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Freizeitpark statt Landebahn

Berlin-Tempelhof war der erste Verkehrsflughafen der Welt. Vor fünf Jahren wurde der Flugbetrieb endgültig eingestellt. Heute zieht das Gelände, größer als der Central Park in New York, täglich 30.000 Besucher an.

Von Wolfgang Martin Hamdorf | 03.11.2013
    Horn, Tuba, Trompete und Posaune: Ein Bläserensemble zieht über die ehemalige Landebahn. Aus der Ferne antworten andere Blasinstrumente. Der musikalische Dialog verdeutlicht die Dimension des Geländes: Das Tempelhofer Feld ist eine riesige runde Fläche im Zentrum Berlins. Vier Millionen Quadratmeter groß, eine Startbahn, eine Landebahn, Grünflächen und ein überdimensional großes Gebäude aus Kalk-Sandsteinplatten.

    Im klaren Herbstsonnenlicht erinnert das Leben auf der Freifläche an ein Gemälde von Bruegel. Menschen jeglichen Alltags bewegen sich über die Pisten, das Rollfeld und die Grünanlagen, gelbes Laub fällt von den Bäumen und wo einst die Flugzeuge starteten und landeten, steigen heute die Drachen in die Höhe. Zwei junge Frauen fahren mit einem Baby im Kinderwagen über die Startbahn und singen gegen den Wind an:

    "Wind, Wind, Wind, Wind lustiger Gesell, Wind, Wind lustiger Gesell, wehst in alle Ecken, willst uns wohl erschrecken, Wind, Wind, Wind, Wind lustiger Gesell ..."

    Viele von denen, die heute im Sonnenschein über das Rollfeld laufen, sind hier selbst noch abgeflogen. In der Erinnerung klingt der Anflug der Passagiermaschinen knapp über Neuköllner Mietskasernen und die Ankunft in dem überdimensionierten Empfangsgebäude fast wie ein Kinoerlebnis. Maria kommt aus Spanien und ist hier 2004 gelandet:

    "Ich kam von der Kunstmesse Art Basel zurück mit 20 Menschen in der Maschine, und das war eine Propellermaschine. Es war ganz mini und wir sind dann im Feld gelandet, mittendrin eigentlich. Wir mussten dann laufen. Wie haben dann eben unser Köfferchen geholt in der großen Halle und dann war ich schon erstaunt, wie groß Tempelhof war und wie klein die Maschine war. Ich wusste natürlich gar nicht, dass ein paar Jahre später der Tempelhof-Flughafen dann geschlossen wird."

    Keine Autos, kein Verkehr
    Auch heute kann man auf dem Gelände viel erleben. Auf dem Beton der Start- und Landepisten sind die Markierungen für die Piloten noch aufgemalt, aber mittlerweile bewegen sich hier ganz andere Fahrzeuge: große Skateboards von einem riesigen Flugschirm gezogen, und auch andere Rollbretter. Eine Ecke ist den Modellautos vorbehalten, oder kleinen Motormodellflugzeugen, Einige versuchen ihr Glück mit Segways, andere treten einfach in die Pedale. Platz ist für alle da. Maria:

    "Da sind keine Autos und kein Verkehr, eigentlich, dann sind so viele Familien und Kinder und das ist total lustig und schön. Aber es ist wirklich kilometerweit und man fühlt sich richtig, richtig toll und das ist einzigartig in der Stadt."

    Der Himmel ist voller bunter Drachen und vom Tempelhofer Feld aus hat man einen ungewohnten Rundblick auf ganz Berlin: im Osten der Fernsehturm am Alexanderplatz oder ganz nah am Flughafen die 2005 eröffnete Sehitlik Moschee in klassischer osmanischer Architektur, im Westen Ullsteinhaus und Rathaus Schöneberg, in der Ferne der Teufelsberg mit seiner zerfallenden Abhörstation aus den Tagen des Kalten Krieges.

