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Freiwilligendienste sollen Zivlidienst teilweise ersetzen

Probst: Im Zusammenhang mit den sozialen Reformen muss man wohl auch Pläne, Überlegungen der Bundesregierung sehen, über die schon längere Zeit hin und wieder geredet wird, die aber inzwischen offenbar konkrete Gestalt angenommen haben. Wie zu hören ist, soll der zivile Ersatzdienst als Ersatzdienst eben für die Wehrpflicht bis zum Jahre 2008 abgeschafft werden. Am Telefon ist Kerstin Griese, SPD-Abgeordnete im Bundestag und da Vorsitzende im zuständigen Ausschuss. Frau Griese, guten Tag.

    Griese: Guten Tag, Herr Probst.

    Probst: Fest zu stehen scheint auf jeden Fall, der Zivildienst wird im Herbst angepasst an die Wehrpflicht, verkürzt um einen Monat. Das ist Beschlusslage, ja?

    Griese: Es gibt noch keine Beschlusslage. Wir beschäftigen uns zur Zeit im Parlament und auch das Bundesfamilienministerium, das ja für den Zivildienst zuständig ist, mit der Zukunft des Zivildienstes und der Zukunft des Freiwilligenengagements. Ein Vorschlag, den wir von Seiten des Parlaments dort gemacht haben, und am Donnerstag wird ja eine Kommission ihre Vorschläge vorstellen, ist, dass wir der Gerechtigkeit wegen eine Angleichung bekommen, dass also der Zivildienst und der Wehrdienst, die Bundeswehr, gleich lange dauern. Das hieße dann, dass beide neun Monate dauern würden. Heute müssen junge Männer, die zur Bundeswehr gehen, zehn Monate dienen, und im Zivildienst neun Monate.

    Probst: Richtig. Ob es nun im Herbst kommt oder etwas später, ist ja auch gleich, die Anpassung ist notwendig, klar, Gleichstellung, aber auch das hätte ja dann schon Auswirkungen auf den Bereich Pflege.

    Griese: Es hat sicherlich Auswirkungen darauf, wie es mit dem Zivildienst weiter geht. Wir haben zur Zeit etwa 95.000 Zivildienstleistende in Deutschland, wir haben sehr viel mehr Plätze. Das hängt ja auch damit zusammen, dass nicht ein Platz einem Kalenderjahr entspricht und auch damit, dass viele junge Männer sich ja aussuchen, in welchem Bereich sie das machen wollen. Es wird sicherlich Veränderung geben und wir haben ja auch eine Diskussion, wie es mit der Wehrpflicht weiter geht. Das ist allerdings noch nicht entschieden. Also, wir als SPD diskutieren das in diesem Jahr sehr intensiv. Wenn die Wehrpflicht wegfällt, wofür vieles spricht, was aber, um es noch einmal deutlich zu sagen, noch nicht entschieden ist, dann brauchen wir sicherlich eine Übergangszeit, die meines Erachtens sicherlich bis 2010 dauern müsste, um auch im Bereich, in dem heute Zivildienstleistende sind, Umstellungen zu ermöglichen.

    Probst: Ja, aber wie auch immer, Frau Griese, auch wenn ja erst einmal diese Anpassung nur kommt, es wird auf jeden Fall eine Lücke entstehen, was die Pflege angeht, denn es gibt ja Organisationen, Verbände, die sagen jetzt, ohne die Zivis geht es nicht.

    Griese: Ja, aber das hängt nicht so sehr mit den neun oder zehn Monaten zusammen. Wir haben als Parlamentarier gesagt, eine noch stärkere Verkürzung des Zivildienstes, das wäre in der Tat nicht sachgerecht, damit können die Träger dann nicht mehr arbeiten. Sie müssen ja heute schon gucken, weil es eben kein Kalenderjahr ist, wie sie den Anschluss gewährleisten. Ich bin der Ansicht, dass sie sehr viel mehr auf die Freiwilligendienste setzen müssen. Das Interesse an diesen Freiwilligendiensten, die ja im sozialen Bereich sind, im ökologischen, im kulturellen, im sportlichen Bereich kann man es inzwischen auch machen, ist ja groß. Das machen allerdings zur Zeit hauptsächlich die jungen Frauen, weil die Männer ja beim Zivildienst oder bei der Bundeswehr sind. Und ich glaube, da müssen wir etwas verstärken, dass diese Freiwilligendienste noch mehr nachgefragt werden.

    Probst: Freiwillige Dienste, was man aber braucht, das ist im Bereich der Pflege und ich bleibe bei diesem Aspekt, Frau Griese, da braucht man Fachkräfte.

    Griese: Zivildienstleistende dürfen ja auch heute nicht Fachkräfte ersetzen. Zivildienstleistende sind nicht dazu da, feste Jobs zu ersetzen, sondern sie sind eine Hilfe, eine Unterstützung. Ich stimme Ihnen sehr zu, dass wir im Bereich der Pflege mehr Fachkräfte brauchen, dass wir da mehr Menschen brauchen, die dort arbeiten. Wir haben das zum Beispiel mit der Verbesserung der Attraktivität der Altenpflegeausbildung auch versucht, aber Zivildienstleistende sind nicht dazu da, Jobs zu ersetzen. Ich weiß, und die Wohlfahrtsverbände betonen das ja auch, dass Zivildienstleistende im Bereich der Schwerstbehinderten, im Bereich der Fahrdienste, der Verpflegung, der Versorgung älterer, behinderter Menschen sehr viel tun, und auch da ist es ja interessant, dass die Wohlfahrtsverbände jetzt selber sagen, wenn es eine langfristige Umstellung geben wird, wollen auch wir etwas dafür tun, dass mehr Menschen freiwillig einen solchen Dienst machen. Wenn man mit jungen Menschen, meistens jungen Männern spricht, die diesen Dienst gemacht haben, ist das für die alle ja eine ganz wichtige Lebenserfahrung.

