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Freizügige Frische

Willem de Kooning wird in den USA als zentrale Figur der Malerei des 20. Jahrhunderts gefeiert. In Europa aber ist der 1904 in Rotterdam geborene, 1997 in New York gestorbene Künstler immer noch zu entdecken. Das Kunstmuseum Basel zeigt nun eine umfangreiche Teilretrospektive, die zeigen will, dass de Koonings Malerei nichts von ihrer atemberaubenden Freizügigkeit verloren hat.

Von Christian Gampert | 24.09.2005
    Zeitgenossen mit geringer Nähe zu moderner Kunst werden diese Bilder für ein wildes Durcheinander halten. Stimmt ja auch. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten sieht man schon, dass diese wüsten Pinselstriche und Farbüberlagerungen komponiert sind, dass Expression und Reflexion hier eine geniale Synthese eingehen.

    Willem de Kooning ist in Europa im Grunde unentdeckt. Eine einzige große Ausstellung zum Spätwerk (in Bonn) in den 90iger Jahren, das war’s. Möglicherweise war es zu fremd, was de Kooning machte, vielleicht war der Abstrakte Expressionismus hierzulande auch unter dem Namen Jackson Pollock abgehakt.

    De Kooning, der gebürtige Holländer, der 1926, mit 22 Jahren, als blinder Passagier in die USA auswanderte, hat ein exzessives Leben geführt: Malerei, Alkohol, Frauen. Zum Teil hat er, voller Selbstzweifel, monate- und jahrelang an einzelnen Werken herumgearbeitet: über 18 Monate brauchte er in den 50erJahren für "Woman I"; die einzelnen Werkphasen und Übermalungen sind dokumentiert. Dann aber konnte er es auch einfach laufen lassen – eine solche glückhafte, rauschhafte Phase, unter starker Alkoholstimulanz, findet sich in den Jahren 1975 und 1977, als in kurzer Zeit zahlreiche Großformate entstehen.

    Bernhard Mendes Bürgi, der Direktor des Kunstmuseums Basel, veranstaltet nun nicht "irgendeine" Rückschau auf de Kooning, sondern hat eine präzise Werkphase ausgewählt: 1960 bis 1980. Es handelt sich um die Zeit, als de Kooning, eine feste Größe des amerikanischen Kunstbetriebs schon damals, sich aus dem New Yorker Großstadtleben verabschiedet und nach Long Island zieht. Das mag mit der in Mode kommenden Pop Art zusammenhängen, die de Kooning verabscheut, es mag aber auch eine innere, altersbedingte Notwendigkeit gewesen sein – de Kooning ist 1960 schon 56 Jahre alt, und viele glauben, sein Zenit sei bereits überschritten. Aber der kommt erst noch.

    Der Rückzug nach Long Island, in die Natur, bezeichnet eine zunehmende Verdrängung der Figuration durch die Abstraktion und des Themas der Frau, der Erotik durch die Landschaft. Und doch spielt das alles ineinander: die ersten abstrakten, großformatigen Landschaftsbilder um 1960 haben noch eine pastorale Klarheit, wunderbare Farbkompositionen in Blau und Gelb, bisweilen Orange, lichtdurchflutete Stimmungen – und diese Bilder sind noch in New York gemalt, aus der Erinnerung heraus. Als de Kooning endgültig umzieht nach Long Island, gibt es auf einmal die viel bewegteren, wilderen Menschenstudien, in denen ein Frauenkörper in den Farborgien verschwindet oder, "Two Figures in a Landscape", sich Körperfragmente aus den Farbstrudeln herausschälen, je nach Sichtweise. Landschaft und Person werden eins, Landschaft wird in pure malerische Empfindung übersetzt.

    Nach einer längeren Phase, in der de Kooning da draußen vor der Stadt mit Zeichnung, Druck und Skulptur experimentiert und sich mit der menschlichen Figur beschäftigt, drängt dann Mitte der siebziger Jahre etwas aus ihm heraus: 1975 zwanzig Großformate in sechs Monaten, 1977 dreißig Großformate, pulsierende, wüste, zum Teil grellfarbige Malorgien, wo hochkomplexe Strukturen einfach so herauszuschießen scheinen, eine Klimax in diesem Werk, wo Erfahrung und Intuition sich auf einmal aufs Tollste verschränken. Hier werden nicht Empfindungen, Natur- oder Landschaftserlebnisse in abstrakte Malerei übersetzt, sondern hier wird der Akt des Malens als solcher vorgezeigt: Natur oder, wegen mir, Erotik, gestische Aktion, das alles ist präsent, auf der Leinwand, als Farbhandeln mit breitem Strich und konvulsivischen Linien.

    Man muss sich vorstellen, dass hier ein 70-Jähriger in der Einsamkeit jeden Tag hinausging ans Meer auf der Suche nach der wahren, extatischen Empfindung, ein exzessiver Mensch. Seine Farbgebirge und Materialschlachten sind der Höhepunkt des Werks, und ich denke, es ist auch die Angst vor dem Tod, die sich überall durchbricht und sich noch einmal in verzweifelte Lebenslust verwandelt.

    Dies ist in dieser opulenten, strotzenden Ausstellung wunderbar zu verfolgen und wird behutsam flankiert mit wichtigen Zeitgenossen de Koonings, Franz Kline, Clifford Still und Sam Francis einerseits, andererseits Picasso und Giacometti. Im letzten Saal sieht man, wie Ende der 80iger Jahre de Koonings Bildtektonik sich wieder beruhigt, geradliniger wird, die Farben werden schlierenhaft und bänderartig aufgetragen, nicht mehr als wuselnde, neutönende Schichtungen, sondern zum Beispiel in einem monothematischen Landschaftsgrün. Der Anfall, der Schaffensrausch ist vorüber, ein von der Ehefrau angeordneter Alkoholentzug beginnt. Und das Alter.