    Es gibt Kunstobjekte, etwa eine Vogelscheuche, die ihre Arme dem Flughafengebäude entgegenstreckt, Objekte, die sich flirrend im Herbstwind bewegen und kleine Experimentierfelder für alternativen Gartenbau. Über dem Rasen steigt Rauch auf. Auch in den milden Oktobertagen wird in den ausgewiesenen Flächen noch gegrillt. Bei starkem Wind muss man vorsorgen, erzählt Jürgen aus Franken:

    "Empfehlenswert ist irgendeine Form von Windschutz, ich nehme immer so eine Isomatte mit, so ein paar Stöcke, die stelle ich dann auf, sonst dauert das Grillen viel zu lang."

    Aber trotz Wind und Wetter ist das Grillen auf dem kahlen Flugfeld ein ganz besonderes Erlebnis. Jürgen:

    "Es ist eine Steppe in der Großstadt. Wenn man sich dorthin setzt, zum Grillen, hat man einen unglaublich weiten Blick und das finde ich einmalig, das kenne ich aus anderen Großstädten nicht."

    Diskussionen über weitere Nutzung
    Auf dem Tempelhofer Feld gibt es Raum für Bewegung und für Kreativität. Es darf experimentiert werden. Aber gerade einmal fünf Kilometer vom Brandenburger Tor entfernt, weckt das Gelände auch Begehrlichkeiten. Der Berliner Senat möchte die Ränder bebauen, Gewerbeflächen und 4700 Wohnungen sind geplant und eine zentrale Landesbibliothek, deren Kosten jetzt schon auf 270 Millionen angelegt sind. Es gibt Diskussionen und es gibt Protest. Felix Herzog ist Vorstandsmitglied der "Demokratischen Initiative 100 % Tempelhofer Feld", die ein Referendum gegen die Bebauung der Flughafen Freifläche organisiert. Ein Gesetz soll den Status quo des Geländes sichern. Felix Herzog:

    "Welcher Stadt passiert es schon, dass mitten in der Innenstadt ein so großer Freiraum geschenkt wird, quasi, der kompletten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird, sozusagen. Und das Attraktive ist auch gar nicht, dass das unbedingt ein Park ist, das ist einfach eine freie Fläche, wo Naturschutz vereinbar ist, mit der Nutzung an den Rändern für unterschiedliche Projekte. Unser Gesetzesentwurf sieht auch vor, mehr Sitzgelegenheiten zu installieren, mehr sanitäre Einrichtungen und auch ein bisschen Beleuchtung und das hier weiterhin Raum ist für Projekte."

    Eine Ausstellung im Flughafengebäude zeigt die Bebauungspläne. Auf einem Modell sind die neuen Gebäude an den Rändern schon eingesetzt. Der Sprecher der vom Berliner Senat gegründeten Tempelhof Projekt GmbH Martin Pallgen:

    "Es geht nicht um eine Zerstörung dieses Areals, sondern im Grunde genommen, wenn man es jetzt einmal ein bisschen pathetisch ausdrücken möchte, des Tempelhofer Feldes auch weiter zu schreiben. Weil dieser Ort auch immer ein Ort des Wandels gewesen ist und warum sollten wir jetzt 2013 den Wandel auf einmal stoppen und sozusagen 'das war´s jetzt'. Stadt verändert sich, Menschen verändern sich, Räume verändern sich, und wenn wir die Möglichkeit haben auf diesem Areal, das so ein extraordinäres ist, etwas Neues zu schaffen, neue Räume zu schaffen, neue Möglichkeiten, auch der Kommunikation zu schaffen, dann finde ich, dass das ein guter Ansatz ist.

    Und hier geht es nicht um Luxusbewohnung, hier geht es nicht um 'Gated Communities'. Hier geht es nicht darum, für die 'Happy Few' dieser Gesellschaft Räume zu schaffen, sondern der Anspruch hier ist auch nicht umsonst, wie es heißt Tempelhofer Freiheit für alle eine lebenswerte Stadt zu schaffen, lebenswerten Raum inmitten der Stadt zu haben."

