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Fremd und vertraut

Erst 30 Jahre nach ihrem Tod setzte ein regelrechter Kult um Frida Kahlo ein. Es erschienen Bücher, Filme und Theaterstücke. Auch in Deutschland sind viele Menschen von ihrem Werk begeistert. Doch hierzulande gibt es kein Museum, das Werke der Mexikanerin besitzt. Das Bucerius Kunstforum in Hamburg hat aber nun Frida Kahlo seine Sommerausstellung gewidmet.

Von Rainer Berthold Schossig |
    Ihre schwarzen Brauen sind zusammengewachsen – ein Raubvogel auf ihrer Stirn. Die großen indianischen Augen, kastanienbraun wie das Haar, blicken durch einen Tränenvorhang aus dem Bild, der Mund schmerzhaft geschlossen. Soweit geht alles in Ordnung bei diesem Selbstbildnis der Frida Kahlo; doch unterm Kinn beginnt das Drama: Hals, Brust und Leib sind aufgebrochen wie bei einem medizinischen Schaubild. Anstelle der Wirbelsäule stützt eine fragile, teils zerborstene fein kannelierte Säule mit ionischem Kapitell den Kopf. Dutzende von Nägeln ritzen die Haut; der verletzte Körper wird durch die Ringe eines weiß-ledernen Korsetts zusammengeschnürt. Im Hintergrund dehnen sich verkarstete, gelbbraune Erdschollen, weit hinten irgendwo das Meer.

    Mit dem Gemälde "Die geborstene Säule" von Frida Kahlo ist es wie so oft bei bekannten, viel reproduzierten Bildern: Wie klein es doch ist! Nur 40x30 cm, und doch: wie monumental, wie bewegend in seiner Aussage. In Hamburg hängt es in einer Gruppe, zusammen mit Giorgio de Chiricos "Sitzenden Musen", denen ebenfalls antike Architektur verstörend einverleibt ist; daneben Magrittes "Zeitalter der Wunder", ein halbnackter Puppenmensch mit einem Uhrwerk im Bauch, und eine Frankenstein-Körper-Collage von Max Ernst. Salvador Dalís Pasticcio-Figur aus einem Minotauruskopf, diversen Körpereinbauten und einem geöffneten Schubfach in der Brust komplettiert das Ensemble. Die allesamt in Europa während der 1930er Jahre, also kurz zuvor, entstandenen Bilder sollen die These stützen, dass Frida Kahlo trotz ihrer indianischen Oberfläche im Kern eine von der klassischen Moderne der Alten Welt inspirierte Künstlerin ist. Auch Christian Schad, Hannah Höch und Meret Oppenheim werden dazu als Zeugen geladen.

    Kein geringerer als André Breton hatte in den 30er Jahren das Urteil geäußert, dass die – den Herren Surrealisten wie ein bunter, aparter Kolibri zugeflogene – Malerin Frida Kahlo mit der europäischen Kunst in keinerlei Verbindung stehe. Kahlos surrealer Bilderfundus speise sich ausschließlich aus lateinamerikanischen, ja womöglich präkolumbianischen Quellen, so Breton damals. Und ähnlich aufgeregt fand auch die Wiederentdeckung Fridas durch die feministische Kunstwissenschaft in den 1970er Jahren statt. Jetzt wird im Hamburger Bucerius-Kunstforum, zum ersten Mal in Deutschland, Frida Kahlos Werk in einen europäisch-internationalen Kontext gestellt als nur den einer bewegenden Krankengeschichte einer tapferen Malerin.

    Diese These steht glaubhaft im Zentrum der von Ortrud Westheider kuratierten Schau. Doch auch Fridas Leben in Mexiko, inmitten der Konventionen und Traditionen, der Todes-Ängste und Revolutions-Träume spiegelt diese Ausstellung mindestens ebenso lebhaft. Da ist das Bildnis des blutjungen, artig gekämmten, scheu wie ein Kommunions-Aspirant lächelnden Alejandro Gomez Arias, ihr erster Geliebter, der mit ihr 1925 jenes Autobusunglück erlebte, das Fridas jahrelanges Siechtum, ihre Kinderlosigkeit und ihren frühen Tod verursachte. Einige Jahre später malte sie einen geradezu idyllischen Blick ins Innere eines solch urtümlichen Autobusses, in dem einfache mexikanische Frauen, Männer und Kinder heiter aufgereiht sitzen wie Marionetten. Auch aztekische Masken und Kleinplastiken tauchen immer auf, am Rande ihrer Bildnisse oder in den raren, heiteren Stilleben.

    Ihr Vater, ein Ende des 19. Jahrhunderts aus Pforzheim nach Mexiko ausgewanderter Fotograf, mag den scharfen, oft auch schwarz-weiß abgedunkelten Blick der Malerin Frida Kahlo mitgeprägt haben. Doch dass ihre spätere Beliebtheit in Deutschland daher kam, dass sie deutsche Wurzeln hatte, ist eher fraglich. Es war eine ästhetisch-politische Wiederentdeckung, die der Feminismus mit Frida machte, die Aneignung einer fremden, exotischen Frau auch: Körperlich beinahe tödlich verletzt und doch voller Lebenslust und Erotik, enorm verletzlich, bescheiden und zugleich unnahbar stolz, malend und zeichnend in tiefster Hoffnungslosigkeit und doch voller revolutionärer Hoffnungen. Einen zweiten Schub bekam ihre Popularität dann in den 80er Jahren, als die Pop-Ikone Madonna medienwirksam einige Bilder von Frida erwarb: Dies führte geradezu zu einer Explosion von Fridas Bekanntheit in der Westkunst. So wurde sie noch einmal zur exotischen, mexikanische Ikone. Hier leistet die Hamburger Ausstellung Pionierarbeit. Sie zeigt das Werk in seinen bescheidenen Dimensionen, und stellt es zugleich glaubhaft in den großen Kontext der internationalen, insbesondere der europäischen Avantgarde. Ihre Ehe mit dem linken Monumental-Maler Diego Rivera führte sie nicht nur in die Höhen und Untiefen der Latein- und US-amerikanischen Kunst-Schickeria. Frida und Diego waren darüber hinaus weit enger vertraut mit der Kunst Europas, als ihre Rezeption dies bisher – nicht zuletzt auch aus falschem mexikanischem Patriotismus heraus – wahrhaben wollte. Frida Kahlo malte sich vor allem selbst, aber – von ihrem Krankenbett aus – erstaunlicherweise auch mitten hinein in den Kontext der Kunst ihrer Zeit.