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Freiwillige vor

Freiwillige vor - nach diesem Motto wird in den USA seit über 50 Jahren das "Corporate Volunteering" praktiziert. Erfolgreiche Unternehmen sollen auch an der Lösung gesellschaftlicher Probleme mitwirken: mit Spenden, aber auch durch den Einsatz von Mitarbeitern, die für soziale Projekte freigestellt werden. Diese Form von Freiwilligenarbeit steckt hierzulande noch in den Kinderschuhen. Aber man findet mittlerweile durchaus auch deutsche Unternehmen, die nicht nur durch Geld- oder Sachspenden soziales Gewissen zeigen, sondern die Idee des "Corporate Volunteering" verwirklichen.

Von Birgit Fenzel |
    Hilfe, die Anzugmännchen kommen. Dieser Stoßseufzer war in jüngster Zeit wohl häufiger in einem der Münchner Sozialvereine zu hören, in die die Allianz ihre angehenden Führungskräfte ehrenamtlich geschickt hat. Die Freiwilligen sind zwar hoch motiviert, aber häufig overdresst. In der Zentrale eines Versicherungskonzerns herrscht halt eine andere Kleiderordnung als in einem kleinen Verein, der sich um die Integration sozialer Randgruppen kümmert. Doch dieser Clash bei der Kleiderfrage gehört eigentlich schon zum Konzept der Aktion und ist überdies auch schnell überwunden, sagt Allianzsprecher Nicolai Tewes.

    " Das Spannende ist in dem Projekt, dass viele Kollegen zum ersten Mal in ein solches Umfeld kommen. Und wenn sie dann dort zum ersten mal mit Anzug und Krawatte antreten ist die Kleidung erst mal ein Schutz, weil man nicht weiß, was wird dort erwartet. Und das ändert sich dann eben sehr schnell und beim zweiten Mal kommen sie in Jeans und diese Scheu ist abgelegt, das merkt man auf beiden Seiten, dann. Und das ist schon der erste Schritt, der erste Gewinn, den wir in diesen Projekten sehen, dass Menschen überhaupt aufeinander zugehen können, die vorher überhaupt nichts miteinander zu tun hatten. "

    Der Versicherungskonzern verstehe sich in guter alter Tradition als Dienstleister. Und Dienstleistung habe eben auch immer mit zwischenmenschlichem Kontakt zu tun. Vertrauen sei dabei ein Stichwort, Verantwortung ein anderes. Doch soziale Verantwortung sei vielen potenziellen Leistungsträgern nicht unbedingt in die Wiege gelegt worden, meint der Psychologe Richard Hörtlackner, der als Konzernbeauftragter für die Weiterentwicklung von Führungskräften das Projekt betreut. Die Aktion Tatsachen biete da quasi Nachhilfe in Herzensangelegenheiten. Hörtlackner:

    " Ist ja mehr eine Herzgeschichte, die da passiert. Der klassische High Potential kommt ja nach Ein- oder Zweifachstudium hier rein, macht noch seinen Doktortitel und kommt in ein Förderprogramm und während seines ganzen Weges, bis her hier angelangt ist, hat er ja nur wissenschaftlich gearbeitet und plötzlich wird er damit konfrontiert, dass er seine Emotionen für die Arbeit einsetzen muss, während er hier überwiegend als Fachkraft überlegt handelt und Strategien entwickelt, Zahlenreihen kontrolliert. Und dort in den sozialen Projekten muss er als Mensch agieren, muss Emotionen aufnehmen, muss mit den Emotionen umgehen, dass ist der große Wandel, der passiert."

    Seit Dezember 2003 wurden über 60 Allianz-Mitarbeiter an 16 soziale Träger im Großraum München vermittelt. Sie haben Kindergärten aufgebaut, Wohnheime aufgemöbelt, Vereinsfinanzen auf Vordermann gebracht oder Kinderbibliotheken gegründet. Allianzmanager Oliver Schneider gestaltet derzeit mit Jugendlichen die Homepage ihrer Begegnungsstätte in Johanneskirchen neu. Und hat dabei sein Herz für Kinder entdeckt:

    " Es ist einfach schön zu sehen, wie der kleine afghanische Flüchtlingsjunge, der sich ganz am Anfang kaum getraut hat mal ein Wort zu sagen, wenn der gegen Ende des Projekts so weit ist, dass er gerne auf einem Blatt Papier den einen oder anderen Satz schreibt. "

    Anders als viele ihrer Kollegen hat Monika Simmeth schon früher Erfahrungen mit Jugendlichen gesammelt: in ihrem Sportverein, als Aufwärmtrainerin der Ringerjugend. Für ihr Ehrenamt hat sie sich A24 ausgesucht - einen kleinen e.V. im Münchner Süden, der schwer vermittelbare Jugendliche für Werkstatt und Bürotätigkeiten ausbildet. Gemeinsam mit zwei weiteren Allianzkollegen unterstützt sie den Verein bei der Party-Planung zum 25. Jubiläum:

    " Wir sind mit im Boot und sollen mit Unterstützung der Jugendlichen diese Feier organisieren. Hauptfokus ist die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen."

    Im Sportverein war das anders, meint sie. Da seien die Jugendlichen bereits motiviert gewesen - was man von den schwer vermittelbaren Youngstern in der Werkstatt nicht unbedingt behaupten könne. Und gerade das macht für sie den Reiz ihres Ehrenamtes aus:

    " Es ist supersinnvoll. Es bringt insofern sehr viel, weil man einfach auch merkt, dass man auch in Sachen Mitarbeiterführung andere Motivationen haben kann. Dass nicht nur immer die Sache im Vordergrund ist, sondern auch die Menschen. Man kümmert sich erstmal um den Menschen, wenn der in Ordnung ist, dann geht die Arbeit von selbst."

    Genau darauf kommt es ihr an. Ob ihr das Volunteering tatsächlich einen Karrierekick verschaffen wird, weiß sie nicht und findet es eigentlich auch nicht so wichtig. Und so sehen es die meisten, meint der Haus-Psychologe der Allianz.

    " Ich erlebe das nicht, dass die sagen, in erster Linie geht es mir darum möglichst hoch aufzusteigen Ich mach das jetzt seit drei Jahren und hab 60, 70 Leute da betreut und da ist vielleicht einer, der in die Richtung geht. Der hat gesagt: in erster Linie ist für mich wichtig die Karriere - das war wirklich einer. Bei den anderen erlebe ich mehr, so den Wert zu sehen, ich gewinne für mich etwas und kann es in meiner Arbeit umsetzen, ich wachse selber. Aber nicht so: Wo ist die Einbahnstraße nach oben."

    Denn den eigentlichen Kick gab's ja schließlich schon im Ehrenamt, als es plötzlich warm wurde ums Herz.