    Das Flughafengebäude selbst erstreckt sich im Halbkreis über mehr als eineinhalb Kilometer am Rollfeld entlang. Europas größtes Baudenkmal wirkt von außen wie eine dunkle moderne Festungsanlage oder eine gigantische Fabrik. Ab 1933 richtete die SS am Tempelhofer Feld ihr erstes Konzentrationslager ein, ab 1938 wurden Zwangsarbeiter untergebracht. Der Flughafen ist ein Stück faschistischer Monumentalarchitektur, das ausländische Fluggäste und Berlin Besucher für das "Dritte Reich" begeistern sollte, aber nicht mehr vor Kriegsbeginn fertiggestellt wurde.

    Kreative und innovative Nutzung
    Im Kalten Krieg wurde der monumentale Bau zum Symbol des Westberliner Überlebenswillens, 1948, während der Berlin-Blockade, wurden über Tempelhof die Westsektoren mit einer Luftbrücke versorgt. Die Amerikaner bauten das halb fertige Gebäude nach ihren Neigungen aus, hingen die Decken niedriger und errichteten im oberen Stockwerk eine Basketballhalle. Heute ist ein Drittel des Gesamtgebäudes vermietet, der größte Teil davon seit 1951 an die Berliner Polizei. Ein Drittel, besonders die sieben Hangars und die große Haupthalle werden für Veranstaltungen genutzt, von Designmessen bis zu Konzerten. Ein letztes Drittel des Gebäudes ist noch zu sanieren und es soll, so die blumige Sprache der Stadtplaner kreativ und innovativ genutzt werden. Martin Pallgen:

    "Als Präsentationsort auch für innovative Ideen, für Produktpräsentationen, aber auch, ich nenn es jetzt mal groß 'Zukunftsdialog', also den Geist eines Flughafens, nämlich einen Verbindungspunkt darzustellen, einen Verknüpfungspunkt, wo Menschen, Räume und Ort miteinander verbunden werden, wiederaufleben zu lassen, hier Menschen hinzuholen, miteinander zu vernetzen, um Neues entstehen zu lassen."

    Durch seine Geschichte und seine ungewöhnlichen architektonischen Mischungen ist das Flughafengebäude schon jetzt ein beliebter Ort für kulturelle Initiativen, wie etwa für das Gefängnistheater "Aufbruch" aus Berlin.

    Schillers Drama, "Wallensteins Tod" inszeniert mit Ex-Inhaftierten, Freigängern, Schauspielern und Laien. Inszeniert in modernen Militäruniformen im ehemaligen Kasino des Flughafengebäudes Tempelhof entwickelt sich das Ränkespiel um Verrat und Macht in dunklen holzgetäfelten Schankräumen, leeren Großküchen und einem ehemaligen anglikanischen Gebetsraum. Zweieinhalb Stunden Schiller zwischen faschistischem Protz, amerikanischer Gebrauchskultur und Gelsenkirchener Barock. Für Regisseur Peter Atanassow hängen Ort und Geschichte ganz eng zusammen:

    "Die Entwicklung, die hier ein Ende genommen hat, die Entwicklung des deutschen Militarismus, die ist hier in Stein gegossen, die steht hier als Denkmal deutscher Militärhistorie verewigt, als eine der gigantischsten Bauten, die diese deutsche Militärgeschichte hervorgebracht hat."

    Auf dem ehemaligen Rollfeld spürt man in diesen Herbsttagen schon den kommenden Winter. Und während sich die Nebelkrähen auf Grünflächen, Start- und Landebahn niederlassen, kommen die städteplanerischen Diskussionen um das Gelände in diesen Tagen erst richtig in Gang. Der ehemalige Flughafen Tempelhof, oder die "Tempelhofer Freiheit", wie er von der Berliner Landesregierung offiziell genannt wird, ist ein faszinierendes Experiment mit offenem Ausgang. Eine der beliebtesten Grünflächen der Stadt ist er jetzt schon.


    Mehr zum Thema:

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    Tempelhofer Freiheit
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    Philipp Oswalt, Klaus Overmeyer, Philipp Misselwitz: "Urban Catalyst" DOM publishers, Berlin 2013, 384 Seiten