Ein Samstagnachmittag im Herbst. Draußen ist es noch warm, der Himmel sonnig und wolkenlos. In der ehemaligen Paketzustellbasis der Bonner Innenstadt ist alles für eine große Feier vorbereitet: Im Innenhof stehen Bierzeltgarnituren, Sonnenschirme und mehrere Grills, in einer der insgesamt drei großen Lagerhallen ist ein Buffet aufgebaut. Es ist Ehrenamtsfest im Zentrallager Sachspenden Bonn, oder kurz: im ZeSaBo, das in diesem Posthof seit März 2016 untergebracht ist. Auf über 1.200 m² werden die Spenden der Bonner Bevölkerung gesammelt, die für Bedürftige hier abgegeben werden: Kleider, Küchenutensilien, Schulsachen, Hygieneartikel.
Mehr als 600 ehrenamtliche Helfer sind im ZeSaBo registriert - sie nehmen die Spenden an, sichten, prüfen und sortieren sie, lagern alles ein und verteilen die Waren. Auch Verwaltung, Buchhaltung oder Presse- und Öffentlichkeitsarbeit übernehmen die Ehrenamtlichen. Auf diese Weise kamen bisher mehr als 10.000 Arbeitsstunden zusammen. Insgesamt 100.000 Warenstücke wurden seit der Eröffnung des Zentrallagers Sachspenden am 1. März 2016 bereits ausgegeben.
"Das hier ist ein Logistikzentrum"
Jan Erik Meyer koordiniert die Arbeit der Ehrenamtlichen - hauptamtlich. Auf dem Fest führt er Besucher durch die Hallen.
"Das Zentrallager Sachspenden ist ja keine Ausgabestelle an die Hilfsbedürftigen direkt, sondern wir brauchen immer diese Mittler. Das hier ist ein Logistikzentrum, keine Kleiderkammer, auch nicht eine Kleiderstube."
Diese Mittler werden Besteller genannt. Als Besteller können sich alle diejenigen registrieren lassen, die sich haupt- oder ehrenamtlich um hilfsbedürftige Menschen kümmern. Sie stellen fest, was ihre Schützlinge benötigen und versuchen, diesen Bedarf aus dem Bestand des Zentrallagers Sachspenden zu decken. 300 Besteller gibt es derzeit, jede Woche kommen neue dazu.
"Das ist sozusagen unser Kernaufgabengebiet, weil wir uns gesagt haben, wir kümmern uns um die Grundversorgung, nicht 'nice to have', sondern wir machen die Grundversorgung."
Einer der Besucher ist Bonns Stadtdechant Wilfried Schumacher.
Meyer: "Wir geben zurzeit um die 3.000 Artikel pro Woche aus, und trotzdem, trotzdem sieht das so aus!"
Schumacher: "Ich kann nur staunen!"
Meyer: "Ist das unglaublich? Und das ist nur Spendenbereitschaft der Bonner Bevölkerung."
Schumacher: "Und die Nachfrage ist auch entsprechend hoch?"
Meyer: "Nachdem wir geöffnet haben für alle Hilfsbedürftigen, geht das durch die Decke. Wir haben allein zwischen März und heute knapp 100 neue Besteller registriert. Jetzt sind wir bei 300."
Schumacher: "Ich glaube, dass das auch eine weise Entscheidung war, es zu öffnen für alle Hilfsbedürftigen. Also nicht mehr zu sortieren nach bestimmten Kriterien, sondern sagen: Jeder, der Hilfe nötig hat."
Schumacher: "Ich kann nur staunen!"
Meyer: "Ist das unglaublich? Und das ist nur Spendenbereitschaft der Bonner Bevölkerung."
Schumacher: "Und die Nachfrage ist auch entsprechend hoch?"
Meyer: "Nachdem wir geöffnet haben für alle Hilfsbedürftigen, geht das durch die Decke. Wir haben allein zwischen März und heute knapp 100 neue Besteller registriert. Jetzt sind wir bei 300."
Schumacher: "Ich glaube, dass das auch eine weise Entscheidung war, es zu öffnen für alle Hilfsbedürftigen. Also nicht mehr zu sortieren nach bestimmten Kriterien, sondern sagen: Jeder, der Hilfe nötig hat."
Große Aufgaben durch die Flüchtlingskrise
Offen für alle Hilfsbedürftigen war die Initiative nicht immer. Den Anfang machte die Hilfe für Flüchtlinge. Koordinator Jan Erik Meyer erinnert sich daran, wie im Sommer 2015 alles begann. Er steht in der Lagerhalle I des Zentrallagers. Bevor er erzählt, räumt er einige Kleiderstapel zur Seite und setzt sich an einen der großen Sortiertische:
"Ich war damals selbstständig, und als Selbstständiger habe ich ein bisschen Zeit übrig gehabt und hab gedacht, ja, Flüchtlingshilfe, ich glaub, da wird jede helfende Hand gebraucht, geh mal hin zu einem Info-Abend, mal gucken wie das so aussieht, wo man sich einbringen kann, und als gelernter Schriftsetzer, dachte ich mir, krieg ich das doch irgendwie alles hin. Das machen wir zwei Wochen, und mir wird klar, das kannst du knicken, das ist nicht mal eben ein bisschen Ehrenamt, das ist ein Fulltime-Job. Und dann habe ich die eigentliche Idee gehabt, Petrus vorgeschlagen: Passt auf, liebe Leute - also, zwei Monate habe ich Rücklagen, da finanziere ich mich, aber ich arbeite Vollzeit für euch und wenn euch das gefällt, ja, dann müsst ihr einfach hinterher mal das Portemonnaie aufmachen. Und das hat funktioniert."
