zur Hälfte, die Arbeiten der Zivildienstleistenden abdeckt."

    Doch auf Dauer ist der Einsatz dieses Praktikanten keine Lösung für Eckhart Kallert. Im Heywinkel-Haus gibt es sechs offene Bundesfreiwilligen-Dienst-Stellen, Bewerbungen Fehlanzeige. Da tröstet es ihn auch nicht, dass es landesweit nicht besser aussieht:

    "Interessant in diesem Zusammenhang ist die Zahl des Landesverbandes der Diakonie, wonach für 310 gemeldete Stellen bisher 27 Bewerbungen vorliegen. Das heißt, die Stellen sind noch nicht besetzt, sondern lediglich Bewerber sind da."

    Lothar Wehleit ist Schulleiter am Ratsgymnasium in Osnabrück. Er hat eine Erklärung für das fehlenden Interesse am neuen Freiwilligendienst:

    "Die jungen Leute, die Schulen und deshalb dort die Verantwortlichen in den Schulen sind da nicht ausreichend informiert und vorbereitet worden. Es gab keine Einrichtung, die in besonderer Art und Weise hier Werbung gemacht hat oder Informationsveranstaltungen überhaupt angeboten hat."

    Gut 200 Abiturienten haben das Ratsgymnasium in diesem Jahr verlassen. Dass sich einer von ihnen nach der Schule nun direkt für den Freiwilligendienst entschieden hätte, kann Wehleit nicht bestätigen. Über das Thema Bundesfreiwilligendienst sei eher sporadisch gesprochen worden - das macht also wenig Hoffnung auf einen künftigen Anstieg:

    "Also, im Laufe der nächsten Wochen und Monate habe ich da wenig Hoffnung, dass es da eine Selbstregulation gibt."

    Um dem entgegenzusteuern, tourt derzeit ein Info-Bus der Bundesregierung durch ganz Deutschland. Vor allem werden Orte an der Küste angesteuert. So auch Cuxhaven an der Nordsee. Mit dabei Walter Keim. Er ist Regionalbetreuer in Cuxhaven - also in dieser Region für den Bundesfreiwilligendienst zuständig:

    "Wir gehen meistens im Rahmen einer Einladung auf die Menschen zu. Schulen melden sich bei uns oder bei meinen Kollegen bundesweit und dann werden Termine gemacht. Alle Schulen, das ist nicht leistbar. Wir werden uns immer daran orientieren müssen, wo unser Klientel sitzt, und zwar in den Abschlussklassen. Leider kann ich ihnen momentan keine konkreten Zahlen nennen. Wir sind im Generalumbruch."