    Probst: Richtig.

    Griese: Ich glaube, das sollte auch in unserer Gesellschaft sich zu etwas entwickeln, was jeder im Leben einmal macht, dass er ein freiwilliges Jahr, ein halbes Jahr einen Einsatz in der Pflege, im Altenheim, in einem sozialen Bereich macht. Meine Zielvorstellung wäre, dass es so etwas wie ein gesellschaftliches Bewusstsein gibt, dass jeder Mensch in einer Phase seines Lebens sich freiwillig engagiert. Ich bin nicht dafür, das zur Pflicht zu machen. In der Pflege werden wir immer mehr Menschen brauchen.

    Probst: Richtig, und man wird bestimmt Leute mit dem Appell erreichen, aber wir sprechen ja hier von einer Größenordnung von bis zu 80.000. Bis zu 120.000 Zivildienstleistende haben wir und die Wohlfahrtsorganisationen sprechen von bis zu 80.000 Arbeitsplätzen, die sie da besetzen müssen.

    Griese: Ja, also, wir haben ja jetzt 95.000 Zivildienstleistende in Deutschland. Wir haben 15.000, die ein freiwilliges Jahr machen. Da bin ich, wie gesagt, dafür, dass wir diese Zahl sehr stark steigern müssen und dass dort sicherlich auch Anreize gegeben werden müssen, zum Beispiel, dass es als Praktikum anerkannt wird. Also ich sage einmal ein Beispiel, wenn jemand Medizin studieren will oder Erzieherin oder Erzieher werden möchte, all das sind Bereiche, wo man ja auch mit der Verstärkung der Anerkennung eines Freiwilligendienstes mehr Menschen dazu motivieren kann, das zu machen. Sicherlich heißt es aber auch, dass es auch mehr reguläre Jobs im Bereich der Pflege geben muss.

    Probst: Das bedeutet dann natürlich wiederum Kosten, zusätzliche Kosten, die die Versicherten zu tragen haben?

    Griese: Das bedeutet sicherlich auch Kosten, aber das kann man im Zusammenhang, wie es mit dem Zivildienst weiter geht, so ja nicht eins zu eins berechnen, weil der Zivildienst ja nicht die Fachkräfte ersetzen kann.

    Probst: Aber in der Praxis ja oft tut.

    Griese: In der Praxis machen sie Hilfsdienste, die ganz unersetzlich und ganz wichtig sind. Ich bin dafür, dass man zum Beispiel überlegt, wie man auch Menschen mit geringer qualifizierten Schulabschlüssen dazu bewegen kann, eine Ausbildung in diesem Bereich zu machen, oder einen Einsatz in diesem Pflegebereich machen kann. Wir haben heute wenig Angebote für geringer Qualifizierte in diesem Bereichen, da sollte sich sicherlich etwas verändern, dass man da Ausbildungsberufe schafft, dass man auch da kürzere Ausbildungen ermöglicht, und das muss sicherlich immer in Kombination mit Fachkräften, mit qualifizierten Kräften dann im Pflegebereich ermöglicht werden.

    Probst: Frau Griese, wenn es darauf hinaus laufen sollte, dass eben bis zum Jahre 2008, diese Zahl schwirrt halt herum, der Zivildienst entfallen soll, es gibt ja jetzt einen Betrag von, ich glaube, deutlich über 800 Millionen, die im Haushalt für den Zivildienst zur Verfügung stehen. Kann man denn davon ausgehen, dass die zweckdienlich dann verwendet werden könnten?

    Griese: Ja, das ist eine Forderung, die ich sehr unterstütze. Also, wir haben heute in diesem Jahr 2004 843 Millionen Euro im Bundeshaushalt für den Zivildienst. Und wenn ich davon gesprochen habe, dass wir einen langfristigen Übergang brauchen, falls denn die Wehrpflicht wegfällt, heißt das für mich auch, dass dieses Geld nicht einfach eingespart wird, sondern dieses Geld dafür verwandt werden muss, um mehr Plätze im Bereich der freiwilligen Dienste aufzubauen, die ja dann in vielen Bereichen sein können. Sie haben die Pflege als einen ganz wichtigen angesprochen, aber eben auch im ökologischen, kulturellen, sportlichen Bereich. Der soziale Bereich ist und bleibt der größte Bereich, in dem auch viele gerne dieses Jahr machen wollen, sei es als Zivildienst oder als freiwilliges Engagement, weil es eben auch so eine wichtige Lebenserfahrung ist. Fakt ist aber, diese 843 Millionen dürfen nicht einfach im Haushalt verschwinden, sondern davon muss in einem Übergang etwas für die freiwilligen Dienste ermöglicht werden. Eine weitere Idee, wenn ich das noch ergänzen darf, wäre auch eine Stiftung für diese freiwilligen Dienste zu schaffen, aus der dann weitere Projekte finanziert werden können.

    Probst: Ja. Danke schön. Das war Kerstin Griese, SPD-Abgeordnete in den Informationen am Mittag im Deutschlandfunk.