"Es kamen wirklich innerhalb von mehreren Wochen über 1.000 Flüchtlinge auf zwei Quadratkilometern, ich war heillos überfordert, und mir war klar, dass ich als Hauptamtliche des Erzbistums Köln, als Pastoralreferentin, das werde nie stemmen können, nie", erinnert sich die Pastoralreferentin Ingeborg Rathofer. "Ich wusste aber von Anfang an, ich kann mir jetzt nicht irgendeinen Ehrenamtlichen oder mehrere Ehrenamtliche zusammensuchen und die dann koordinieren, sondern ich brauche wirklich einen Koordinator, mit dem ich ganz eng Schulter an Schulter arbeite. Und ich muss sagen, unser Modell, dass das eine optimale Lösung ist."
Engagement hat nachgelassen
Als in der Flüchtlingshilfe nicht mehr so viele Ehrenamtliche gebraucht wurden, tauchte die Frage auf: Wohin mit dem Engagement? Die Entscheidung, den Kreis der Empfänger auf alle Hilfsbedürftigen zu erweitern, war auch ein Politikum. Viele Entwicklungspartner sind beteiligt: Unentgeltlich untergebracht ist das ZeSaBo in einer Liegenschaft der Deutschen Post DHL, unterstützt wird der Betrieb durch das Deutsche Rote Kreuz, die Personalkosten für den Ehrenamtskoordinator trägt die katholische Gemeinde Sankt Petrus, und die Unterhaltskosten für die Liegenschaft werden von der Bundesstadt Bonn übernommen. Dort jedoch gibt es unterschiedliche Geldtöpfe für Flüchtlingshilfe und Soziales.
In Bonn wie andernorts hat das Engagement in der Flüchtlingsarbeit nachgelassen, es müssen dauerhaft neue Wege gefunden werden, um die Ehrenamtlichen zu halten. Ehrenamtskoordination bedeutet Management und Logistik fürs Sammeln und Verteilen der Spenden, vor allem aber ist es Netzwerkarbeit in die Wirtschaft hinein. Lokale Unternehmen unterstützen das Projekt durch Sponsoring. In Meyer haben sie einen festen Ansprechpartner.
"Wenn du den hauptamtlichen Koordinator rausziehst aus den Projekten, dann hast du dieses Gedümpel wieder von Klein- oder Kleinstgruppen und kriegst es nicht mehr hin, wirklich große Projekte zu stemmen", sagt Meyer.
Kirche fördert oft nur kurzfristig
Ob sich so große Projekte stemmen lassen, ist allerdings auch eine Geldfrage. Viele Initiativen werden von der Kirche angestoßen, laufen nach ein oder zwei Jahren aber einfach wieder aus. Es müsse sich innerhalb der Kirche etwas ändern, meint Ingeborg Rathofer:
"Ich würde mir schon wünschen, dass wir in der Kirche auch gerade von oberer Stelle aus Projekte initiieren, die nachhaltig und langanhaltend fortgeführt werden. Wir können als Kirche uns eigentlich gar nicht erlauben, so viel Geld in das Ehrenamt reinzustecken, und dann plötzlich ist das Projekt beendet"
So viel Vertrauen in die Eigenverantwortung der Helfer wie in Bonn ist zudem nicht selbstverständlich in der katholischen Kirche.
"Jetzt haben wir ja in Sankt Petrus - das ist sicherlich nicht überall - eine Pfarrei, die sehr viel Freiraum gibt, das auch auszuprobieren, ohne vorher abzuprüfen, wo kommst du her, was machst du", sagt Rathofer. "Wir haben in der Pfarrei auch keine Gremien, die ständig nachfragen, was machen die Ehrenamtlichen da draußen und jedes Mal das Ganze in den Pfarrgemeinderat eingeben, um sich ständig zu vergewissern, wo ist Kirche in welchen Punkten hier im Pfarrgemeindegebiet unterwegs."
Auf dem Ehrenamtsfest im ZeSaBo ist es mittlerweile Abend geworden. Ehrenamtler und Gäste haben sich in Lagerhalle I versammelt, um das Fest mit Live-Musik ausklingen zu lassen. Viele Ehrenamtler aus der Anfangszeit der großen Flüchtlingswelle widmen sich inzwischen anderen Tätigkeiten, das Engagement hat stark nachgelassen. Aber es kann gelingen, die Engagierten zu halten, wenn sie erfahren, dass sie gebraucht werden. Der harte Kern der Bonner Helfer feiert bis tief in die Nacht.